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Ausgabe:

1971

Spalte:

268-269

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Cohen, Boaz

Titel/Untertitel:

Law and tradition in Judaism 1971

Rezensent:

Wächter, Ludwig

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Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 4

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schichtlichen Aspekte einen neuen Bezugspunkt eben in
dem Thronbcstedgungsfest gewonnen hat. Aber er meldet
auch Bedenken an, nämlich die Teilhabe Israels an dem
gesamtorientalischen Kultschema und dann die sehr fragliche
Möglichkeit, Eschatologie und Apokalypbik von einer
Mitte her verstehen zu wollen. Die Prüfung letzteren Gesichtspunktes
sieht der Vf. für eines der Hauptprobleme der
Apokalyptikforschung überhaupt an. Der Rückblick setzt
sich in der Hauptsache mit Gunkel auseinander und nennt
(S. 251) als die aus dieser Forschungsrichtung sich ergebende
Hauptaufgabe, „alle Untersuchungen auf die apokalyptische
Traditionsaufnahme und -Verarbeitung zu konzentrieren
".

Der letzte forschungsgeschichtliche Abschnitt widmet sich
der jüngeren Stufe der zeit- und literargeschichtLichen Erklärung
. Die Themen für die Unterabschnitte bleiben wieder
dieselben, da sie durch die Fragestellungen der Ge-
samfcuntersuchung bedingt sind.

Zum Schluß der Arbeit bietet der Vf. unter der Überschrift
„Schlufj, Rückblick und Ausblick" eine sehr förderliche
Abhandlung voll gesunden Urteils dar. Eins dieser
Urteile über die bisher getane Apokalyptikforschung lautet
dahin: (Der Weg der Apokalyptikforschung) „nimmt
einen breiten Raum ein, weist viele unvollendete Neubaustrecken
, aber kaum durchlaufende Fahrspuren auf und ist
im ganzen sehr unübersichtlich. M.a.W.: Das Verhältnis
von älterer und jüngerer Forschung, auch von einzelnen
Perioden zueinander, ist im ganzen nicht das von Entwurf
und Ausführung". Insbesondere sieht der Vf. einen Mangel
darin, daß die theologisch-systematische Fragestellung „bewußt
hintangestellt (wurde) oder anderen überlassen
(blieb)". Neue Ansätze in historischer und theologischer
Hinsicht sieht der Autor in erster Linie gegeben in der
religions- und traditionsgeschichtlichen Richtung, wobei
freilich der Geschichtsbegriff einer Überprüfung bedürfte,
um von einem organologischen Entwicklungsdenken befreit
zu werden, das Spätjudentum in seinen verschiedenen
Erscheinungen und in dem Verhältnis zwischen gesetzlichem
und apokalyptischem Judentum neu untersucht werden
müßte, und schließlich die Apokalyptik in ihrer Eigenart
, wie sie sich in der Traditionsverarbeitung kundtut,
neu beleuchtet werden müsse (S. 312). Aber damit leitet der
Vf. über zu dem Hauptproblem der Apokalyptikforschung,
zu dem bisher ungelösten Methodenproblem. An Zitaten
von G. von Rad und H. D. Betz stellt er sodann fest, daß
der erste den Forschungsbereich einengt auf die „Frage
nach der Eschatologisierung der Weisheit", während der
zweite jüdische und christliche Apokalyptik als „spezifische
Ausprägungen innerhalb der Gesamtentwicklung des hellenistischen
Synkretismus ansieht" (S. 314). Aus dem beiden
Definitionen gemeinsamen Grundsatz der religions-
und traditionsgeschichtlichen Arbeitsweise entwickelt der
Vf. eine ganze Reihe von methodischen Forderungen vor
allem in formgeschichtlicher Hinsicht, wobei die Rahmengattung
besondere Berücksichtigung findet. Zum anderen erwartet
der Autor mit Recht von der weitergehenden Qum-
ränforschung, daß sie möglicherweise einen Ausschnitt des
„Sitzes im Leben" der Apokalyptik zeigen kann, wobei freilich
auch die Frage offenbleibt, ob das Schrifttum von
Qumrän wirklich als apokalyptisches Schrifttum zu bezeichnen
ist. Selbstverständlich kann das nur für einen Teil
des Qumränschrifttums gelten, aber gerade diese Frage bedarf
erst der eindringenden Untersuchung einerseits, andererseits
muß auch betont werden, daß die Bruchstückhaf-
tigkeit dieser Qumränquellen der Erforschung Schwierigkeiten
entgegensetzt, während die klassischen apokalyti-
schen Quellen zusammenhängende Schriftwerke bieten.
Diese werden neben jenen stets ihre Bedeutung behalten.

