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Ausgabe:

1971

Spalte:

329-332

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Die Zeit Jesu 1971

Rezensent:

Haufe, Günter

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Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 5

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(bis Vers 35 a) innerhalb des Zeitablaufes denn auch
wirklich ein, und auch das erst nach dem Tode der
Verheifjungsempfänger (11,13); die auf die Zukunft Wartenden
sind dagegen ab Vers 35 b die nur Wartenden,
ihre Erwartung findet innerhalb des Zeitablaufes überhaupt
keine Erfüllung, und so treten sie in ihrem reinen
Warten den wartenden Christen zur Seite. Von daher
würde ich dem Vf. keine grundsätzliche Unterscheidung
der beiden Glaubensweisen zutrauen; würde freilich
meinen, auch das Warten auf ein zeitliches Voraus mündet
für ihn letztlich ein in das Ja zur irdischen Unsichtbar-
keit des Himmlischen.

In jedem Falle aber wird man sagen müssen: die Würden
Christi und die Überlegenheit des himmlischen Kultes
gewähren keine andere Glaubenssicherung, als sie auch
von den alttestamentlichen Zeugen geboten wird: die
begründete Einübung in das Nein zum Sichtbaren und in
das Warten auf das kommende Unsichtbare. Christus mitsamt
seinem himmlischen Kult sowie das Beispiel der
Väter sind Anlaß zur Ewigkeitsbejahung und zur Weltverneinung
, und sie sind zugleich Garanten für die Begründetheit
dieser Haltung. Der Dualismus regiert - auch -
die Christologie des Hebräerbriefes. Der Mittler Jesus ist
der Himmelsstadt und den anderen himmlischen Data als
letztes Glied angefügt (12, 22-24).

m.

Wer der Metaphysik abhold ist, wird dem Inhalt der
Gewißheit, wie sie im Hebräerbrief gefaßt ist, zurückhaltend
gegenüberstehen. Er wird vollends den Modus der
Gewißheitsgewinnung schwer mitvollziehen können. Denn
was ist hier mit Jesus geschehen? Er initiiert, wie die
Väter es tun, die Ewigkeitsbejahung; seine ewigen Würden
und sein ewiges Werk bieten die Gewißheit. Der hie und
da Zusprechende und Strafende und Rufende und Helfende
ist der Ewige geworden, der für die Ewigkeit wirbt. Sofern
dies Ja für die Ewigkeit sichergestellt ist, darf im Sinne
des Hebräerbriefes der Lohn als Motiv (vgl. oben Sp. 322)
kräftig verwendet werden; der für den Ungehorsamen
bedrohliche Charakter des Werkes Christi kann nun öfter
und ausdrücklich (2, 2 f.; 3, 7 ff.; 10,28-31; 12,18-29) zu
Worte kommen; ja die gesetzlich rigoristische Ablehnung
einer zweiten Buße gewinnt - erstmalig in der altchristlichen
Literatur - nun (6,4-8; 10,26-31; 12,16.17) eine
ausdrückliche Formulierung. Das Interesse des Verfassers
gilt der Ewigkeit; ist dies Interesse gewahrt, so dürfen
Lohndenken und gesetzlicher Rigorismus ruhig mit ein-
kommen. Ja, man kann sich schwer des Eindrucks erwehren
: der Lohn ist nicht nur etwas äußerlich Angefügtes,
sondern er ist - als Aufnahme in die himmlische Stadt -
das dem ewigkeits-ausgerichteten Menschen eigentlich
Adäquate (11,15.16). Die bei Jesus und bei Paulus herrschende
Sorge, das Lohndenken könnte das Heil gerade
verderben, ist hier unter den Horizont geraten.

ALLGEMEINES, FESTSCHRIFTEN

(Schlier, Heinrich:) Die Zeit Jesu. Festschrift für Heinrich
Schlier, hrsg. v. G. Bornkamm u. K. Rahner. Freiburg-
Basel-Wien: Herder [1970]. 336 S. gr. 8°.

