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Ausgabe:

1971

Spalte:

278-279

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Droz, Eugénie

Titel/Untertitel:

Chemins de l'hérésie 1971

Rezensent:

Koch, Ernst

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Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 4

278

Die Untersuchung von Schwarzwäller ist ein außerordentlich
wichtiger, in der wesentlichen Argumentation überzeugender
Beitrag zur Interpretation von Dsa.

Vf. hätte freilich gut daran getan, seiner Polemik gewisse
Zügel anzulegen. Die ständige Abgrenzung gegen die „übliche
Meinung" oder die pauschale Verurteilung der bisherigen
Literatur mit Ausnahme der genannten drei „festes
veritatis" (s. z.B. S. 9; 60 Anm. 35), wobei im einzelnen
dann gelegentlich „begriffliche Unsauberkeit" oder „gedankliche
Schlampigkeit" (S. 68 Anm. 18) vorgeworfen werden
, lassen der Meinung anderer kaum Gerechtigkeit widerfahren
. Die Fragen, wie sie etwa von dem Katholiken
McSorley an Luther gestellt worden sind1, hätten schon Berücksichtigung
verdient, zumal McSorley weithin Luthers
Argumentation billigt. Wer bei dem Problem der Verstok-
kung sich nicht mit Luthers harter Antwort zufriedengibt,
muß sich von dem Vf. sagen lassen, daß er eine „Kinderfrage
" (S. 166) stellt. Dabei gesteht Schwarzwäller selbst
ein, daß Luthers Prädestinationslehre, wie er sie in Dsa
entfaltet, „erst in der Erwählungslehre Karl Barths" voll
zu ihrem Recht gekommen sei (S. 141 Anm. 123). Und wenn
Vf. behauptet, Luther habe keineswegs die kreatürliche
Freiheit des Menschen geleugnet (z. B. S. 71 Anm. 27; 146),
so stehen dagegen Stellen wie Cl. 3, 128, 40 ff., die doch
nicht ohne Grund manche kritische Rückfrage hervorgerufen
haben.

Auch vermifjt man, gerade wo Schwarzwäller mit Recht
den konfessorischen Charakter von Dsa herausstellt, eine
Auseinandersetzung etwa mit der von Pesch"' getroffenen
Unterscheidung zwischen sapentialer und existentieller
Theologie. Mit anderen Worten: ist Luthers Argumentation,
die der Vf. zugegebenermaßen scharf beleuchtet, die einzig
mögliche, oder sind hier von anderen Voraussetzungen her
und bei anderer Argumentationsweise nicht auch anders
akzentuierte Antworten möglich, ohne daß es zu einem
wirklichen Dissenus gegenüber Dsa kommen muß? Damit
soll keineswegs einem faulen Kompromiß das Wort geredet
, wohl aber das Gewicht der gerade von manchen jungen
katholischen Theologen vorgelegten Beiträge betont
werden. Zudem hätte bei dieser „Gegenprobe" auch die
Frage Beachtung verdient, ob Luther Erasmus wirklich gerecht
geworden ist oder ob beide nicht in manchen zentralen
Fragen in anderer Weise, als der Vf. es meint, aneinander
vorbeigeredet haben". Statt dessen muß Erasmus es
sich gefallen lassen, daß Vf. seine Argumentation als „nicht
ganz konzis und rundherum lahm" (S. 86) bezeichnet.

Die Schärfe der Polemik findet auch im Stil des Vf.s Ausdruck
. Einerseits rügt er bei manchen anderen den heute
üblichen „neudeutschen Jargon" (z.B. S. 48), andererseits
bedient er sich zuweilen einer ungewöhnlichen Redeweise:
S. 15 Anm. 17 „Die Arbeit von . . . Link . . . fluchtet . . .
durch"; S. 97, 180 u. ö. „All dergleichen"; S. 150 Gott hat
die Kirche „nicht gegen Irrtum und Sünde, aber auch nicht
gegen Häresie und Heuchelei imprägniert"; stereotyp werden
Luthers Gegner gekennzeichnet als diejenigen, die
-strebend sich bemühen" (z.B. S. 79, 80, 83, 91, 120, 187).

Zum Titel des Buches sei bemerkt, daß es wohl angebracht
gewesen wäre, darauf hinzuweisen, daß W. v. Löwenich
unter fast dem gleichen Titel („Luthers Theologia cru-
cis") ein Buch veröffentlicht hat, welches dazu noch in demselben
Verlag nicht weniger als viermal aufgelegt worden
ist.

Hamburg Bernhard Lohse

1 Kl. Schwarzwäller: Sibboleth. Die Interpretation von Luthers
Schrift De servo arbitrio seit Theodosius Harnack. Ein systematisch-kritischer
Oberblick. München: Kaiser 1969. 120 S. 8» = Theologische
Existenz heute, 153. (s. ThLZ 95. 1970 Sp. 370.)

2 Da Schwarzwäller nach der Clemenschen Ausgabe (Luthers Werke
in Auswahl, von O. Clemen, Bd. 3, 2. Aufl. 1950) zitiert, werden die
Seitenzahlen hier nach derselben Edition gegeben.