Das vorgelegte Werk will nichts anderes tun, als eine
neue Apokalyptikforschung anregen und zu einer gründlichen
methodischen Vorüberlegung anreizen. Dank der

gründlichen theologischen Bildung und denkerischen Begabung
des Autors wird dieses Werk den aufgezeigten Zweck
voll erfüllen können.

Leipzig Hans Bardtke

Cohen, Boaz: Law and Tradition in Judaism. New York:

Ktav Publishing House 1969. XII, 243 S. gr. 8". Lw. $ 6.95.

Das Werk, 1959 erstmalig erschienen und 1969 mit Genehmigung
des „Estate of Boaz Cohen" nachgedruckt, enthält
acht kleinere Studien über jüdisches Recht, von denen
allein sechs auf Vorträge zurückgehen, die der Vf. in den
Jahren 1935-1953 vor der „Rabbinical Assembly of America
" gehalten hat, deren „Committee on Jewsih Law" er
langjährig vorstand. Diesen sechs Vorträgen, die zum größten
Teil bereits gedruckt in den „Proceedings of the Rabbinical
Assembly" vorliegen und die hier nicht in chronologischer
, sondern in sachlicher Ordnung gebracht werden
— den mehr allgemeinen Erörterungen folgen die mehr
speziellen —, sind zwei weitere Studien angeschlossen: ein
aus dem „Jewish Music Journal" Bd. II/2, New York 1935
nachgedruckter Aufsatz, The Responsum of Maimonides
concerning Music sowie ein 1955 vor dem „Institute for
Religious and Social Studies at the Jewish Theological Se-
minary of America" gehaltener Vortrag, Law and Ethics
in the light of the Jewish tradition. Letzterer arbeitet an
konkreten Beispielen methodisch sauber den Unterschied
zwischen Ethik und Gesetz bzw. Moral und gesetzlichen
Verordnungen heraus, während ersterer in einem anregenden
Streifzug von der Antike bis zur Gegenwart die Auseinandersetzungen
im Judentum um das Musikverbot entfaltet
. Die Trauer um den Verlust des Tempels hatte einst
dieses Verbot herbeigeführt. Es wurde jedoch mit wachsendem
historischem Abstand von diesem Ereignis immer unpopulärer
, und alle späteren Verschärfungen konnten nicht
verhindern, daß trotzdem Musik geübt wurde.

Die Vorträge vor der „Rabbinical Assembly of America"
kreisen um die Frage, in welcher Form das Judentum, ohne
seine Sustanz zu verlieren, sich in der modernen technischen
Welt, in die es in den USA hineingestellt ist, behaupten
kann. Wie C. in seinem Vortrag von 1948, Towards
a philosophy of Jewish law (S. 1—38) ausführt, sind das
liberale Judentum, weil es die Tradition preisgibt, und das
orthodoxe Judentum, weil es sich in einem starren Literalismus
und Dogmatismus festgefahren hat, unfähig, der bestehenden
Lage zu begegnen. Die richtigen Ansätze hat
nach dem Vf. allein das konservative Judentum, dem er
sich selbst zurechnet und auf dessen geistige Väter, Z. Frankel
, H. Graetz und Solomon Schechter er sich oft beruft. In
seiner sowohl konservativen als auch flexiblen Haltung
geht es davon aus, daß das Judentum ein Produkt historischer
Kräfte ist und sich gleich jedem Organismus in einem
Zustand dauernden Flusses befindet (S. 18—21). Festgehalten
wird an der Lehre der göttlichen Inspiration und der
Unveränderlichkeit des Mosaischen Gesetzes (S. 22—26).
Flexibilität besteht hingegen, wobei man sich auf die Rab-
binen des Talmud berufen kann, bei der Interpretation,
welche die historische Entwicklung des Gesetzes im Auge
haben muß (S. 26 ff.).

Mit der Aufgabe der Interpretation beschäftigt sich bereits
der Vortrag von 1935 (S. 39—61), Canons of Interpretation
of Jewish Law. Es gilt einerseits, das Ziel des Gesetzes
zu beherzigen, das C. mit „physical and spiritual happi-
ness" definiert (S. 57), andererseits so viel als möglich von
dem echten jüdischen Gesetz und Brauch selbst unter den
modernen Bedingungen zu bewahren (S. 59). Der Schulchan
Aruch war auf die Bedürfnisse der Juden im Ghetto von
Kleinstädten abgestimmt, die von jeder geistigen und sozialen
Berührung mit der Umwelt abgeschlossen waren.
Die neue Lage, die sich durch das rasche Einströmen von