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Ausgabe:

1971

Spalte:

297-299

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Pleijel, Hilding

Titel/Untertitel:

Hustavlans värld 1971

Rezensent:

Hertzsch, Erich

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Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 4

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schlimmerung der Welt leistet" (§ 76,3). Damit erinnert er
den Menschen an seine Verantwortlichkeit für die Welt.
Wie soll diese Verantwortlichkeit zur Weltlosigkeit fuhren?
Für Schi, entspricht das Übel als das Gesamtleiden des
menschlichen Geschlechts der Sünde als der Gesamttat des
menschlichen Geschlechts (§ 75,3). B. kommentiert: .Ob
darin allerdings ein wirklicher Trost liegt, sei dahingestellt
" (199). Abgesehen davon, da5 das Gesetz nicht gleich
mit einem „Trost" bei der Hand ist, wenn es den Menschen
auf die Sünde aufmerksam macht, könnte „Solidarität"
vielleicht doch etwas Sinnvolles sein. Äufjert sich die Liebe
zu den anderen Sündern nicht auch darin, daß sie an der
Last mitträgt, die Folge der Sünde ist?

Beachtung verdient, daß B. nicht einfach mit der üblichen,
Langeweile verbreitenden Schl.-Kritik konform geht (19, 21,
40, 51, 54, 129). Nach B. bedeutet Schl.s Ansatz beim Glauben
„weder, dafj Gott überhaupt verschwindet, noch, dafj er
unbedeutend wird, noch dafj er eine bloße Projektion des
Glaubens bildet. Auch für Schi, ist Gott das Entscheidende
und nicht die vom Menschen aufgebrachte Frömmigkeit"
(249). Ehrerbietung für den „Propheten des 19. Jahrhunderts
" spricht aus B.s Behauptung, dafj Schi, nicht zur Vorgeschichte
unserer theologischen Lage gehört, sondern zu
ihrer Gegenwart und wohl auch zu ihrer Zukunft (9,244).

Berlin Hermann Peiter

Horvath, Tibor, Prof., S. J.: Encyclopedia of Human Ideas
on Ultimate Reality and Meaning. A Plan and List of
Topics for a New Encyclopedia. Toronto, Ontario/Cana-
das Regis College (1970). 166 S. gr. 8°.

Plessner, Helmuth: Adornos Negative Dialektik. Thema
mit Variationen (Neue Sammlung 10, 1970 S. 562—570).

PRAKTISCHE THEOLOGIE

Pleijel, Hilding: Hustavlnns värld. Kyrkligt folkliv i äldre
tiders Sverige (Die Haustafel-Welt. Kirchliches Leben im
alten Schweden). Stockholm: Verbum (A. B. Tryckmans)
1970. 239 S. 1 Taf. 8°.

Der verdienstvolle Lunder Kirchenhistoriker gibt in diesem
Buch eine zusammenfassende Darstellung der Ergebnisse
seiner Forschungen über das kirchliche Volksleben
„i äldere tiders Sverige". Gemeint ist damit, wie der Vf.
im Vorwort sagt, „die altlutherische Welt, die (um 1600 beginnend
) schon im 19. Jh. zu verschwinden beginnt und in
unseren Tagen ganz zur Vergangenheit zu rechnen ist" (7).
PI. hat „geduldig und nicht ohne Mühe in einer Zeit von
mehr als 30 Jahren die Komponenten zu erforschen und
klarzustellen gesucht, die den Lebensstil und die religiöse
Lebensform der alten Gesellschaft (samhället) konstituierten
" (7). „Der Titel des Buches ist nicht zufällig gewählt.
Es fand sich nämlich für den hier behandelten Zeitabschnitt
ein Band, das die verschiedenen Erscheinungen des kirchlichen
Volkslebens verbindet .... die lutherische Haustafel
oder die Lehre von den drei (Haupt)ständen" (8). „Die
Zeit der Haustafel" kann man auch, da in ihr „eine einheitliche
Kultur im Zeichen der Einheitskirche geschaffen
wurde", die Zeit einer „kirchlichen Einheitskultur" nennen
(24).

Im 1. Kap. („Die Haustafel") geht PI. aus von Luthers
„Haustafel etlicher Sprüche für allerlei heilige Orden und
Stände", die im Anhang seines Kleinen Katechismus steht
und die selbstverständlich auch in den schwedischen Kl.
Katechismus übernommen wurde. PI. betont, dafj darin der
„Lehrstand" (das „Predigtamt") an erster Stelle steht und
daß der „politische Stand" (der „Obrigkeitsstand") vor allem
„zu sorgen hat für den Bestand der Kirche und für die
Ausbreitung des Wortes", außerdem „zu wachen hat über

Zucht und Ordnung"; und vom dritten Stand, dem „Nährstand
" oder „Hausstand", gilt: .Was der Prediger auf seinem
Predigtstuhl ist, das ist der Hausvater in seinem Hause
' (32 f.).

