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Ausgabe:

1971

Spalte:

357-360

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Stoevesandt, Hinrich

Titel/Untertitel:

Die letzten Dinge in der Theologie Bonaventuras 1971

Rezensent:

Gerken, Alexander

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Theologische Literaturzeitung 9(3. Jahrgang 1971 Nr. 5

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Die Edition ist auf Grund der vorgenommenen Rekonstruktion
der ursprünglichen Ordnung der Quaestiones in
dreizehn Kapitel gegliedert, welche jeweils eine Quacstio
behandeln: ob die Seele nach ihrer Trennung vom Le be
überhaupt etwas erkennen kann, ob sie wenigstens partielle
Erkenntnis habe, ob sie gleiche Wesen wie die Engel erkennen
könne, ob ihr aus eigenem Vermögen Gotteserkenntnis
zukomme, ob das im irdischen Leben erworbene
Wissen erhalten bleibe, ob sie durch Gnade zur Go'.tes-
schau gelange, ob das die Seele zur Gottesschau erbebende
Lumen gloriac hierzu das einzige Mittel sei, ob dadurch
Gottes Wesen erfaf3t werden könne, ob diese Gottesschau
unverlierbar sei, ob in Gottes Wesen alles erschaut werde,
selbst die Unendlichkeit; zugleich mit der Schöpfung, in
der den Engeln möglichen Vollendung? Die Behandlung
der aufgeworfenen Fragen erfolgt nach dem übl'.chen
scholastischen Schema der Quaesrionenliteratur mit Problemstellung
, vorläufiger These, Obiectiones, Contradic-
tiones und Solutiones in den Responsiones ad quaestionem
und ad obiecta mit Verweis auf die Autoritäten und deren
Zitierung. Zu der nur in einer einzigen Handschrift sehr
verstümmelt überlieferten und wohl auch gar nicht vollständigen
zehnten Quaestio werden im Anhang zwei sich
mit einem ähnlichen Thema (Erkenntnis der Engel und
der Seligen) befassende Abschnitte aus Bernards den
Quaestiones zeitlich vorangehenden Quodlibeta auf Grund
der Handschriften ediert.

Die Grundsätze der Edition weichen zum Teil von den
gewohnten Regeln ab. Daß beispielsweise Textvarianten
nicht mit Buchstabennoten ausgewiesen werden, sondern
sich jeweils in den Fußnoten nur die betreffenden Zeilenangaben
finden, ist im Hinblick auf die Fülle der Stellen
(wobei manche unterschiedliche Schreibweisen sogar unberücksichtigt
bleiben mu5ten) zwar eine akzeptable Lösung,
führt aber doch in einigen Fällen zu Zweifeln in bezug
auf das gemeinte Wort. Vor allem aber hätte es sich wohl
empfohlen, nicht nur die Zitate aus der Bibel durch Kursivdruck
und aus Autoritäten durch Anführungszeichen kenntlich
zu machen, sondern auch jene Stellen, wo nur sinn-
gemäf3 und nicht vollständig zitiert wird. Die Anwendung
von Petitdruck und gesperrtem Kleindruck hätte gleichsam
mit einem Blick die Feststellung ermöglicht, wie groß die
geistige Selbständigkeit beziehungsweise Abhängigkeit
Bernards war, was doch nicht ganz unwesentlich für seine
Beurteilung sein dürfte. An Hand vorliegender Edition muß
das der Benützer erst durch Nachschlagen der zahlreichen
im Apparat zum Vergleich angegebenen Schriften besorgen,
die vom Editor mit großem Fleiß als Vorlagen: Bernards
identifiziert wurden. Die gewöhlich stillschweigend von
Bernard herangezogenen Werke des Thomas von Aquino
sind besonders reichlich vertreten, so daß (wie bereits
gesagt) gar ein eigener Index nötig wäre.

Da5 die vorliegende Edition einen wesentlichen Beitrag
zur Kenntnis der scholastischen Theologie darstellt, ist
ohne jeden Zweifel. Möge sie bald auch eine entsprechende
Auswertung in wissenschaftlich fundierten Darstellungen
finden.

