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Ausgabe:

1971

Spalte:

347-349

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Dülmen, Andrea van

Titel/Untertitel:

Die Theologie des Gesetzes bei Paulus 1971

Rezensent:

Haufe, Christoph

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Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 5

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Das ist nun freilich etwas überraschend. Denn abgesehen
davon, daß die Kontrolle der von Käsemann beanspruchten
Belege bei Th. fast durchweg zu negativen Ergebnissen
führt (was jeweils für sich genommen natürlich noch nicht
entscheidend gegen die Gesamtinterpretation sprechen
mufj), weisen die Erhebungen im Hauptteil des Buches
ganz eindeutig in Richtung Mysterien, nicht aber Gnosis.
Auch die im Anhang untersuchten Vorstellungen! sind
weder materiell noch strukturell gnostisch; das ergibt
sich selbst dann, wenn ihre religionsgeschichtliche Einordnung
bei Th. richtig ist, sie nämlich im philonisch-alexan-
drinischen Bereich wurzeln. Indessen ist das doch wohl
in keinem Falle so sicher, wie es nach Th. erscheint.

Die Isolierung vorgegebener Tradition aus einem
geschlossenen Literaturwerk, das diese Traditionen gänzlich
in die eigenen Darlegungen einarbeitet, ist stets fragwürdig
, wenn auch deshalb der Versuch dazu nicht unnötig.
Ein wichtiges Kriterium ist, ob sich die gewonnenen Traditionen
geschichtlich einordnen und verstehen lassen. Th.
versucht S. 85 f., ein Bild zu entwerfen von der Gemeinde,
die in den von ihm aus Hebr rekonstruierten Traditionen
lebt. Dieses Bild ist kaum überzeugend. Denn einerseits
soll diese Gemeinde von einer enthusiastisch-mysterien-
haften Frömmigkeit herkommen, die im Kult die Erhöhung
erfährt, andererseits aber ist „dieser ursprüngliche Enthusiasmus
... im Hb verschwunden. Zahlreiche Mahnungen
wenden sich gegen eine müde und erschlaffte Frömmigkeit.
Die Anziehungskraft des Kultes hat nachgelassen." Man
versteht angesichts dieses Bildes nicht recht, warum Hebr
sich noch so intensiv mit einer Tradition kritisch auseinandersetzt
, die von den Angeredeten weithin als unbewährt
durchschaut und aufgegeben ist. Dieses Bedenken hat deshalb
Gewicht, weil Th. die von ihm rekonstruierten Traditionen
weitgehend ja nur durch die Konfrontation der,
wie ihm scheint, eigenen Aussage des Hebr mit der
kritisierten oder korrigierten Haltung der Angeredeten
gewinnt. Es nimmt daher nicht wunder, dafj der überzeugendste
Teil der Arbeit der dritte ist, der die eschato-
logischen Vorstellungen untersucht und das mittels einer
allgemeiner religionsgeschichtlich orientierten Interpretation
der Aussagen von Hebr selbst zu tun unternimmt.

Trotz solcher Bedenken ist das Buch interessant und
lesenswert. Vor allem m. E. deshalb, weil es entgegen dem
Willen seines Vf.s deutlich zeigt, daß Hebr keinesfalls
gnostisch interpretiert werden darf, sondern eher vom
Mysteriendenken her, daß aber insgesamt auch noch nicht
hier der eigentliche Schlüssel zu diesem Literaturwerk zu
finden ist.

Greifswald Traugott Holtz

Dülmen, Andrea van: Die Theologie des Gesetzes bei Paulus
. Stuttgart: Kath. Bibelwerk 1968. 282 S. gr. 8° =
Stuttgarter biblische Monographien, hrsg. v. J. Haspcckcr
u. W. Pesch, 5. Kart. DM 29,80.
Die Arbeit der katholischen Theologin über das Gesetz
bei Paulus ist qualitativ eine sauber gearbeitete Dissertation
, bietet jedoch nichts grundsätzlich Neues. Des
exegetischen und theologischen Rankenwerkes entkleidet,
zeigt die vorgetragene Konzeption ihre Abhängigkeit von
bekannten und verbreiteten Paulusinterpretationen.