In den nächsten Kapiteln wird mit einiger Ausführlichkeit
, vor allem auf Grund des umfangreichen Materials in
„Kyrkohistorika arkivet i Lund" behandelt: 2. „die Hausandacht
im schwedischen Kirchenleben", 3. „die häusliche
Zucht im Lichte der Haustafel", 4. „Hausverhör und Lesetreffen
(läsmöte)". Besonders instruktiv ist die Beschreibung
dieses husförhör, das, aus „Beichtreisen der mittelalterlichen
Beichtväter" entstanden, im 17. Jh. zur „Dorfvisitation
", im 18. Jh. zum „rigorosen Glaubensverhör" und am
Anfang des 19. Jh.s zu einem eigentümlichen Hausgottesdienst
(läsmöte) geworden ist, bei dem Psalmgesang und
Gebet, Schriftauslegung und manchmal auch ein Vortrag
des Pfarrers über ein kirchlich-religiöses Thema mit der
eigentlichen Lektion (läxa) verbunden waren. Dieses Hausverhör
spielte offenbar deshalb so eine grofje Rolle, weil
der Hausbesuch in den großen Pfarrbezirken oft sehr entlegen
und einsam wohnenden Gemeindegliedern galt. Deshalb
war auch von Anfang an die Bewirtung der Hausgemeinde
bei dem läsmöte sehr wichtig. Es war mancherorts
Sitte oder Unsitte, dafür größere Vorbereitungen mit Bak-
ken und Braten zu treffen als am Weihnachtsfest.

Im 5. Kap., in dem über die „Volkslektüre in der Haustafel
-Zeit" berichtet wird, ist bemerkenswert, „welch große
Rolle Johann Arndts Erbauungsbücher in der schwedischen
Frömmigkeit dieser Zeit gespielt haben" (150 ff.).

Im 6. Kap. („Mittelalterliche Relikte in der Frömmigkeit
") geht P. ein auf einige charakteristische Bräuche und
Mißbräuche, die sich z. B. bei der Taufe („bära barnen un-
der lästen") oder am Weihnachtsfest („ge mässe") erhalten
hatten; und im 8. Kap. werden „volkstümliche Feiern in
Kirche und Haus" beschrieben.

Überaus aufschlußreich ist (im 9. Kap.) die Darstellung
der „alten Pfarrhauskultur in gesellschaftsgeschichtlicher
Beleuchtung (prästgärdskulburen i samhällshistorisk belys-
ning)": Noch mehr als in den lutherischen Landeskirchen
Deutschlands ist der Pfarrhof das in jeder Hinsicht dominierende
Zentrum der Gemeinde. Der Pfarrer ist „der patriarchalische
Leiter seiner Gemeindeglieder nicht nur in
der Kirche und im Gemeinderat (stämma), sondern auch in
den Wechselfällen des täglichen Lebens" (188). Die Pfarrfrau
ist „eine Gemeinde-Mutter, an die sich jeder ganz ungezwungen
mit seinen Sorgen wenden kann" (189). Die
Kontinuität im Gemeindeleben und im Pfarrhof sucht man
häufig dadurch zu erhalten, daß die Pfarrerswitwe oder
eine ihrer Töchter vom Nachfolger ihres Mannes geheiratet
wird (das nennt man: konservera huset). Diese Sitte, die
auch in Deutschland nicht selten anzutreffen war, hatte zur
Folge, daß sich eine Aristokratie von Pfarrerfamilien bildete
, die durch Generationen die begehrtesten Pfarrstellen
innehatte. Im 17. Jh. stammte etwa ein Drittel, im 18. Jh.
die Hälfte aller Pfarrer aus Pfarrhäusern; und um 1740
waren 60 % aUer Pfarrfrauen Pfarrerstöchter. Erheblich
war auch der Anteil wohlhabender Bauerssöhne in der
Pfarrerschaft. Der Pfarrhof war deshalb nicht nur ein Hort
der literarischen Bildung, sondern auch ein landwirtschaftlicher
Musterbetrieb.

Weithin trennte jedoch eine Kluft diese gutgestellten
Pfarrherren (kyrkoherdar) von den unter kümmerlichen
Bedingungen lebenden Kaplänen (kapellaner), die mit Axt
und Pflug schwer arbeiten mußten, oft ungebildet, anfechtbar
in ihrem Lebenswandel und in der Gemeinde gering
geachtet waren (190 f.).

M. E. ist das Buch Pleijels sehr lesenswert, weil es deutlich
macht, daß diese „Haustafel-Welt" mit ihrer patriarchalischen
Lebensordnung ohne Frage imponierend und sicherlich
auch in vieler Hinsicht für die Menschen ihrer Zeit
wohltätig war, daß sie heute aber entschieden der Vergan-