Saarbrücken Harald Zimmermann

Stoevesandt, Hinrich: Die letzten Dinge in der Theologie
Bonaventuras. Zürich: EVZ-Verlag [1969]. XVIII, 393 S.

gr. 8° =r Basler Studien z. historischen u. systematischen
Theologie, hrsg. v. M. Geiger, 8. Lw. DM 23,-.
Bisher haben sich nur katholische Theologen eingehender
mit der Theologie Bonaventuras befaßt. Für die
Bonaventuraforschung ist es daher ein freudiges Ereignis,
daß diese erste von einem evangelischen Theologen geschriebene
Monographie über Bonaventura außerordentliche
Gründlichkeit und hohes theologisches Niveau aufweist
. Hinzu kommt, daß sie den u. E. einzig fruchtbaren

Weg für eine Untersuchung über Bonaventura einschlägt:
ausgehend von einer sauberen und umfassenden Analyse
der Quellen führt Stoevesandt zu einer profilierten Interpretation
, die schließlich in die eigene Stellungnahme zur
Sache einmündet, ohne daß die verschiedenen Aussageebenen
verwischt würden. So erfährt man nicht nur etwas
über die Theologie Bonaventuras, sondern auch über die
ihn und uns in gleicher Weise angehende Sache: hier ist
historische Forschung, die bei aller Sauberkeit der Texterhebung
Interpretation und Aktualisation ist.

Die Untersuchung ist der Eschatologie Bonaventuras
gewidmet, und bei dem Reichtum des behandelten Stoffes
sind uns hier nur Andeutungen möglich. Zum ersten Kapitel
„Eschatologie der Geschichte" müssen wir St. in
allem Wesentlichen zustimmen. Sowohl das lobende Urteil,
daß Ratzinger als erster den Chiliasmus Bonaventuras
erkannt hat, wie auch die Zurückweisung der Überinterpretation
des mit dem Chiliasmus gegebenen Geschichtsschemas
entspricht u. E. den Texten.

Trotz der genauen Interpretation des Verfassers, der
wir auch im zweiten Kapitel, dem Hauptteil des Werkes,
meist folgen können, ist es St. bei zwei Problemkreisen
anscheinend nicht gelungen, Bonaventuras Denken auf
seine Strukturen und Spannungen hin zu hinterfragen.

Der erste Problemkreis ist umfassend: es handelt sch
um die Sicht Bonaventuras, die mit den Begriffen „innen-
aufien" oder mit dem Stichwort „exprimere" angedeutet ist.
Das Verhältnis „Gott-Schöpfung", „ewiges Wort in Gott-
Inkarnation", „Seele-Leib" kann unter dem Verstehens-
horizont der „expressio" gesehen werden. Gott drückt
sich aus in der Schöpfung, er sagt darüberhinaus
nicht nur in sich sein ewiges Wort, sondern spricht es
selbst auch in die Schöpfung hinein aus (dann hat es den
Namen Jesus Christus), und schließlich gerät ab und zu
auch die Leiblichkeit des Menschen (im Umkreis der
Spekulation um die Inkarnation) in die Dynamik des
„Sichsagens". Wenn Bonaventura in dieser für ihn charakteristischen
und wesentlichen Form denkt, gerät Schöpfung,
gerät die Geschichte und Leiblichkeit Christi und auch die
des Menschen in ein positives Licht: eben als „Ausdruck".
Hätte Bonaventura wie in der Schöpfungs- und Versöhnungslehre
auch in der Eschatologie kons2quent
so gedacht, so wäre diese tatsächlich biblischer ausgefallen,
näher dem, was „Auferstehung der Toten", Christozentrik
der erlösten Schöpfung, „neuer Himmel und neue Erde"
sagen will.

Unglücklicherweise findet sich in der neuplätonisch-
augustinischen Tradition, von der Bonaventura beeinflußt
ist, immer wieder eine andere Wertung der Geschichte
und des Leibes. Bonaventura erliegt ihr - gegen seine
Hauptintention - ab und zu, und am stärksten in der
Eschatologie. Dann ist Leib gegenüber Seele, Menschheit
Christi gegenüber seiner Gottheit, Geschichte gegenüber
Ewigkeit nicht „expressio", sondern „superadditum", das an
sich Belanglose, Akzidentelle, das mehr eine Schwächung
des Seins als seine „ausdruckshafte" Fülle bedeutet.
Während Bonaventura es in der Inkarnationslehre meisterlich
versteht, diese „Schwäche" der Geschichte Jesu noch
einmal - antiplatonisch - als die sich zur Erde neigende
Liebe Gottes (als „exinanitio") aufzufassen, ist es
ihm - auf Grund des dionysischen Aufstiegsschemas -
nicht gelungen, diese Erkenntnis auch in die Eschatologie
einzubringen. Er wagte es nicht, auch im Eschaton die
Menschheit Christi und die Vollendung der Geschichte
Jesu als tragend anzusehen.

Die Aussagen Bonaventuras hat St. in dieser Frage
klar erhoben, aber es ist ihm u. E. entgangen, daß Bonaventura
hier der inneren Spannung seines Expressionismus
praktisch erliegen mußte. St. arbeitet an diesem Punkt
nicht genügend heraus, welcher Sprengstoff im System
selbst lag. Der nicht ganz überwundene Piatonismus zeigt