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Ausgabe:

1971

Spalte:

349-351

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Quesnell, Quentin

Titel/Untertitel:

The mind of Mark 1971

Rezensent:

Luz, Ulrich

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Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 5

350

Widersprüche werden durch Hinweis auf die „Gnade"
harmonisiert; der Begriff soll die Klammerfunktion übernehmen
. Die Gnade verbindet die vorläufige Rechtfertigung
allein aus Glauben und das endgültige Gericht nach
Werken. Zu diesem Zweck muß der Begriff Gnade allerdings
in unterschiedlicher Weise gedeutet werden, einmal
als rechtfertigende und juridische Gnade, zum anderen
aber als sanatorisch-mystische Gnade, eine der Sünde entgegengesetzte
und sie seinshaft überwindende Macht (191).
Der durch den Glauben zunächst gerechtfertigte Sünder
wird durch denselben gleichfalls1 in eine Sphäre versetzt,
in der er nicht mehr dem Streben der Sarx, sondern dem
Pneuma folgt (192 f). Dieser pneumatische Mensch erfüllt
nun das Gesetz, und zwar geradezu „von selbst" (152).
„Die Wirkungen des Geistes erfüllen das Gesetz, so daß
es keine Anklage mehr erheben kann" (63). Das Gericht
nach Werken bleibt folglich trotz der Rechtfertigung allein
aus Glauben bestehen, aber die Werke sind nun nicht mehr
unvollkommene Leistungen des Menschen, sondern vollkommene
Auswirkungen der Gnade. So wie die Gerecht-
sprechung durch den Glauben geschenkweise erfolgt, „sind
auch die Werke nicht mehr Resultat des menschlichen
Bemühens, sondern Geschenk . .. Der so werketuende
Mensch erfüllt durch den Glauben letztlich doch immer
geschenkweise das zur endgültigen Gerechtsprechung beim
Gericht nach Werken Notwendige" (172). Kann man auf
diese Weise Rechtfertigung und Vergeltung auf den gemeinsamen
Nenner der Gnade im Sinne eines zweifachen
Geschenks, dessen Gemeinsamkeit nur im Geschenkcharakter
liegt, bringen und so die Vergeltungsaussagen und die
Imperative mit der Rechtfertigungslehre in einem Sinne
harmonisieren, nach dem die gerechtmachende Gnade die
den Gläubigen rechtfertigende Gnade aufsaugt und überflüssig
macht? Auch wäre dann das Gericht kein echtes
Gericht mehr. Und die paulinischen Imperative wären
keine zur Aktivität aufrufenden Gestaltungsimperative
mehr, sondern höchstens Warnschilder vor einem möglichen
Rückfall.

Alle diese Gedanken sind nicht neu. Ich habe sie schon
präziser und offener formuliert gelesen, wobei auch das
Problem nicht verschwiegen worden war, wie Paulus
angesichts der sittlichen Mißstände in seinen Gemeinden so
optimistisch und wirklichkeitsfremd theologisieren konnte.

Leipzig Christoph Haufo

Quesnell, Quentin: The Mind of Mark. Interpretation and
Method through the Exegesis of Mark 6,52. Rom:
Pontifical Biblical Institute 1969. XXW, 327 S. gr. 8° =
Analecta Biblica, 38. Lire 5400,-.
Sowohl der Titel als auch der Untertitel des Buches
geben zu Mißverständnissen Anlaß: Ersterer ist zu weit,
letzterer ist zu eng gefaßt. In Wirklichkeit enthält der
Band im wesentlichen eine Analyse der „Brotsektion" des
Markusevangeliums, also von Mk. 6, 30-8,21, wobei der
Verfasser, Neutestamentier an der Marquette Universily,
Milwaukee, Wisconsin, an manchen Orten textlich auch
über diesen Rahmen hinausgreift.

