Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1971

Spalte:

264-265

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Kapelrud, Arvid S.

Titel/Untertitel:

The violent Goddess 1971

Rezensent:

Zobel, Hans-Jürgen

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

263

Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 4

264

Aber Crüsemanns Arbeit ist nicht eine bloße Bestätigung
der Gunkelschen Methoden und Ergebnisse, die etwa bereits
anerkannte Wahrheiten schärfer ins Auge fassen wollte
. Es ist dem Verfasser darüber hinaus gelungen, die ältere
Forschung an wichtigen Punkten zu berichtigen und weiterzuführen
. Das gilt bereits von der genauen Erfassung und
Beschreibung der Formsprache des Hymnus sowie von der
mit neuer Schärfe durchgeführten Unterscheidung zwischen
Hymnus und Danklied.

Unter den verschiedenen hymnischen Redeformen unterscheidet
Crüsemann als die wichtigste den sog. imperativischen
Hymnus, der zuerst im Mirjamlied begegnet. Sein
hervorstechendstes Kennzeichen ist die imperativische Mahnung
zum Lob: »Singet Jahwe!" Darauf folgt ein mit 13
eingeleiteter Satz, der gewöhnlich als Begründung verstanden
wird, von Crüsemann aber als Vollzug des im Anruf
geforderten Lobes gelten soll: „Ja, hoch erhob er sich."
Aus dieser einfachen Grundform, die als genuin israelitisch
anzusehen ist und keine exakten Parallelen bei den Nachbarvölkern
hat, sind viele der großen Hymnen des Psalters
entsprungen, und zwar durch weiteren Ausbau und Entfaltung
der ursprünglichen Formelemente. Von seinen Anfängen
bis in die späte Zeit besingt der imperativische Hymnus
die grundlegenden geschichtlichen Heilstaten Jahwes
an sein Volk.

Da5 der Sitz im Leben des imperativischen Hymnus im
regelmäßigen Gottesdienst der Gemeinde zu suchen ist,
kann nach Crüsemann nicht bezweifelt werden, ohne daß
er jedoch einer einzigen, eindeutig lokalisierbaren Kultsituation
zuzuschreiben wäre. Bemerkenswert ist, daß ein direkter
und unmittelbarer Zusammenhang von imperativischem
Hymnus und Opferdarbringung nirgends ersichtlich
ist.

Von dem imperativischen Hymnus genau zu unterscheiden
sind die hymnischen Partizipien, die in den Büchern
Dtjes, Jer, Am, Sach und Hi erhalten sind. Im Unterschied
von den imperativischen Hymnen, die eine in Israel, und
nur in Israel, von allem Anfang an lebendige Form darstellen
, handelt es sich bei den hymnischen Partizipien um
ein feststehendes Formelement der altorientalischen Hymnik
mit zahlreichen mesopotamischen und ägyptischen Parallelen
. Als Kennzeichen der Partizipialaussagen nennt Crüsemann
, daß sie keinen Bezug auf Israel nehmen und den
Jahwenamen nicht nennen. Von Israel ist diese hymnische
Form erst verhältnismäßig spät, jedenfalls erst nach der
Königszeit aufgenommen worden. Allmählich ist dann eine
Annäherung an den imperativischen Hymnus wahrnehmbar.
Namentlich ist das Eindringen der Geschichtstraditionen in
den hymnischen Partizipialstil ein später und zögernd einsetzender
Prozeß. Umgekehrt wird, gleichfalls erst in später
Zeit, der Partizipialstil in den imperativischen Hymnus
eingebaut. Auf Grund verschiedener Paralleltexte, die unterschiedliche
Stufen der Verbindung und Zusammenflechtung
der beiden Stilformen darstellen, macht Crüsemann einen
scharfsinnigen und interessanten Versuch, einen bisher unklaren
Abschnitt der Formgeschichte des israelitischen Hymnus
nachzuzeichnen.

Als eine Weiterbildung des Partizipialstils, aber zugleich
völlig eigenständige Hymnenform betrachtet Crüsemann
den partizipialen Hymnus, der in den Amosdoxologien besonders
klar erhalten ist: hymnische Partizipien werden
mit der Unterschrift „Jahwe ist sein Name" fest verbunden.
Es geht auch in diesen Partizipialaussagen um Gemeingut
altorientalischen Gottesglaubens, Beschreibungen des typischen
, immer und überall geltenden göttlichen Handelns,
das hier aber durch die zusammenbindende Unterschrift
für Jahwe reklamiert wird: „Der die Berge bildet und den
Wind schafft und der dem Menschen verkündet, was sein
Sinnen, der Morgenröte und Dunkel macht und der tritt auf
die Höhen des Landes: Jahwe ist sein Name" (Am 4,13, rekonstruierter
Text). Diese Hymnenform ist nach Crüsemann

ein Produkt der Auseinandersetzung Jahwes mit den Göttern
.

