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Ausgabe:

1971

Spalte:

345-347

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Theißen, Gerd

Titel/Untertitel:

Untersuchungen zum Hebräerbrief 1971

Rezensent:

Holtz, Traugott

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Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 5

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sah sich schon deshalb zu einer völligen Neubearbeitung
veranlaßt, weil er in der Echtheitsfrage eine der seines
Vorgängers diametral entgegengesetzte Ansicht vertritt:
Freundorfer hielt die Pastoralbriefe für echt, Brox ist
davon überzeugt, daß sie Pseudonyme Arbeiten aus der
Zeit um 100 n. Chr. sind. Man wird ihm gern bescheinigen,
daß er die Argumente für diese Position in der ausführlichen
Einleitung (S. 9-77) mit Besonnenheit, Umsicht
und zuverlässiger Kenntnis der (S. 77-97 umfassend notierten
) Literatur entfaltet; besonders überzeugend ist er
in der Ablehnung der (vor allem unter dem Einfluß von
W. Bauer gelegentlich vertretenen) Spätdatierung der Briefe
auf die Zeit um 150 n. Chr. (S. 69-77).

Was die Auslegung (S. 98-314) anlangt, so wird ihr
Spezifikum vom Vf. selbst folgendermaßen umschrieben:
„Der hier vorgelegte Versuch einer theologischen Deutung
der Briefe unter Voraussetzung von deren Pseudonymität,
welche nicht nur grundsätzlich konstatiert, sondern in der
Einzelexegese ständig berücksichtigt wird, hat erst sehr
gezählte und keine ganz entsprechenden Vorbilder" (S. 7).
Auch hier wird man dem Vf. gern bescheinigen, daß er
sich seiner Aufgabe mit Verläßlichkeit Geschick, und sorgfältigem
Referat über die von ihm gründlich verarbeitete
Literatur entledigt. Wenn es auch nicht ohne Breiten und
Wiederholungen abgeht, und wenn man auch gelegentlich
die Gefahr spürt, daß die Pastoralbriefe etwas heruntergespielt
werden, um sie möglichst konturiert vom echten
Paulus abzuheben, so ändert das nichts an dem Urteil,
daß eine geschlossene Konzeption konsequent und sauber
durchgeführt wird.

Eine vereinzelte Lücke sei vermerkt. Im Literaturverzeichnis
fehlt der wichtige Aufsatz von D. Daube: "The
Laying on of Hands" in: The New Testament and Rabbinic
Judaism, London 1956, S. 224-246. Infolgedessen erfährt
der Leser nicht, daß {ini)xi&tKxi tag x^POCC, bzw.
^TtiöeatQ twv x£l,Pwv zwei völlig verschiedene und im
Hebräischen mit unterschiedlichen Vokabeln umschriebene
Riten bezeichnet: bei Segen und Heilung die nur berührende
Handauflegung, bei der Ordination (wie übrigens
auch beim Opfer) das kräftige Aufstemmen beider Hände.
Er wird auch nicht darüber unterrichtet, daß die Wendung
f) inideoic, Tßv x^Pwv xou TtpeaßuTepCov (1. Tim.
4,14) nicht notwendig „das Handaufstemmen seitens des
Presbyteriums" bedeuten muß, sondern ebensowohl eine
Wiedergabe von s'mikat z'qenim = »Handaufstemmen
zur Erlangung des Ältestenamtes bedeuten kann, womit
der angebliche Widerspruch zwischen 1. Tim. 4,14 (das
Presbyterium ordiniert) und 2. Tim. 1, 6 (Paulus ordiniert
cf. 1. Tim. 5,22) sich beheben würde. Schließlich sollte
dem Leser gesagt werden, daß das zeitgenössische Judentum
die Ordination außerhalb des Mutterlandes nicht
kennt, eine Tatsache, die deshalb wichtig ist, weil sie es
wahrscheinlich macht, daß die Übernahme des Ritus der
Ordination seitens der christlichen Gemeinden bereits in
Palästina, also in sehr früher Zeit, erfolgte.

Im ganzen ist zu sagen, daß diese Auslegung der
Pastoralbriefe ohne Frage die nicht ganz einfache Aufgabe,
die ihr Vf. sich gestellt hat, gut erfüllt, die drei Briefe
dem gebildeten Laien unter dem Gesichtspunkt der Pseudonymität
verständlich zu machen und nahezubringen.

