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Ausgabe:

1971

Spalte:

262-264

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Crüsemann, Frank

Titel/Untertitel:

Studien zur Formgeschichte von Hymnus und Danklied in Israel 1971

Rezensent:

Gerleman, Gillis

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Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 4

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aber, nachdem es alles erhalten hat, untreu gewesen. Die
Totengebeine von Ez. 37,1—14 illustrieren die Radikalität
des Todes Israels, das um seiner Vergehung willen alles
verloren hat, nicht nur ein bisher von Jahwe unfertig gehaltenes
Gut. Und die Heilsverheißung von Ez. 20,32 ff.,
die der Verfasser nicht näher behandelt, meint darum nicht
nur die Ergänzung des bisher Unvollkommenen, sondern
Leben aus dem Tod, ein neues Anheben in einer neuen
Exodustat Jahwes.

Dieses kritische Gespräch mit dem Vf. möchte nicht verdunkeln
, daß der Rezensent dessen Arbeit mit gespanntem
Interesse gelesen hat und ihr für all ihre Anregung dankbar
ist, auch wo er meint widersprechen zu müssen.

Göttingen Walther Zimmerli

Scharbert, Josef: Prolegomena eines Alttestamentlers zur
Erbsündenlehre. Freiburg-Basel-Wien: Herder [1968]. 128
S. 8° = Quaestiones Disputatae, hrsg. v. K. Rahner u.
H. Schlier, 37.

Scharberts Studie, eine streng exegetische und historische
Arbeit, die er allzu bescheiden „Prolegomena" nennt, hat
eine ausgesprochen dogmatische Zielsetzung. Sie will also
nicht nur einen alttestamentlichen Tatbestand feststellen,
sondern eben damit systematische Themen einer Klärung
näher führen.

Es geht dem Verfasser um die Frage, ob und, wenn ja,
in welcher Richtung das Alte Testament etwas zu dem viel
verhandelten Problem der Erbsünde beitragen kann. Er
zeigt zunächst, daß sowohl evangelische wie katholische
Dogmatiker heute weithin am Alten Testament vorbeigehen
und die loci classici. Gen. 3 und Ps. 51,7, entweder überhaupt
nicht behandeln oder in ihrer Bedeutung abwerten.

Um nun seinerseits zu einer rechten Wertung alttesta-
mentlicher Aussagen zu kommen, stellt er zunächst die Vorstellungen
dar, die über die Sündenverfallenheit der Menschheit
in der Umwelt des Alten Testamentes zu erkennen sind,
mit dem Ergebnis, dafj schon in dieser Umwelt der Gedanke
lebendig war, der Mensch sei ein „Sünder" und könne
die Sünde „erben". Israel konnte also an solche Gedanken
anknüpfen.

Wenn diese aber nun in Israel besonders lebendig wurden
, so deswegen, weil Israel vom „Clandenken" bestimmt
war. Sch. stellt diese Clanverfassung ausführlich dar, sieht
er in ihr doch den Ansatzpunkt für den Zusammenhalt Israels
als „Großclan", in dem die Generationen so eng miteinander
verbunden sind, daß „Heil" und „Unheil", „Ver-
heifjung" und „Gericht" über die Zeiten hinweg sich auswirken
. „Israel" lebt aus dem „Erbe" der einst den Vätern
zuteil gewordenen Verheißung, steht aber auch unter dem
»Erbe" der „Sünde", die in mannigfacher Weise in den Generationen
weiterwirkt und das Heil, den „schalom" des
Volkes zerstört.

Von diesen allgemeinen Voraussetzungen aus wird die
Sündenfallerzählung des Jahwisten interpretiert, als ein
Versuch, die „verheerende Gewalt der Sünde", die er in seiner
Zeit, der Rehabeams, besonders erfährt, aus der ältesten
Vorzeit, der Zeit der ersten Menschen zu erklären. Sch.
legt dabei besonderes Gewicht darauf, dafj die erste Sünde
in Solidarität von Mann und Frau geschah. Gewiß scheint
diese Erzählung des J. zunächst nicht weiter zu wirken;
aber die Propheten wissen insgesamt um den Zusammenhang
der Sünde, der Israels Leben zerstört, wie ebenso die
Erzähler, Elohist und Deuteronomist, die Israels Sünde dar-
Jn sehen, daß es seit den Tagen des Mose immer wieder
zum Kult fremder Götter neigt. Ps. 51 zieht gewissermaßen
den Schluß, wenn er in V. 7 „jenen Zustand der Gottesferne
, des verfehlten Heils, in den jeder Mensch vom ersten
Augenblick seines Daseins an eingetaucht ist", andeutet.

