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Ausgabe:

1971

Spalte:

287-289

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Stauffer, Richard

Titel/Untertitel:

Die Entdeckung Luthers im Katholizismus 1971

Rezensent:

Pesch, Otto Hermann

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Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 4

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behandelt „Die Kirche von England und die Anglikanische
Kirchengemeinschaft", „Die altkatholischen Kirchen der Utrechter
Union" und „Die Methodistenkirchen". Dem Angli-
kanismus sind 105 Seiten gewidmet (1957 nur 10). Die Geschichte
der Kirche von England wird von den Anfängen
bis zur Gegenwart ausführlich dargestellt, wobei die Nähe
zur römisch-katholischen Kirche betont wird. Selbst der von
Heinrich VIII. angenommene „Titel .oberstes Haupt auf
Erden der Kirche von England' konnte jedenfalls in orthodoxer
Weise verstanden werden, wie es dann auch später
ohne Protest des Papstes unter Königin Maria geschah"
(S. 478). Die Ungültigkeitserklärung der anglikanischen
Weihen durch das Heilige Officium am 16. 7. 1896 ist revisionsbedürftig
(S. 534, 558 f.). — Die Altkatholiken haben
eine große ökumenische Bedeutung und auf Grund der
Kleinheit ihrer Gemeinden auch einen Reformauftrag in
der Christenheit, den „Aufbau von unten her" beispielgebend
zu verwirklichen (S. 602). — Gegen die liturgische
Form der methodistischen Weihen „kann man keine ernsthaften
Bedenken lehrmäßiger Art" erheben. „Anders steht
es jedoch mit der Lehre über die Weihen ... ob es sich
bei diesen Unterschieden um Differenzen in der Sache oder
in der der Theologie vorgelagerten Philosophie handelt",
muß geprüft werden, bleibt hier also offen (S. 643). Fälschlich
wird (S. 494 und S. 615,12) Luthers Kommentar zum
Römerbrief als der Anstoß für die Wende in John Wesleys
Leben genannt; es war Luthers Vorrede zum Römerbrief
(so richtig S. 615,14).

Der 5. Hauptteil „Freikirchen und Sekten" ist etwas länger
als der 5. Hauptteil der 7. Auflage, obwohl Altkatholizismus
und Methodismus jetzt hier ausgeschieden sind. Dafür
ist ein Kapitel „Wesen und Verbreitung der Sekten"
eingefügt. Die Bemerkung, daß der Schriftgebrauch der
Sekten „die Unzulänglichkeit des Prinzips von der suffi-
cientia und perspicuitas der Bibel" zeige (S. 728), verkennt
den Sinn dieser reformatorischen These. Diese besagt nicht,
daß Schriftmißdeutung und -mißbrauch ausgeschlossen sind,
wohl aber, daß sie durch Rückgang auf die Schrift selber
zu bekämpfen sind, nicht durch autoritäre Verdammungsurteile
.

Im Anhang wird die Tatsache, daß die katholische Kirche
den Dialog mit der ökumenischen Bewegung lange Zeit
hindurch verweigerte, als „uns heute unverständlich" bezeichnet
(S. 860).

Errata: Lies Loofs' (S. XXV,18), Nitzsch (XXV.33), Dios-
kuros (S. 126,12; so richtig S. 157 Anm. 20 u. S. 159,1), Orthodoxie
(S. 274,14), Invocavit (S. 319,30), konnte (S. 344,5),
Pomponius Attikus (S. 355,17), dankbar (S. 470,8), Aragon
(S. 478,3), Kongregationalisten (S. 488,21), „Freikirche" (S.
682,7), Böhmes (S. 708,28), Kirche (S. 509,4), besitzt (S. 787,
29). Der Hinweis auf S. 16 f. ist S. 476,4 unverständlich. B.
Hubmaier vertrat nicht Wehrlosigkeit (S. 683,35).

Halle/Saale Erdmann Schott

Beyna, Werner: Das moderne katholische Lutherbild. Essen:
Ludgerus Verlag 1969. 242 S. 8° = Koinonia. Beiträge
z. ökumenischen Spiritualität u. Theologie, hrsg. v. T. Sar-
tory, 7, Br. DM 26—, Lw. DM 29.—.
Stauffer, Richard: Die Entdeckung Luthers im Katholizismus
. Die Entwicklung der katholischen Lutherforschung
seit 1904 bis zu Vatikan II, übers, v. K. Völlmin. Zürich:
EVZ-Verlag [1968], 124 S. 8° = Theologische Studien,
hrsg. v. K. Barth u. M. Geiger, 96. Kart. DM 14.80.
Die beiden aus evangelischer Feder stammenden Bücher
über das moderne katholische Lutherbild und über die dahin
führende Entwicklung der katholischen Lutherforschung
sind unabhängig voneinander entstanden. Das 1969 erschienene
Buch von Beyna kennt auch nicht die englische
Originalfassung der Schrift von Stauffer. Trotzdem ergänzen
sie einander in glücklicher Weise und bilden miteinander
so etwas wie eine gründliche Monographie über die
Geschichte der katholischen Lutherforschung bis in unsere
Tage.

