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Ausgabe:

1971

Spalte:

344-345

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Brox, Norbert

Titel/Untertitel:

Die Pastoralbriefe 1971

Rezensent:

Jeremias, Joachim

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Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 5

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der Zeit der neutestamentlichen Schriftsteller bis zum
Rationalismus darum kein ernstliches Problem bedeutete,
weil es als für die Christen geschrieben verstanden wurde,
während „das in seinem ursprünglichen Sinn verstandene
Alte Testament noch nie zum christlichen Kanon
gehört hat" (S. 18). Moderne Versuche, das Alte Testament
christlich zu deuten (W. Vischer, G. von Rad), lehnt H. ab,
da wir das Alte Testament nur dann mit gutem Gewissen
in Anspruch nehmen können, wenn wir den ursprünglichen
Sinn der alrtestamentlichen Schriften „als der neutestamentlichen
Botschaft verwandt erkennen" (S. 27). Bei dieser
hermeneutischen Definition geht freilich die Tatsache
völlig verloren, daß das Neue Testament sich auf die
alttestamentliche Geschichte als eine Verheißung auf
die Erfüllung in Jesus Christus hin zurückbezieht. Zwei
1938 zuerst veröffentlichte Aufsätze („Abrahams Lüge und
die christliche Wahrheit" und „Hamans Galgen und Chris':i
Kreuz") verraten durch ihre polemische Haltung deutlich
ihre Entstehung Ende der dreißiger Jahre; beide zeigen,
daß die alttestamentlichen Erzählungen von der Lüge
Abrahams bzw. Isaaks betreffs ihrer Frauen und von der
Rache Esthers an Haman und den Feinden der Juden in
ihrem eigenen Sinn von den Christen nicht übernommen
werden können; aber ist es wirklich angebracht, die an
sich richtige Polemik gegen die willkürliche Christianisierung
dieser Texte durch W. Vischer bzw. H. Hellbarth
aus jener Zeit zu veröffentlichen? Handelt es sich bei
diesen beiden Aufsätzen um wissenschaftliche Erörterungen
, so weist der Vortrag über „Auferstehung im
Alten Testament" einem weiteren Publikum erneut nach,
daß im Alten Testament eine Auferstehungshoffnung nur
in der spätesten Schrift anklingt, und stellt dem die Behauptung
gegenüber, daß im Neuen Testament Auferstehung
nur Ausdruck für die Wirklichkeit eines Gottesverhältnisses
sei, das schon durch den Tod hindurchgegangen
ist; freilich wird so der Tatbestand unterschlagen,
daß sich in zahlreichen Schriften des Neuen Testaments
(auch im Johannesevangelium!) die Erwartung einer endzeitlichen
Auferstehung findet, und von der für den christlichen
Auferstehungsglauben grundlegenden Auferstehung
Christi ist überhaupt nicht die Rede. Als letzten alttestamentlichen
Aufsatz bietet H. eine weitgehend gereimte und
sprachlich beachtliche Übersetzung ausgewählter Stücke
aus Hiob 3-31 („Hiobs Klage"), die 1925 für einen Schülerbibelkreis
geschaffen wurde, ohne dafj der Sinn dieser
Veröffentlichung in diesem Zusammenhang einsichtig
würde.

Den größten Umfang nehmen die acht neutestamentlichen
Aufsätze ein (S. 102-374), die zwischen 1960 und
1967 entstanden sind. Die zuerst in der Rengstorf Festschrift
veröffentlichte „Studie zu Mk 8, 27 - 9,1 und den
kanonischen Parallelen" sucht diesen Abschnitt als Komposition
des Markusevangelisten zu verstehen, der dabei an
den Leser denkt. Ergibt sich beim Vergleich mit den
Änderungen der anderen; Evangelisten, daß „für die frühe
Christenheit die Evangelien keine ein für allemal gegebene
, umwandelbare Tradition waren" (S. 132), so wird
doch allzu selbstverständlich die Frage übergangen, ob
Markus nicht Traditionen aufgenommn habe, die auf
Jesus oder in die Geschichte Jesu zurückgehen. „Das
Gleichnis vom großen Mahl" wird mit dem Resultat analysiert
, dafj die Evangelisten in diesem Gleichnis die
christliche Geschichte beim Übergang zur Heidenmission
dargestellt fanden; H. ist der Meinung, dafj der Zug des
Gleichnisses, nach dem die eigentlich nicht Gerufenen am
Mahl teilnehmen dürfen, der Botschaft Jesu widerspreche,
und stellt fest: „Wer für das Mahlgleichnis .. noch einen
,Sitz im Leben Jesu' ausfindig machen will, muß sich fragen
lassen, ob er damit nicht ein Kind sucht, das damals
noch gar nicht geboren war" (S. 155). Aber diese Frage
kommt nur dadurch zustande, dafj die chronologische

Reihenfolge im Gleichnis allzu direkt als chronologische
Folge der Geschichtsereignisse gedeutet wird, statt nach
dem eindeutig polemischen Ziel des Gleichnisses zu fragen.

