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Ausgabe:

1971

Spalte:

295-297

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Beißer, Friedrich

Titel/Untertitel:

Schleiermachers Lehre von Gott dargestellt nach seinen Reden und seiner Glaubenslehre 1971

Rezensent:

Peiter, Hermann

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295

Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 4

296

Beisser, Friedrich: Schleiermachers Lehre von Gott, dargestellt
nach seinen Reden und seiner Glaubenslehre. Göttingen
: Vandenhoeck & Ruprecht [1970], 265 S. gr. 8° =
Forschungen z. systematischen u. ökumenischen Theologie
, hrsg. v. E. Schlink, 22.

Beisser setzt damit ein, „daß man beim Versuch, Schleiermacher
zu verstehen, grundsätzlich über Vermutungen nie
hinauskommen kann" (10). Besonders häufig wiederholt B.
die Vermutung, Gott sei für Scjil. kein Seiendes, sondern
das Sein, das Sein des Seienden (256). Auf S. 39 erhält man
die andere Auskunft, das Sein des Universums sei vom
Sein alles Seienden grundverschieden. B. meint, daß man
Schl.s Begriffe sehr leicht in die Sprache Heideggers übertragen
kann. „Es geht Schi, darum, durch alle Metaphysik
und Moral hindurch, also durch alles Seiende hindurch, das
verdeckte Universum, das verstellte Sein aufzuweisen" (52).
B. findet bei Schi, einen Begriff vom Sein, der, fürchte ich,
etwas vag und nichtig klingen könnte und mit dem Heidegger
schwerlich etwas vorausgedacht ist. Obwohl für B.
die Meinung, dafj Gott „seiend" ist, richtig zu sein scheint,
will er es nicht „verbieten, dafj Gott etwa auch als das
.Sein' bezeichnet wird" (114 Anm. 39, 173). Verfährt B. hier
mit der stählernen Konsequenz, derentwegen er Schi, lobt
(11)? Wird B.s Behauptung, dafj Gott bei Schi, kein Seiendes
ist, bestätigt, wenn Schi, die Bestimmung anführt, Gott
sei das ursprünglich Seiende (§ 50,1)?

Große Vorliebe zeigt B. für das Kantische Schema von
Wesen und Erscheinung, dessen Bedeutung er allerdings
selbst in Frage stellt, wenn er bemerkt, dafj bei Schi. Phänomenologie
zum wichtigsten Erkenntnisweg wird (16).
Wenn Schi., worauf B. immer wieder aufmerksam macht,
nur von einer Welt weiß (und also auch zwischen einer
intelligiblen Welt und der Sinnenwelt nicht unterscheidet),
hat er damit die Kantische Unterscheidung von Wesen und
Erscheinung überwunden. Wie wenig diese Unterscheidung
leistet, zeigt sich, wo B. von der Epiphanie des Universums
spricht (25 f., 41, 150). Offenbar meint doch auch B. nicht,
diese Epiphanie sei nur Erscheinung? Das Schema von Wesen
und Erscheinung wird in folgenden Behauptungen verwandt
: „Das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl ist das
Wesen, das — in anderen Religionen anders — im Christentum
in der Erscheinungsform des Erlösungsglaubens
aufgenommen wird" (178). „Das eigentlich Christliche
, der Erlösungsglaube, wird damit zur Erscheinungsform
eines anderen" (180). „Schi, braucht
in und hinter der konkreten Gotteserscheinung ein nicht-
objektivierbares Wesen Gottes" (172). Denkt B. in diesem
Zusammenhang an Schl.s Unterscheidung zwischen dem offenbaren
und dem verborgenen Gott? Schi, versteht unter
der Gottheit an sich als unaussprechlicher einfacher Natur
den verborgenen Gott (vgl. S. 82 der Tetzschen Ausgabe,
über die eine Besprechung in einem der nächsten Hefte der
ThLZ erscheint).

B. behauptet, Gott sei für Schi, „gerade darin Gott, daß
er das Unendliche des Endlichen ist" (76 f., 247). Schi, kennt
sicher nichts Trostloseres als das Unendliche des Endlichen.
Ein Augenblick, der zu einer Ewigkeit wird, ist quälend.
Ein Augenblick, in dem man, wie es in den Reden heißt,
ewig ist (1799, S. 133), braucht selbst keine Ewigkeit zu
dauern. Wo die Ewigkeit sich auftut, erscheint die Zeit, in
die sie eingeht, nicht langwierig und langweilig, sondern
kurz. Schi, wahrt, wenn er Gott und Endliches in Beziehung
denkt, das Endliche als Endliches und hält nichts davon,
durch Entschränkung des Endlichen Gott gewinnen zu wollen
. B.s Formel „Unendliches des Endlichen" läßt nicht erkennen
, dafj das Unendliche dem Endlichen nicht eigen,
sondern entgegengesetzt ist. „Denn eigentlich soll doch unendlich
nicht dasjenige sein, was ohne Ende ist, sondern
das dem Endlichen, d. h. dem durch anderes Mitbestimmten
, Entgegengesetzte", zitiert B. doch selbst (170).