Das erste Kapitel bietet einen Überblick über die
Forschung an diesem Abschnitt des Markusevangeliums,
wobei im wesentlichen Taylors Kommentar zugrunde liegt
(1-38). Die Literaturkenntnis Quesnell's ist erschöpfend
und bezieht sich vor allem auch auf zahlreiche katholische
Arbeiten, was dem protestantischen Leser zugute kommt.
Das zweite Kapitel (39-57) handelt über die Methode: Es
ist die redaktionsgeschichtliche, die der Katholik Quesnell
seinen Lesern in extenso vorführt. Historische Fragestellungen
werden strikte und im einzelnen mit guten Argumentationen
zurückgewiesen. Methodische Konsequenz ist
denn auch einer der großen Vorzüge dieses Buches. Die
methodischen Erwägungen zum Problem der redaktionsgeschichtlichen
Exegese sind sehr lesenswert; als Spezi-
ficum mag notiert werden, daß Q. kaum mit Vokabelstatistik
arbeitet. Aus den methodischen Erwägungen ergibt sich
folgender Aufbau des Buches: Kap. 3 wird Mk. 6,52 vorläufig
analysiert (58-67). Kap. 4 wird der redaktionelle
Vers Mk. 6,52 mit andern, inhaltlich eng verwandten
Stellen der Markusredaktion verglichen (4, 1-34, bes.
4,10 ff. 33 f.; 7,1-23; 8,14-21) (S. 68-125). Das nächste,
fünfte Kapitel zieht das ganze Markusevangelium als Kontext
herbei und versucht von hier aus, die bei der Analyse
der einzelnen Texte offengebliebenen Fragen zu lösen
(126-176). Das sechste Kapitel weitet schließlich den Horizont
nochmals aus und zieht die übrigen urchristlichen
Schriften als Kontext heran, vor allem die von Markus
nicht abhängigen, also nichtsynoptischen Schriften (177 bis
208). Das Ziel dieses Kapitels ist es, zu bestimmen, worin
etwa die Verständnismöglichkeit möglicher Leser oder
Hörer des Markusevangeliums bestehen konnte. Das siebte
Kapitel endlich wendet die in Kapitel 5 und 6 gewonnenen
Resultate auf die noch offengebliebenen Fragen der Exegese
von Mk 4; 6, 52; 7,1-23 und 8,14-21 an.

Quesnells Buch ist methodisch sehr instruktiv, besonders
, weil er immer streng analytisch vorgeht, auch sich
als ungangbar erweisende Lösungsvorschläge durchdiskutiert
und auf keiner Stufe der Argumentation mehr voraussetzt
, als er wirklich analytisch zeigen kann. So bleibt
das Entscheidende offen bis zum 6. Kapitel, das die Argumente
für die im 7. Kapitel vorgeführte endgültige Lösung
vorführt. Dieses Vorgehen impliziert natürlich zugleich
eine methodische Schwäche, deren sich Quesnell kaum
genügend bewußt war: Je breiter und unbestimmter der
untersuchte Kontext ist (besonders Kapitel 6, wo er das
ganze urchristliche Schrifttum beizieht), desto fragwürdiger
wird es, aus dem Kontext sichere Schlüsse auf das,
Markusevangelium zu ziehen. So argumentiert Quesnell
z. B. aufgrund der Tatsache, daß es im N. T. zahlreiche
Anspielungen auf das Abendmahl gibt, daß die markini-
schen Speisungsgeschichten von einer Eucharistiesymbolik
her verstanden werden müssen (bes. S. 193 ff.). Hier ist
unzweifelhaft die These besser als ihre Begründung. Oder:
Aufgrund von Joh 12,24 ff. und 1. Clem 23 ff. wird geschlossen
, daß Markus die Samenparabeln von Kapitel 4
als Hinweise auf das Geheimnis der Auferstehung gedeutet
habe (S. 216 ff.). Hier läßt sich methodische Sicherheit in
der Argumentation natürlich nicht mehr streng durchhalten,
und der Leser hat manchmal den Eindruck, mit fortschreitender
Erweiterung des Horizontes mehr und mehr
in den Bereich des sehr Hypothetischen zu gelangen, was
genau das Gegenteil von Quesnells Absicht ist. Voraussetzung
dieses Verfahrens ist natürlich die Überzeugung
von einer grundsätzlichen Übereinstimmung zwischen den
urchristlichen Schriften, eine Voraussetzung, die viele protestantische
Leser nicht so weitgehend werden teilen können
wie der Katholik Quesnell.

Doch soll diese Kritik den Wert des Buches und vor
allem seine methodische Geschlossenheit nicht herabmindern.
Wenden wir uns nun den wichtigsten Einzelthesen Quesnells
zu: Die Hauptthese ist, daß die Speisungsgeschichten
als Eucharistiesymbole zu verstehen seien und daß sich
das Jüngerunverständnis darauf bezieht. Dabei ist Eucharistie
für Q. durchaus nicht ein christliches Symbol unter
andern, sondern "the füll meaning of the Eucharist is the
füll meaning of Christianity" (S. 276). Einzelzüge in den
Speisungsgeschichten, z. B. die Zahlen, können nicht mehr
sicher gedeutet werden. Zu dieser Gesamtthese steht nicht
im Gegensatz, daß das volle Mysterium Christi erst von
Auferstehung her verstanden werden kann und sich zu
den einzelnen Motiven, die in der „Brotsektion" des
Markusevangeliums auftauchen: Erscheinung Jesu, Mahlzeitmotiv
, Jüngerunverständnis, Tadel Jesu, Parallelen
in den Erscheinungsgeschichten der Evangelien finden