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1971

Kategorie:

Bibelwissenschaft

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Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 4

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sammenhänge, ferner über die Wirkungsgeschichte bis hin
zu Shakespeare, Milton und den Pilgervätern. Ihren Vorgängern
gegenüber verdankt die Genfer Bibel ihre Entstehung
dem Exil, in das sich wertvolle Kräfte des englischen
Protestantismus unter Maria Stuart begaben. B. geht den
Wegen dieser Männer im einzelnen nach und kommt zu
dem Ergebnis, daß aller Wahrscheinlichkeit nach für die
Genfer Bibel, eine Gemeinschaftsübersetzung, 2 Männer
hauptverantwortlich waren: WilliamWhittingham als Hauptherausgeber
und für das Neue Testament, Anthony Gilby
für das Alte Testament, „the most competent of the English
linguists of the time"! Neben ihnen werden noch eine ganze
Reihe weiterer Namen genannt, die alle in das stark ausstrahlende
Feld der englischen Exulantengemeinde in Genf
um 1560 gehören.

Es muß als besonderer Umstand gewertet werden, daf}
die Übersetzung in Genf entstand, wo sich in dieser Zeit
eine hochentwickelte Bibelauslegung mit einer erstklassigen
Buchdruckerkunst traf. Hier sind auch Einflüsse von Teilbibelausgaben
zu verzeichnen, die unmittelbar vor 1560 in
Genf erschienen. Typographisch ist die Genfer Bibel insofern
ein modernes Unternehmen, als sie im Druckbild Wörter
, die der Verständlichkeit wegen über die Übersetzung
des Wortlautes hinaus ergänzt sind, von der eigentlichen
Übersetzung unterscheidet. Auch die relativ wenigen Holzschnittillustrationen
im Pentateuch, den Königsbüchern und
bei Ezechiel sowie die Landkarten sind, wie das Vorwort
der Bibel versichert, der besseren Verständlichkeit wegen
beigefügt.

Die theologische Bedeutung der Genfer Bibel ist außer
in der Übersetzungsleistung in den Randbemerkungen zu
sehen. Diese sind bisher noch nicht im Zusammenhang untersucht
und gewertet worden. B. spricht mit Recht von dem
-Calvinistic tone", dem sie folgen, und gibt Einzelbeispiele
dafür, wie sie sich ausgewirkt haben. Interessant ist, daß
sie für die Apokryphen des Alten Testamentes fast vollständig
fehlen, am ausführlichsten — soweit ich sehe — bei der
Apokalypse auftreten. Auch in den Vorworten zu den einzelnen
biblischen Büchern konzentrieren sich theologische
Aussagen. Die Faksimileausgabe macht es möglich, daf} die
Forschung sich nun diesem Komplex in vollem Umfang zuwenden
kann.

In diesem Zusammenhang könnten eine Reihe von Einzelbeobachtungen
notiert werden, die sich sozusagen auf
den ersten Blick ergeben. So hat man in der Genfer Bibel
z. B. eines der frühen Beispiele für eine Bibel mit Verseinteilung
vor Augen, die Konrad Burdach 1924 „eine einschneidende
Neuerung . . . von großem Erfolg, aber verhängnisvoller
Wirkung" genannt hat, da sie die Bibel „aus
einer geordneten Reihe poetischer, geschichtlicher, lehrhaftere
Bücher ... in einen großen Stapel erbaulicher Sprüche"
verwandelt „und das historische Element ... zu Gunsten
des praktischen religiösen Bedürfnisses" aufgelöst hat. Aber
man fragt sich auch, ob es ein Zufall ist, daf} die Übersetzer
der Genfer Bibel es für notwendig gefunden haben, überwiegend
die Kultgegenstände und -gebäude des Alten Testamentes
durch Bildillustrationen anschaulich zu machen.
Es dürfte wohl auch kein Zufall sein, daf} ein und dieselbe
Illustration des Schilfmeerwunders dreimal in diesem Buchdruck
auftaucht: als Bild auf dem Titelblatt zum Alten und
zum Neuen Testament, jeweils kommentiert mit Ex. 14,12
u. 14 und Ps. 34,19, und als Illustration im Text von Ex. 14,
dort aufjergewöhnlicherweise mit ausführlichem theolo-
9 i s c h e m Kommentar. Sollte sich darin das Selbstverständnis
der Genfer Exulanten oder ihre Deutung der zeitgenössischen
Kirchengcschichte widerspiegeln?

Die Veröffentlichung dieser Faksimileausgabe ist sehr
verdienstvoll und kann nur nach allen Seiten hin begrüßt
werden.

