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1971

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Altes Testament

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Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 4

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Millionen von Juden in eine Welt ergeben hat, wo sie sich
frei mit Nichtjtiden in großen Städten mischten, erfordert
die Entwicklung neuer Prinzipien, welche der Vf. thesenartig
aufstellt.

Von den Schwierigkeiten durch die geänderten Umweltverhältnisse
geht der Vortrag von 1939 aus, The Shulhan
Aruk as a Guide for religious practice today (S. 62-99).
Sich scharf vom liberalen Reformjudentum abgrenzend,
dessen konsequenteste Vertreter nur noch die ethischen
Prinzipien der Thora als bindend ansahen und den Schulchan
Aruch ablehnten, empfiehlt C. den Schulchan Aruch
als den geeignetsten Führer für die religiöse Praxis, weil
er das am bequemsten zusammengestellte und umfassendste
jüdische Gesetzbuch sei, das sich zudem leichter als etwa
die Mischna auf die gegenwärtigen Bedingungen anwenden
lasse (S. 66 ff.). Das widerspricht nicht der Einstellung
des vorhergehenden Artikels, denn es heißt anschließend
(S. 71 ff.), daß diese Anwendung durch schöpferische
Interpretation erfolgen soll. Wie weit dieser Begriff gefaßt
ist, erhellt schon daraus, daß C. auch die Entfaltung des
römischen Rechtes bis zu dem „Corpus juris civilis" als
„interpretario" des alten Zwölftafelgesetzes ansieht. Zum
Schluß wird versucht, die herausgestellten Prinzipien der
Interpretation auf bestimmte praktische Fragen anzuwenden
: Sabbathoildgung, die Frage der Gültigkeit der bürgerlichen
Ehe und die jüdischen Scheidungsgesetze.

Speziell mit letzterer Frage befaßt sich der 1953 gehaltene
Vortrag, Concerning the Jewish law of domestic re-
lations (S. 100—118). Die Ungleichheit der Frau gegenüber
dem Mann, welcher den Scheidebrief, wenn die Ehe im
bürgerlichen Sinne annulliert wird, verweigern kann oder
die Frau einfach verlassen, bringt manche Härte mit sich.
Trotzdem ist C., gebunden an die jüdische Tradition, nicht
bereit, der Frau das gleiche Scheidungsrecht wie dem Manne
zuzubilligen. Doch weist er auf vielfach praktizierte
Auswege hin, die gestatten, zwar formal bei der Subordination
der Frau zu bleiben, ihr praktisch jedoch zu ihrem
Rechte zu verhelfen.

Der nächste Vortrag (S. 119—126), On rendering legal
decisions (1941), erläutert die Arbeit des von C. geleiteten
Komitees und weist u. a. Kritik an der von ihm vorgenommenen
Methode der Interpretation zurück.

C. ist nicht nur in rabbindscher Gelehrsamkeit zu Hause,
sondern auch im römischen und griechischen Recht und
wirft immer wieder Streiflichter auf diese Gebiete. So wird
eine Fülle des Wissens ausgebreitet, und manchmal muß
man sich fragen, wieviel davon gelehrter Zierat ist. Diese
Frage stellt sich besonders bei dem Vortrag (1945) über
..Sabbath prohibitions known as Shebut" (S. 127—166) —
es handelt sich um rabbinische Verbote, die über den Bereich
der 39 untersagten Arbeiten hinausgehen —, wo es
lange dauert, bis zum Thema gekommen und noch länger,
«is der pilpulistische Stil wenigstens zum Teil abgestreift
wird.

So kompliziert und verschlungen die Gedankengänge Cohens
manchmal auch sein mögen, sind seine Ausführungen
doch stets auf die Praxis bezogen, die Erhaltung der jüdischen
Lebensordnungen. Die in dem Band zusammengefaßten
Aufsätze geben einen guten Einblick in das Ringen
verantwortungsbewußter Kreise des amerikanischen Judentums
, sich den geänderten Umweltbedingungen in einer
Weise anzupassen, daß doch die Kontinuität der Tradition
gewahrt werden kann.

Das Verständnis des Ganzen wird durch ein Vorwort und
einen „Appendix on civil marriage" (S. 239—243) erleichtert
. Zu bedauern ist das Fehlen eines Registers.

Berlin Ludwig Wächter

Kisch, Guido: Die deutsch-jüdische Bibliographie seit dem
19. Jahrhundert (ZRGG 22, 1970 S. 143-152).

NEUES TESTAMENT

Kingsbury, J. D.: The Parables of Jesus in Matthew 13.

A Study in Redaction-Criticism. London: SPCK 1969. XII,
180 S. 8°. Lw. 40 s.