Diese Festschrift ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert
. Sie ehrt einen siebzigjährigen Neutestamentier, der
über seiner exegetischen Arbeit die Konfession gewechselt
und damit erwiesen hat, daß ein Weg aus der profiliert
kritischen Schule Rudolf Bultmanns auch in den katholischen
Raum führen kann. Dem entspricht, daß ein
protestantischer und ein katholischer Theologe als Herausgeber
zeichnen. Dieser ungewöhnliche Tatbestand will ohne
Zweifel nicht nur auf dem biographischen Hintergrund,
sondern in der heutigen theologischen Situation zugleich
als »Zeichen der Zeit" begriffen werden. Beide Herausgeber
sehen in dem Jubilar einen „Charismatiker des theologischen
Denkens, der Meditation und nicht zuletzt auch
einer oft Ungeahntes aufschließenden Sprache* (Vorwort).
Endlich darf es als symptomatisch gelten, daß beide
Herausgeber in der .Zeit Jesu" ein Thema erblicken, das
.heute mehr denn je dem forschenden Denken der Theologie
und der dieser verpflichtenden Philosophie aufgegeben
ist" (Klappentext). Unter diesem Generalthema sind
18 höchst lesenwerte Beiträge von Freunden, Kollegen und
Schülern Heinrich Schliers zu einer komplexen Einheit
zusammengebunden worden.

Nach einer knappen Einleitung von Rudolf Pesch
eröffnet Alfons D e i s s 1 e r die Reihe der exegetischen
Beiträge. In einer detaillierten Untersuchung über „Das
Israel der Psalmen als Gortesvolk der Hoffenden" (S. 15-37)
gelangt er zu dem Ergebnis: »So wurde der Psalter für
das altbundliche Gottesvolk eine tägliche und wirksame
Einübung der Hoffnung im ganzen" (S. 37). - Norbert
L o h f i n k schreibt über „Die Ursünden in der priesterlichen
Geschichtserzählung" (S. 38-57). Er weist nach, daß
P. keinen alles umfassenden Sündenbegriff kennt, sondern
konkret von drei wesentlichen Sünden berichtet: von der
Gewalttat der Menschen untereinander, von der Geringachtung
der angebotenen Heilsgabe durch das Bundesvolk,
von dem Versagen der geistlichen Führer angesichts der
Aufgabe, an Jahwes Wunderkraft zu glauben. - Heinrich
Zimmermann untersucht „Das Gleichnis vom barmherzigen
Samariter: Lk 10,25-37" (S. 59-69). Bedenkenswert
ist seine These, daß Jesus mit diesem Gleichnis sein
erbarmendes Handeln an einem Sünder gegenüber Kritikern
rechtfertigt, also sich selbst in ihm auslegt, so daß
jene christliche Überlieferung im Recht wäre, die den
barmherzigen Samariter auf Christus deutet, der sich hier
als „Nächster" erweist. - Rudolf Schnacken bürg
geht terminologisch und sachlich dem aktuellen Thema
der „Mitmenschlichkeit im Horizont des Neuen Testaments"
nach (S. 70-92). Fundamentale Bedeutung hat seine Einsicht
, daß der Gedanke der Mitmenschlichkeit nach dem
NT nicht vom Evangelium gelöst werden kann. „Mitmenschlichkeit
ist weder der einzige Ort der Gottesbegegnung
noch die letzte Befreiung des Menschen zu sich
selbst; sie ist kein Ersatz für den Gottesglauben" (S. 91). -
Mit gewohnter methodischer Sorgfalt behandelt Günther
Bornkamm das Thema: „Die Binde- und Lösegewalt
in der Kirche des Matthäus" (S. 93-107). Mt 16,18 f. besitzt
vermutlich die Priorität gegenüber Mt 18,18 und dürfte in
Syrien, im Umkreis hellenistisch-jüdischen Christentums
entstanden sein. Dieses Logion hat die Gesamtkirche sowie
die Lehrvollmacht des Petrus im Auge, während das zweite
Logion sich, wie der Kontext zeigt, auf die örtliche Gemeindeversammlung
und damit auf die Gemeindedisziplin
bezieht. Für Mt liegt in dem Nebeneinander beider Logien
kein Widerspruch. - Rudolf Pesch legt eine umfangreiche
, traditions- und redaktionsgeschichtliche orientierte
Studie zum „Prolog des Markusevangeliums (Mk 1,1-15)"
vor (S. 108-144). Vormarkinische Tradition sind nach
Analyse Mk 1, 2-15 a; für die Zusammenstellung ist ein
Redaktor verantwortlich, „der judenchristliche Traditionen
aufnimmt, seinen eigenen Standort aber innerhalb der
hellenistischen Missionskirche zu erkennen gibt" (S. 136).
Markus seinerseits hat diese Traditionen zum .Anfang des
Evangeliums Jesu Christi" gestaltet. - Jacob Kremer
liefert mit einer Exegese von Apg 1,4-5 u. 8 einen