Beyna beschränkt sich bewußt auf die Entwicklung im
deutschen Sprachraum (9). Außerdem möchte er — soweit
sich das überhaupt abtrennen läßt — seine Darstellung
mehr auf das katholische Bild der Person Luthers beschränken
. Das erste von den drei Kapiteln seines Buches
behandelt den Wandel des katholischen Lutherbildes, ausgehend
von der Situation zur Jahrhundertwende, wobei er
einen kurzen Überblick über das Lutherbild zwischen dem
16. und dem Beginn des 20. Jahrhunderts vorausschickt
(11—21); sodann schildert er den Weg zu einer neuen Lutherdeutung
(28—77) und schließt mit der Darstellung des
Durchbruchs neuer Ansätze (77-105). Das zweite Kapitel
berichtet über die Vielfalt der gegenwärtigen katholischen
Bemühungen um Luther (106—182), wobei naturgemäß ein
großer Raum der Lutherdeutung durch Joseph Lortz und
seine Freunde gewidmet wird, aber die Darstellung kontrastierender
anderer Ansätze keineswegs zu kurz kommt,
sondern aufmerksam verfolgt wird. Das Kapitel schließt
mit einem Blick auf das beginnende ökumenische Gespräch
um Luther. Das dritte Kapitel schließlich wendet sich, unter
dem Druck der Diskussionssituation, in einem Überblick
der heutigen theologischen Bemühung um Luther zu
(183—214). Entsprechend der Absicht des Buches und der
Fülle des Stoffes ist dieses letzte Kapitel kürzer geraten.
Doch ist dies kein Nachteil, da für diesen Zeitraum bereits
wieder ausgezeichnete Forschungsberichte zur Verfügung
stehen, während für den in den beiden ersten Kapiteln behandelten
Zeitraum zwischen der Jahrhundertwende und
1939, dem Erscheinungsjahr der Reformationsgeschichte
von Joseph Lortz, eine gründliche entwicklungsgcschicht-
liche Darstellung bislang fehlte.

In der Tat liegt der unschätzbare Wert des Buches in den
Erhebungen des ersten und zweiten Kapitels. Mit einem
Fleiß, der seinesgleichen sucht, hat B. nicht nur die wissenschaftliche
, sondern auch die populärwissenschaftliche Literatur
zum Thema durchsucht, verschiedene Auflagen miteinander
verglichen, die Rezensionen durchgemustert, Tageszeitungen
, Flugblätter, bischöfliche und römisch-kuriale
Verlautbarungen, Schul- und Handbücher, allgemein- und
kulturgeschichtliche Darstellungen, dichterische Gestaltungen
, Tagungsberichte, Lebensschicksale der Beteiligten verfolgt
. Das Bild reichert sich in bisher ungewohnter Weise
mit neuen Konturen an. Mehr noch, manches Vorurteil,
manche allzu pauschale Vorstellung vom fast völligen Fehlen
innerkatholischer Bemühungen um ein gerechtes Urteil
über Luther in den Jahren zwischen den beiden Kriegen
muß sich empfindlich zurechtrücken lassen. Dazu ist die
Sprache des Verfassers ausgesprochen angenehm und flüssig
und macht die Lektüre zu einem Genuß wie bei einem
soliden historischen Roman.

Das Buch muß jedem, der von Amts wegen mit den Problemen
der katholischen Bemühung um Luther befaßt ist,
als unerläßliche Lektüre anempfohlen werden. Deshalb
möchte der Rezensent niemanden durch ausführliche Berichterstattung
in Versuchung führen, sich die Lektüre des
Buches zu ersparen. Gleichwohl vermerken wir die entscheidenden
und im Ergebnis überraschenden Feststellungen des
Verfassers. Die innerkatholische theologische Situation zu
Beginn des Jahrhunderts ließ durchaus andere Beurteilungen
Luthers zu, als sie sich dann mit den bekannten Werken
von Denifle und Grisar zunächst für 30 Jahre durchsetzten
. Von höchstem Interesse ist ferner die Auseinandersetzung
des Vf.s mit der Beurteilung Luthers durch Joseph
Lortz. Alarmierend und bedrückend zugleich ist es, lesen
zu müssen, wie sehr das neue katholische Lutherbild bislang
erst eine dünne Oberschicht katholischer Fachtheologen
und der katholischen Öffentlichkeit erfaßt hat, wäh-