Eisenach Ernst Koch

Wunderli, Peter: Die mittelalterlichen Bibelübersetzungen
in Südfrankreich (ZRGG 22, 1970 S. 97-112).

ALTES TESTAMENT

Lust, Johan: Traditie, Redactie en Kerygma bij Ezechiel.

Een Analyse van Ez., XX, 1—26. Brüssel: Palais der Aca-
demien 1969. XIX, 176 S. 4" = Verhandelingen van de
Koninklijke Vlaamse Academie voor Wetenschappen, Letteren
en schone Künsten van Belgie. Klasse der Letteren,
Jg. XXXI, 65. bfr. 367.—.

Die bei J. Coppens (Löwen) gearbeitete und in den Abhandlungen
der flämischen Akademie der Wissenschaften
vorgelegte Dissertation von J. Lust setzt es sich zum Ziel,
Probleme des Ezechielbuches durch eine gezielte Untersuchung
an einem Teilstück desselben zu erhellen. Wenn dafür
gerade Ez. 20 gewählt wird, so ist damit ohne Zweifel
ein charakteristisches Textstück herausgegriffen. Die Zuweisung
desselben durch Hölscher u. a. an einen jüngeren
Redaktor dürfte der ausgeprägten Eigenart dieses Stückes,
das gedanklich von den großen, zweifellos „echten" ge-
schichtsthcologischen Bildreden von Ez. 16 und 23 nicht getrennt
werden kann, nicht gerecht werden.

In einer einleitenden Übersicht über die neueren Beurteilungen
dieses Textstückes (S. 5—24) unter den Gesichtspunkten
der Einteilung und Struktur, der Authentizität, der
historischen Situation und der traditionsgeschichtlichen Beurteilung
läßt der Vf. die Fragerichtungen erkennen, die
im weiteren in 5 Kapiteln verfolgt werden.

In diesen wird, ausgehend von der Untersuchung der
äußeren Formelemente (Kap. 2 S. 25—70 Einleitungs- und
Rahmenformeln „Kaderformules"; Kap. 3 S.71—94 Gebrauch
des Elementes 'adönl in den „kaderformules"; Kap. 4 S. 95
bis 112 Struktur und Einteilung von Ez. 20 aufgrund der
Orakclumrahmung) zu den inhaltlichen Verständnisfragen
hingeführt. Kap. 5 (S. 113-146) sucht die Bedeutung der
Vokabeln tö'ebäh und s p t, die in 20,4 thematisch der
folgenden Erörterung vorangestellt sind, zu klären, tö'ebäh
bezeichnet danach vor allem fremde, synkretistische
Gottesdienstformen. In dieser Perspektive ist nach dem Vf.
auch die Übertretung der Sabbatordnung, deren Erwähnung
er wohl mit Recht gegen Eichrodt als Ez. 20 ursprünglich
zugehörig bewertet, zu verstehen, s p t hat nach ihm
bei Ezechiel die Bedeutung „verurteilen, strafen". So versteht
er den als selbständige Einheit betrachteten Zusammenhang
v. 4—26 denn als eine begründete prophetische
Strafverkündigung. Die Strafe, auf welche die Erörterung
von 4 ff. hinausläuft, ist in der Zerstreuung unter die Völker
zu sehen (v. 23 f.). Die schwierige weitere Aussage v.
25 f., daß Jahwe Israel ungute Gebote gegeben habe, die
ihm nicht zum Leben dienten, meint der Vf. im Gefälle von
v. 23 f. verstehen zu müssen i Durch die Zerstreuung unter
die Völker zwingt Jahwe Israel, die unguten Gesetze dieser
Völker mit zu befolgen — Gesetze, die nun in der Tat nicht
zum Leben führen. Mit dem Gesamtverständnis der zentralen
Einheit von Ez. 20 befaßt sich ein letztes, 6. Kapitel
(S. 147—169), bevor eine holländische und eine französische
Zusammenfassung den Band beschließen. Im Blick auf die
Herkunft des verwendeten Stoffes möchte der Vf. lieber
nicht von einem hcilsgeschichtlichen Credo reden. Er verweist
auf das literarische Genus des „historischen Prologs"
der altorientalischen Vertragstexte, wie es von Mendenhall
u. a. in die Diskussion eingeführt worden ist. Auf dessen
Hintergrund kann Ez. 20 dann als eine eigenständige (und
eigenwillige) Interpretation von Israels Geschichte verstanden
werden. Das n s ' j a d von 20,5 f.15.23 (28.42) ist dann
nicht von einem göttlichen Schwur zu verstehen, sondern
besagt das kräftige Eingreifen Jahwes in die Geschichte
seines Volkes. Ezechiel stellt die Anfangsgeschichte seines