Endlich geht Sch. der Frage nach, wie die Jahwistische
Erzählung weiter gewirkt hat in der Redaktion des Jeho-

wisten, beim Priesterkodex, bei „R." und in der späteren
Weisheit. Hier glaubt Sch. manche Neuinterpretation feststellen
zu können, die die radikalen Gedanken des J. abmildern
soll.

Von hier aus versucht er dann Thesen, die vor allem in
den wohl meist auf katholischer Seite geführten Streit um
Monogenismus oder Polygenismus eingreifen (zugunsten
eines „gemäßigten Polygenismus"), sowie die Bedeutung
unterstreichen, die schon die falsche sittliche Entscheidung
eines Einzelnen für die Gesamtheit haben kann, wobei wieder
an Stelle biologischer Abstammung die Solidarität in
der Gesinnung entscheidend ist.

Das ist nur ein kurzer Hinweis auf Schaberts Gedankengang
, der mit reichen Literaturhinweisen untermauert ist.

Daß ein Exeget zu der Arbeit eines anderen manche Fragezeichen
macht, ist bei dem gegenwärtigen Stand unserer
Wissenschaft nur verständlich. So mache ich Fragezeichen
zu dem, was zum Elohisten, Jehowisten und Priesterkodex
gesagt ist. Ist die Exegese des J. im einzelnen nicht zu sehr
von der vorausgesetzten Zeit, der Zeit nach Salomo, abhängig
? Aber diese und manche anderen historischen Fragen
sind in diesem Zusammenhang nicht wichtig.

Bedeutsam an dieser kurzen Studie ist:

1. die Methode. Sch. konnte an seine Studien über die
Solidarität von Segen und Fluch anknüpfen, die ihm den
Begriff der „Vererbung" in einem neuen Licht erscheinen
ließen und ihm damit den Zugang zu den prophetischen
Aussagen erschlossen.

2. das Ergebnis: Das Alte Testament weiß um „Erbsünde
". Freilich ist „Vererben" für das Alte Testament kein biologischer
, sondern ein soziologischer bzw. geistig-kultureller
Vorgang, der mit dem Zusammenhang der Generationen
verbunden ist, in den jeder einzelne hinein verflochten ist.

3. das Ziel. Im Unterschied zu vielen alttestamentlichen
Theologen, die bewußt dem Dogmatiker nur das Material
bereitstellen wollen, mit dem dieser sich dann auseinandersetzen
soll, wagt Schabert selbst in das dogmatische Gespräch
einzugreifen. Er formuliert ein „verbindliches Keryg-
ma" des Alten Testamentes, dessen erster Satz heißt: „Alle
Menschen sind vom ersten Augenblick ihres Lebens an Sünder
im alttestamentlichen Sinn, d. h., sie werden in einen
Zustand der Gottesferne, der Heillosigkeit hinein geboren."

Gewiß mag man manche der weiterhin ausgeführten Thesen
und Hypothesen kritisch beurteilen (siehe dazu Schaberts
eigenes Urteil S. 117), daß ein Alttestamentler unmittelbar
am dogmatischen Gespräch sich beteiligt, scheint
mir grundsätzlich ein Fortschritt zu sein.

Greifswald Alfred Jepsen

Crüsemann, Frank: Studien zur Formgeschichte von Hymnus
und Danklied in Israel. Neukirchen-Vluyn: Neukir-
chener Verlag d. Erziehungsvereins [1969). IX, 348 S.
gr. 8° = Wissenschaftl. Monographien z. Alten u. Neuen
Testament. In Verb. m. F. Hahn u. O. H. Steck hrsg. v.
G. Bornkamm u. G. v. Rad, 32. DM 54,80; Lw. DM 57,80.
Als das am besten bewährte Ergebnis der Gunkelschen
Gattungsforschung dürfte man ohne Zweifel das neue Verstehen
der Psalmen und ihrer Formenwelt betrachten. Fast
40 Jahre nach dem krönenden Abschluß seiner Psalmenforschung
ist Gunkels Erarbeitung der formgeschichtlichen
Methode gerade für den Psalter in allem wesentlichen unbeanstandet
geblieben, und die überwältigende Mehrzahl
aller späteren Arbeiten zu den Psalmen beruhen immer
noch auf der von Gunkel hergestellten Grundlage. Das gilt
auch von der hier zu besprechenden Arbeit, einer Mainzer
theologischen Dissertation, die von ihrem Verfasser als eine
„Nachprüfung der Gunkelschen Bestimmungen des Hymnus,
des Dankliedes Israels und des Dankliedes des Einzelnen"
bezeichnet wird (S. 13).