1 Martin Luther, Ausgewählte Werke, hrsg. v. H. H. Borcherdt und
G. Merz, 3. Aufl. Ergänzungsreihe, Bd. 1, München 1954.

* Harry J. McSorley: Luthers Lehre vom unfreien Willen nach seiner
Hauptschrift De servo arbitrio im Lichte der biblischen und kirchlichen
Tradition. München 1967. = Beiträge zur ökumenischen Theologie 1.

5 Otto H. Pesch OP: Theologie der Rechtfertigung bei Martin Luther
und Thomas von Aquin. Versuch eines systematisch-theologischen Dialogs
. Mainz 1967, S. 935 ff.; s. dens., ThLZ 92, 1967 Sp. 731 ff.

6 Für Erasmus s. die freilich nicht unumstrittene, gleichwohl in jedem
Fall beachtliche Darstellung von E.-W. Kohls: Die Theologie des
Erasmus, 2 Bde. Basel 1966. Im übrigen s. auch B. Lohse: Lutherdeutung
heute. Göttingen 1968, S. 47 ff.; ferner zuletzt H. Dörries: Erasmus
oder Luther. Eine kirchengeschichtliche Einführung. In: Kerygma
und Melos. Festschrift Christhard Mahrenholz. Hrsg. v. W. Blankenburg
, H. v. Schade, K. Schmidt-Clausen. Kassel 1970, S. 533-570.

Droz, Eugenie: Chemins de l'Heresie. Textes et Documents.
I. Geneve: Slatkine Reprints [1970]. VIII, 450 S. m. Abb.
i. Text, 3 Faks.Faltblätter. gr. 8°.

Das Buch geht in sechs Abschnitten, denen jeweils eine
kurze Zusammenfassung in englischer Sprache folgt, den
Wegen nach, die die Reformation und ihre Ideen im Frankreich
des 16. Jh.s genommen haben. Dies geschieht durch
Beobachtung eines Gebietes, das von der Theologie in der
Regel wenig beachtet wird: des Gebietes der Typographie,
Bibliographie und Druckgeschichte einzelner Werke. Die
gewonnenen Ergebnisse sind erstaunlich.

Das erste Kapitel behandelt unter der Überschrift „Vier
Arten der Beichte" als Hintergrund Luthers Schriften zur
Beichte: „Instructio pro confessione peccatorum" 1518 und
„Von der Beicht, ob die der Bapst habe zu gepieten" 1521
und Oekolampads „Paradoxon", sodann den Weg der durch
Claude Chansonette ins Französische übersetzten Erasmusschrift
„Exomologesis sive modus confitendi" von 1524,
Guillaume Farels „Summaire et briefve declaration" von
1525, eine anonyme Schrift eines Stapulensis-Schülers „Bre-
ve instruction pour soy confesser en verite" und Calvins
französische Institutio-Ausgabe von 1541.

Für die Erasmusschrift wird der Standort bestimmt, den
sie im Schaffen des großen Humanisten einnimmt. Der Text
der französischen Übersetzung wird wiedergegeben (S. 10
bis 41), da er, wie man den sorgfältigen bibliographischen
Forschungen gern glaubt, die der vorliegenden Untersuchung
vorausgingen, in nur zwei Exemplaren erhalten ist.
Interessant ist ein Neudruck des Werkes, der 1542 durch
Etienne Dolet vorgenommen wurde und dessen Vorrede
S. 42—43 abgedruckt wird.

Aus der Schrift Farels werden die Kap. XXIX bis XXXI
im Wortlaut wiedergegeben. Sie lehnen die Beichte vollständig
ab und verneinen die priesterliche Absolurionsvoll-
macht.

Am interessantesten erscheint die erwähnte anonyme
Schrift über die Beichte, die zwischen 1526 und 1529 verfaßt
sein muß und deren Text S. 59—77 wiedergegeben ist.
Sie nimmt eine Art Mittelstellung ein und lehnt die Ohrenbeichte
nicht ab, ordnet sie aber einer von Faber Stapu-
lensis geprägten Rechtfertigungslehre ein. Der geführte
Nachweis, daß die Schrift den Stapulensisschüler Jean Le
Comte de la Croix zum Verfasser hat, der in der waadt-
ländischen Reformation eine gewisse Rolle spielen sollte,
muß als schlüssig angesehen werden. Bemerkenswert ist,
daß ein Nachdruck der Schrift Genf 1539 den letzten Abschnitt
— über die Form der Beichte vor dem Priester —
weggelassen hat.

Kapitel 2 befaßt sich mit Calvins Aufenthalt in Basel und
mit reformatorischen Einflüssen in Basel vor Calvins Ankunft
, die, vermittelt durch die Übersetzertätigkeit von George
Morel, stark auf die Reformation im Waadtland eingewirkt
haben. Es wird sehr wahrscheinlich gemacht, daß
Calvin schon Ende Dezember 1534, nicht erst Anfang 1535
in Basel angekommen ist und im Hause von Conrad Resch
die erste Fassung der Institutio geschrieben hat. Neues Material
zu Calvins Beschäftigung mit dem Judentum kann
beigebracht werden, ebenso für Calvins Mitarbeit an der
Bibel von Neuchätel, deren vollständige bibliographische