Unter „Gesetz" versteht D. durchgängig das Mosaische
Gesetz. Selbst eine gute Tat der Heiden führe Paulus auf
deren innere Kenntnis des Mosaischen Gesetzes zurück
(135). Der Gesetzesbegriff wird so umfassend interpretiert,
daß sogar die mündliche Tora des Spätjudentums einbezogen
wird (236). Da mufj natürlich - mit ausdrücklicher
Ablehnung meines Buches über die Rechtfertigungslehre
des Paulus - eine wertmäßige Unterscheidung von ethischen
und rituellen Bestandteilen des Gesetzes radikal
abgelehnt werden. Für Paulus „haben die rein kultischrituellen
Gebote ... das gleiche Gewicht wie die sittlichen
Gebote" (132). Dafj eine solche Konzeption - wie fast
allgemein bei einer solchen Auffassung - nicht konsequent
durchgehalten werden kann, zeigt sich immer wieder, vor
allem wenn von der Erfüllung eben dieses Mosaischen
Gesetzes seitens der Gläubigen gesprochen wird. Aus der
zunächst quantitativen Deutung - eine Gesetzeserfüllung
ist dem fleischlichen Menschen unmöglich wegen der Unsumme
der Einzelvorschriften (133) - wird dann doch
eine qualitative Wertung: „Der völligen Irrelevanz (!)
der alten Kategorien von Beschneidung und Unbeschnitten-
heit steht gegenüber ... das Halten der Gebote Gottes"
(230). Das ganze Gesetz gelte dann als erfüllt, wenn nur
das einzige Gebot der Nächstenliebe gehalten werde (61).
Hier nähert sich D. doch stark der von ihr selbst mit
Nachdruck zurückgewiesenen Deutung einer wertmäßigen
und geltungshaften Quellenscheidung innerhalb der Gesetzesüberlieferungen
, nach der die Kultgebote von vornherein
nicht Kriterien für Gerechtigkeit oder Sünde sein
dürfen. Ist es möglich, einerseits von der Irrelevanz der
mosaischen Einzelgebote zu sprechen (auch 227), andererseits
jedoch im Mosaischen Gesetz den Ausdruck des göttlichen
Willens zu sehen, der uneingeschränkt (!) in Geltung
bleiben müsse (218.220) und mit „totaler Verbindlichkeit"
in das Gesetz Christi aufgenommen werde (220)? Eine
einheitliche inhaltliche Interpretation des Gesetzesbegriffes
läfjt sich m. E. nicht halten.

Auch die Stellung des Gesetzes innerhalb der pauli-
nischen Theologie bringt nichts Neues: Der Mensch ist auf
Grund seiner Fleischlichkeit unfähig, die Summe aller Gebote
zu beobachten und so das Gesetz zu erfüllen. Somit
trifft ihn der Fluch des Gesetzes in Gestalt des Todes (139).
In ihrer Auseinandersetzung mit Bultmann, die man sich -
vor allem was die Exegese von Phil. 3, 5 betrifft - trotz
der zutreffenden Argumente exakter und begründeter
wünschte, lehnt D. die Auffassung ab, die Gesetzeswerke
seien an sich verwerflich, weil sie als eigene Leistungen
zur Eigengerechtigkeit führten (176 ff). „Das Verderben
des Menschen durch das Gesetz rührt nicht von der Aufrichtung
einer'töloc öixoaocruvn, gegenüber der Gerechtigkeit
Gottes her, sondern von der Unmöglichkeit für
den Menschen, das Gesetz zu erfüllen" (179). Christus
bedeutet das Ende des Gesetzes als Heilsweg. Der Mensch
wird ohne Leistung, „allein auf Grund des Glaubens" von
Gott gerechtgesprochen (194). Es ist bemerkenswert, daß
hier von einer Katholikin Luthers Übersetzung „allein aus
Glauben" ausdrücklich als sachlich richtig anerkannt wird
(87). Auch inhaltlich wird der Glaube durchaus lutherisch
interpretiert. Er „verlangt kein Tun, keine Leistung als
Vorbedingung der Gerechtigkeit" (126). „Während das Gesetz
die Leistung von Werken fordert, erwartet die Pistis
das Heil einzig als x^P^S- die dem Menschen geschenkweise
verliehen wird" (191). „Der Glaube an Chrislus
allein ist bereits Gerechtigkeit und Heil. Die Gerechtigkeit
in Christus hat keine andere Voraussetzung als das Bekenntnis
und den Glauben an das Heilswerk Gottes in
Christus" (214). Mit dieser „protestantischen" Interpretation
des Glaubens erwächst für D. natürlich nun die in der
traditionellen katholischen Theologie nicht so schroff aufbrechende
Schwierigkeit, die paulinischen Imperative und
Vergeltungsaussagen einzuordnen. Ohne das Problem zu
präzisieren, wird die Harmonie hergestellt. D. unterscheidet
zwischen einer gegenwärtig-vorläufigen und einer zukünftig
-endgültigen Gerechtsprechung beim Gericht nach Werken
, wobei die vorläufige im Sinne der Rechtfertigung
allein aus Glauben, die endgültige Gerechtsprechung hingegen
im Sinne der Vergeltung nach Werken verstanden
wird (172). „Trotz der bereits geschehenen, allein auf
Grund von Glauben erfolgten Gerechtsprechung wird der
Mensch vor das Gericht Gottes kommen, das ihn nach
seinen Werken richten wird" (65). Die hierin liegenden