Als dritten Hymnentyp verzeichnet Crüsemann die vielgestaltigen
Hymnen des Einzelnen, die eine starke Formmischung
aufzeigen und ihren Ort im Kreis der Spiritualen
zu haben scheinen.

Ein besonderes Problem betrifft das sog. Danklied Israels
, das von Gunkel entdeckt und beschrieben wurde und
seitdem von der Forschung nahezu einstimmig als eigenständige
Gattung mit einem eigenen Sitz im Leben anerkannt
worden ist. Die Gattungsbestimmung ist jedoch schon
bei Gunkel unsicher, und es ist der jüngeren Psalmforschung
nicht gelungen, dem „Volksdanklied" eine festere
Grundlage zu geben. Crüsemanns sorgfältige Analyse, die
vergleichende Beobachtungen an Hymnen und an der Volksklage
zur Hilfe nimmt, mündet in die These aus, daß ein
Danklied des Volkes als eigenständige Gattung in Israel
nicht nachweisbar ist. Der Dank des Volkes ist schlechthin
eine Funktion des Hymnus und hat keine eigene Gattung
gebildet.

Wie verhält es sich dann mit dem Danklied des Einzelnen
? Soll man auch in ihm bloß eine Art des Hymnus sehen
oder liegt hier eine eigene, vom Hymnus unabhängige Gattung
vor? Obwohl Gunkel die Dankpsalmen für eine eigenständige
Gattung hält, hat er eine klare Grundform dieser
Psalmen nie einwandfrei beschrieben. Hier hat Crüsemann
durch seine sorgfältige Analyse der ziemlich spärlichen
Texte - es handelt sich um folgende Psalmen: 30,
32, 41, 66B, 118, 138, weiterhin Jes 38, Jon 2,3—10, Jes Sir
51 — nicht nur feste Formmerkmale nachweisen können,
durch welche sich diese Lieder von anderen Psalmenformen
charakteristisch unterscheiden, sondern auch eine kultische
Situation angegeben, in der die Dankpsalmen ihren natürlichen
und formbestimmenden Ort haben. Als konstitutives
Formmerkmal der Dankpsalmen des Einzelnen nennt Crüsemann
das „Reden in zwei Richtungen": die direkte Anrede
an Jahwe (Toda-Formel) und den Bericht vor der versammelten
Gemeinde über Jahwes Tun. Dieses Reden an zwei
verschiedene Adressaten wird aus einer bestimmten kultischen
Situation her verständlich, dem Toda-Opfer. Die dankende
Jahweanrede gehörte ursprünglich zur Übereignung
des Opfertieres an Jahwe, während der Bericht in der Runde
der Zuhörer beim anschließenden Opfermahl gegeben
wurde.

Die weitere Geschichte des individuellen Dankliedes zeigt
eine teilweise Auflösung dieser strengen Bipolarität, und
zwar durch Aufnahme weiterer Formelemente, ohne daß
jedoch die konstitutive Doppelheit der Adressaten ganz
verwischt wird. Diese Entwicklung wird von Crüsemann
wohl mit Recht als ein Spiritualisierungsprozeß verstanden.
Sie spiegelt die allmähliche Ablösung von der kultischen
Situation wider.

Crüsemann hat durch seine Untersuchung die formgeschichtliche
Erforschung eines wichtigen, aber seit Gunkel
wenig bearbeiteten Gebietes wesentlich gefördert.

Lund/Schweden Gülls Gerleman

Kapelrud, Arvid S., Prof.: The Violent Goddess. Anat in the
Ras Shamra Texts. Oslo: Universitetsforlaget (1969). 126
S. 8° = Skandinavian University Books. Norw. Kr. 39.—.
Man hat seit der Studie K.s über den Gott Baal in den
Ras-Schamra-Texten von 1952 längst auf eine ähnliche Abhandlung
über die Göttin Anat gewartet, weil diese beiden
Gottheiten so eng miteinander verbunden sind, daß man
Baal nicht ohne seine Beziehungen zu Anat und Anat wiederum
nicht ohne ihre Verbundenheit mit Baal voll begreifen
kann. Nun liegt diese Untersuchung vor und ergänzt
aufs trefflichste die frühere Arbeit des Vf.s.