Die Abhandlung über „Historie und Verkündigung bei
Markus und Lukas" sucht anhand der Berichte über die
Verwerfung Jesu in Nazareth (Mk 6,1-6 par.) und über
der Berufung der ersten Jünger (Mk 1,16-20 par.) nachzuweisen
, dafj die Evangelien nicht direkt Geschehnisse
aus dem Leben Jesu wiedergeben und1 dafj es die Aufgabe
der neutestamentlichen Wissenschaft sei, „deutlich zu
machen, was das Neue Testament uns an christlicher Verkündigung
erschließen will" (S. 181). Beides trifft natürlich
zu, aber auch hier wie in dem folgenden Aufsatz über
„Historie und Geschichte in den johanneischen Passionsberichten
" verdrängt die Rechtfertigung der kritischen
Methode allzusehr die ernsthafte Frage nach dem Interesse
der Evangelisten an der geschehenen Geschichte und die
Aufgabe des kritischen Exegeten, auch nach dieser geschehenen
Geschichte zu fragen.

Besonders wichtig sind die nun folgenden Arbeiten
zum Johannesevangelium und der Apostelgeschichte. Vorzüglich
werden durch die kritische Erörterung von 10 Zitaten
aus Bultmanns Johanneskommentar die Probleme
dieser Auslegung aufgewiesen, wobei man nur bedauert,
daß eine Zusammenfassung der eigenen Interpretation
Haenchens fehlt („Das Johannesevangelium und sein Kommentar
"). Der zuerst in der Theol. Rundschau erschienene
große Bericht über die „Neuere Literatur zu den Johannesbriefen
" bietet nicht nur eine zuverlässige Übersicht über
die Forschung der letzten 40 Jahre, sondern auch wichtige
eigene Thesen Haenchens zu den literarischen und theologischen
Problemen dieser Briefe. Der Aufsatz „Die Apostelgeschichte
als Quelle für die christliche Frühgeschichte"
erscheint hier zum ersten Mal in deutscher Sprache
(ursprünglich englisch in der Festschrift für P. Schubert
erschienen) und sucht vor allem die erzählerischen Absichten
des fortlaufenden Berichts der Apostelgeschichte
nachzuweisen, wobei wie in der anschließenden Erörterung
über „Judentum und Christentum" in der Apostelgeschichte
" mehr als einmal der Vf. allzu genau über die
Motive des Verfassers der Apostelgeschichte Bescheid zu
wissen meint. Das theologische Ziel der lukanischen Berichterstattung
wird dabei in beiden Arbeiten sehr überzeugend
herausgestellt, doch fehlt auch hier die Frage nach
dem wirklich Geschehenen und die Beachtung des Interesses
des Schriftstellers an diesem Geschehen allzusehr.

Diese Aufsatzsammlung bietet so ein etwas zu buntes
Bild, weil sich ihre einzelnen Teile an zu verschiedene
Leser wenden, so daß leider nicht derselbe geschlossene
Eindruck wie bei dem 1. Band von Haenchens Gesammelten
Aufsätzen entsteht. Doch wird der Fachmann dafür
dankbar sein, daß auch diese wichtigen Arbeiten Haenchens
zur neutestamentlichen Forschung jetzt leichter zugänglich
geworden sind.

Druckversehen begegnen nur ganz vereinzelt: S. 23
Z. 8 v. u. „wie" statt „wir"; S. 116 Z. 5 aflunTOV und
enrau^os statt orjtietov und cnrooipös,- S. 141 z. 10 v. u.
„zusammengestellte" statt „zusammengestellter"; S. 228 Z 27
wird der Leser nicht darauf aufmerksam gemacht, daß der
dort genannte Aufsatz im selben Band S. 102 ff. abgedruckt
ist.

Marburg Werner Georg Kümmel

Brox, Norbert: Die Pastoralbriefe übers, u. erklärt. 4.,
völlig neubearb. Aufl. Regensburg: Fr. Pustet 1969. 343 S.
8° = Regensburger Neues Testament, hrsg. v. G. Kuss,
7. Bd., 2. Teil. Lw. DM 32,-.
Die drei ersten Auflagen der Auslegung der Pastoralbriefe
im Regensburger NT (11950, 21953, 31959) hatte
Bischof J. Freundorfer besorgt. Nach seinem Tode ist
Norbert Brox-Salzburg an seine Stelle getreten. Dieser