Göttingen Joachim Jeremias

Theißen, Gerd: Untersuchungen zum Hebräerbrief. Gütersloh
: Gütersloher Verlagshaus G. Mohn [1969]. 163 S.
8° = Studien zum Neuen Testament, hrsg. v. G. Klein,
W. Marxsen, W. Schräge, 2. Lw. DM 24,-.
Die Untersuchungen von Th. sind ein anregender Versuch
, auf dem Feld der religionsgeschichtlichen Einordnung
und einer darauf aufbauenden Interpretation von Hebr ein
Stück weiter voranzukommen. Th. zieht gleichsam Suchgräben
durch Hebr. Er sucht einerseits in ihm nach übernommenen
Traditionen und ihrer Modifikation, andererseits
nach polemischen Äußerungen. „Falls bei der Aufnahme
von Tradition gerade das verändert wird, was in den
wenigen Anspielungen Gegenstand der Kritik sein könnte,
... so dürfen wir in ihrer Korrektur ein Anliegen des
Verfassers sehen, vielleicht sogar den Anlaß seiner grundsätzlich
gemeinten Ausführungen" (S. 10). Übernommene
Tradition findet Th. zunächst in Hebr 7; er glaubt, einen
vorchristlichen, vielleicht hellenistisch-jüdischen Melchise-
dekhymnus rekonstruieren zu können (7, 3.25.26 mit einigen
Änderungen bzw. Auslassungen). Hebr hat diesen
Hymnus deshalb in nur leichter Überarbeitung aufgenommen
, weil er mit seiner Hilfe das Hohepriestertum Christi
als Aufhebung jeder irdischen Entsprechung zu ihm zu
interpretieren vermag. Th. vermutet, daß der Typologie
Melchisedek - Christus eine solche entspricht: levitisches
Priestertum - gegenwärtiger Kult, daß der Hebr also die
Geltung des gegenwärtigen Kultes überhaupt in Abrede
stellt. Das soll die Untersuchung der Hohepriestertradition
sichern. Sie entstammt, wie der Vergleich mit I Gern 36
(von Hebr literarisch unabhängig!) und Ign Phld 9,1 zeigt,
dem urchristlichen Enthusiasmus hellenistischer Prägung.
Hebr aber gestaltet sie um, indem er an Stelle der im Kult
erlebten Schauung des Himmels das Hören des Wortes
Gottes in Christus und an die Stelle der Gemeindeopfer
das Selbstopfer des Hohepriesters Christi setzt, sowie entgegen
der Tradition das hohepriesterliche Werk Christi
fast ausschließlich in der Sündenvergebung sich vollziehen
sieht.

Die Bedeutung der Sakramente in der kultisch-enthusiastischen
Frömmigkeit der Tradition und für Hebr versucht
der zweite Teil der Arbeit zu klären. Für die Tradition
(und damit für den Gemeindeglauben hinter Hebr)
vermittelt das Abendmahl überirdische Kräfte und die
Teilhabe am himmlischen Gottesdienst; das Problem der
Sünde ist damit aufgehoben. Gerade das aber bewegt den
Hebr. Er setzt der mysterienhaften Kultpraxis auf Erden
das himmlische Kultmysterium entgegen, dessen Vollzug
und Wirkung durch den Hohepriester Christus und sein
Werk bestimmt ist, wodurch alle irdischen Opfer und
damit auch das als Opfer aufgefaßte Abendmahl abgewertet
werden.

Der dritte Teil des Buches ist „Untersuchungen zu den
eschatologischen Vorstellungen des Hebr" gewidmet. Das
Ergebnis ist, daß Hebr die kultisch-präsentische Eschato-
logie der von ihm aufgenommenen Tradition durch eine
futurische Eschatologie korrigiert. „Nicht der Kult löst die
eschatologische Problematik, . .. sondern eine zukunfts-
gerichtete Eschatologie die Problematik des Kultes" (S. 102).
Auch die räumlichen Bilder werden einer futurischen
Eschatologie dienstbar gemacht. (Freilich sprechen sie
zugleich die Abwertung des Irdisch-Geschöpflichen zugunsten
des Überirdisch-Himmlischen aus, ein Zug, den
Th. in dem religionsgeschichtlichen Anhang nachdrücklich
im Sinne einer gnostischen Einordnung von Hebr auswertet
.) Dem entspricht die neubelebte Naherwartung, die
vornehmlich auf eine lebendige Sünden- und Gotteserfahrung
zurückzuführen ist. „Das Christusgeschehen motiviert
nicht mehr vorwiegend das nahe Ende, sondern der
Schrecken vor dem zornigen Gott" (S. 109).

Ein Anhang bietet „Erwägungen zur religionsgeschichtlichen
Einordnung des Hebr". Th. will nicht das religionsgeschichtliche
Problem insgesamt angehen, sondern an
Hand einiger Stichproben (nämlich der Vorstellung von der
himmlischen viccrdcuauca£ und der Melchisedektradition)
nachprüfen, ob und wieweit gegebenenfalls Hebr gnostisch
beeinflußt ist. Er befindet sich dabei durchgehend im Gespräch
mit dem Entwurf Käsemanns und kommt zu dem
abschließenden Urteil, daß Käsemanns grundsätzliche religionsgeschichtliche
Einordnung des Hebr zutreffend sei.