B. meint, daß Schi. „Gott als die Einheit zur Vielfalt der
Welt bezeichnet" (168). Nun spricht Schi, zwar von einem
„Mitgesetztsein Gottes als der absoluten ungeteilten Einheit
" (im Unterschied zur Welt als der in sich selbst geteilten
und zerspaltenen Einheit) (§ 32,2). Diese Bestimmung
dient aber nur zur Abwehr des Mißverständnisses, als sei
der Mensch ein Teil der Macht, von der er schlechthin abhängig
ist. Schi, hat in der Glaubenslehre kein spekulatives
Interesse an Gott als dem Inbegriff irgendeiner Einheit
der Welt. Allerdings geht es Schi, insofern um die Einheit
der Welt, als diese nur einen Herrn hat. Bei B. findet
sich das Zitat, es könne „eine Eigenschaft der Welt sein,
nur von einem Gott beherrscht zu werden, nicht aber
Gottes, nur einer zu sein" (168 f.). Wenn also die Einheit
(des offenbaren) Gottes keinen dogmatischen Gehalt hat
und nicht als göttliche Eigenschaft angesehen werden kann
(§56), zeigt sich, daß B.s Interpretation etwas gewagt ist. Daß
man Schl.s Lehre von den göttlichen Eigenschaften ganz
anders verstehen kann, als B. es tut, zeigt G. Ebelings in
Nashville, Tennessee, gehaltener Vortrag, gegen den sich
B. nur noch in zwei Anmerkungen zur Wehr setzen konnte
(133, 130). Ebeling weist darauf hin, Schi, bemühe sich, den
Gesichtspunkt der Identität nicht spekulativ dominieren zu
lassen, sondern in den Dienst letzter fundamentaltheologischer
Unterscheidungen zu stellen (ZThK 65, 492).

B. bemerkt treffend, daß Schi, lebendig ist und die Stellungnahme
fordert (10). Mit der Ablehnung Schl.s verbindet
B. eine Ablehnung Bultmanns und dessen Schule. B.
fragt: „Was soll auch ein Christentum zu sagen haben, das
nicht mehr gibt, als das, was wir eigentlich sind?" (52). B.
besteigt hier nicht die Höhe, die der Begriff der Eigentlichkeit
bei Bultmann hat. Was soll den Menschen, die der Erlösung
teilhaftig geworden sind und also mit Gott Gemeinschaft
haben gleichsam wie Adam im Garten Eden, noch
mehr gegeben werden? In seiner Kritik an der „modernen"
Theologie setzt B. folgende Alternativen bei Schi, voraus:
1. „Glaube rettet uns nicht heraus aus dieser Welt und versetzt
uns nicht in eine neue Welt hinein. Durch den Glauben
gewinnen wir vielmehr vor allem ein neues Selbst-
und Weltverständnis" (249). Gewinnt der Mensch nicht mit
einem neuen Verständnis einen neuen Ort wie auch mit
einem neuen Ort ein neues Verständnis? 2. „Sünde besteht
hauptsächlich darin, daß ich die Möglichkeiten meines Lebens
, die Möglichkeit, alles vom Gottes-, vom Gnadenbewußtsein
tragen zu lassen, versäume. Sünde steht nicht eigentlich
unter dem Urteil eines Richters, der mich zur
Rechenschaft zieht" (251). Wird der göttliche Richter geringer
und bedeutungsloser, wenn die Sache, um die es vor ihm
geht, auf ein klares Verständnis zurückgebracht wird? Die
Möglichkeiten seines Lebens vertan zu haben bedeutet: vor
dem göttlichen Richter zu stehen. Wenn Schi. Sünde als
Gottvergessenheit oder als Unkräftigkeit des „Gottesbewußtseins
" bestimmt, ist es nicht in seinem Sinn zu sagen:
„Man kann eigentlich nicht gegen Gott sündigen" (206).

„Mit erschütternder Gewalt erhebt . . . Hegel gegen die
protestantische Theologie den Vorwurf, sie ziehe sich in
eine bloße Innerlichkeit zurück. Damit werde aber die
Welt der Gottlosigkeit ausgeliefert. Mag die spätere Theologiegeschichte
auch weithin Hegel bestätigen, Schi, verdient
einen derartigen Vorwurf nicht" (24). Bei Schi, gäbe
es kein isoliertes Subjekt, das die Welt preisgibt (24). Neben
dieser Feststellung steht die Behauptung, Schl.s anthropologischer
Ansatz scheine „zur selben Weltlosigkeit zu
führen, der ihn heute oft kennzeichnet" (193 Anm. 55). Als
Begründung führt B. im Zusammenhang mit den Übeln an:
„Nicht die Welt selbst ist objektiv verdorben und zerstört,
sondern nur unser Verhältnis zu ihr" (198). Schi, war der
Auffassung, daß „von der Welt in einer Glaubenslehre
überhaupt nicht anders die Rede sein kann, als sofern sie
sich auf den Menschen bezieht" (§ 75,1). Er erinnert an den
Beitrag, „den jeder einzelne durch seine Sünde zur Ver-