Im Unterschied zu der Jüngerinstruktion Mt. 13,36—52
ist die erste Hälfte dieses 13. Kapitels eine Apologie, die
sich an die Gesamtheit des ungläubigen Judentums wendet.
Das ist die These dieser Baseler Dissertation von 1966. Sie
wird vom Vf. in einer Vers-für-Vers-Exegese von Mt. 13
durchgeführt, die sich liebevoll in die Mentalität des Evangelisten
hineinzuversetzen und ein geschlossenes Bild seiner
Sicht des Gleichniskapitels zu entwerfen versucht, andererseits
aber leider durch wiederholungsfreudige Breiten,
erbauliche Selbstverständlichkeiten sowie durch Gewaltsamkeiten
gekennzeichet ist. Denn wie soll man es anders
bezeichnen, wenn der Theorie zuliebe, daß Mt. 13,24 das
ungläubige Israel angeredet werde, der „Acker" im Unkrautgleichnis
partout Israel sein muß (S. 67), obwohl der
Evangelist doch in V. 38 klipp und klar sagt, daß für ihn
der Acker die Welt sei. Das Jäten des Unkrauts, das die
Knechte nach V. 28 vorschlagen, meint die Lösung der Kirche
vom ungläubigen Israel (S. 74), obwohl doch im Text
von einem Sich-Zurückziehen der Kirche nicht die Rede ist,
sondern vom Ausscheiden unwürdiger Glieder. Und in V.
29b ist nichts von einem Aufruf zur Missdon am ungläubigen
Israel zu lesen (S. 74), sondern es wird gewarnt vor
unbedacht gehandhabter Kirchenzucht.

Auch sonst sind Fragezeichen zu setzen. „As an idiom,
the Kingdom of Heaven appears only in the first Gospel"
(S. 17) - wo bleiben Nazaräer-, Thomas- und Philippusevangelium
, Tertullianagraphon und Joh. 3,5 v. ].? Gleich
auf S. 3f. werden drei Beispiele für rabbinische Gleichnisse
zitiert, alle drei ohne Fundorte; „my translation" bezieht
sich denn auch nicht auf den Urtext, sondern auf P. Fiebigs
deutsche Übersetzung, die der Vf. ins Englische überträgt. Das
dritte dieser Gleichnisse ist die Geschichte vom blinden und
vom lahmen Parkwächter, denen der Früchtediebstahl erst
gelingt, nachdem der Lahme auf die Schultern des Blinden
geklettert ist. Was der Vf. zu diesem Gleichnis ausführt, ist
ganz unbefriedigend. Es ist ihm entgangen, daß der Vergleich
der Seele mit dem Lahmen, des Körpers mit dem
Blinden aus Indien stammt (G. F. Moore, Judaism III, Cambridge
1930, S. 148 N. 206). Er hat auch nicht erkannt, daß
das Gleichnis die Notwendigkeit der leiblichen Auferstehung
beweisen will. Schließlich hat er nicht gemerkt, daß
ein ' a 1 t i q r a vorliegt: der Midrasch liest in Ps. 50,4
nicht 'ammo, sondern 'immo und versteht: „Er ruft
zum Himmel empor (wo die Seele ist) und zur Erde (wo
der Leib ist), um sie zusammen ('immo) zu richten."

Am schwersten wiegen methodische Bedenken,
die angemeldet werden müssen. Ständig wird von Matthäus
übernommenes Markusgut als Schöpfung des ersten
Evangelisten ausgewertet, z. B. wenn es zu Mt. 13,10f.
heißt: „Matthew construets a scene in which Jesus speaks
to the disciples apart from the crowds" (S. 39). Nein! Matthäus
konstruiert hier nicht, sondern die „Konstruktion"
übernimmt er von Markus. Bei den wenigen sprachstatistischen
Notizen kommt die Notwendigkeit, zwischen Charakteristika
des Evangelisten und solchen seiner Quelle zu unterscheiden
, überhaupt nicht in den Blick, z. B. sind die
Verben xaraxalco und avXUyco nicht „thoroughly Matthae-
an" (S. 154 A. 181), sondern ganz sicher „thoroughly pre-
Matthaean", da beide dem Evangelisten durch seine Überlieferung
vorgegeben waren (und zwar beide sowohl durch
die Logienüberlieferung wie durch das Sondergut). Eine
weitere Schwäche der sprachstatistischen Erwägungen besteht
darin, daß die Relationen nicht berücksichtigt werden:
wenn Matthäus das Wort „Gott" 51 mal gebraucht, so ist
das gewiß zahlenmäßig „more even than Mark (48 times)"