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Ausgabe:

1971

Spalte:

223-226

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Schwintek, Martin

Titel/Untertitel:

Die Kirche der Sünder 1971

Rezensent:

Persson, Per Erik

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Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 3

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universalen Struktur nicht aufgehoben, sondern unzweideutiger
ausgelegt denn je" (62). Damit aber bekommt
der noachitische Blutbann von Gen. 9,6 fundamentale,
auch heute das Denken bestimmende Geltung; der Vf.
sieht in ihm eine „theologische Ontologie der Todesstrafe"
(48). Die Darlegungen über das N.T. (49-62) haben nur
die Aufgabe, diese Geltung des noachitischen Blutbannes
als weltliches Vergeltungsrecht zu beglaubigen.

Die Studie darf für sick beanspruchen, die diffizile
Problematik vor dem Leser in einer Weise aufzurollen, die
Bewunderung verdient. Gloege versucht, die „erforder-
licke Besinnung ... in drei Denkbewegungen voranzutreiben
", in einer systematisch-deskriptiven, in welcher
der Stand der Diskussion erarbeitet wird (12-33), in einer
historisch-kritischen, in welcher die Todesstrafe im A.T.
behandelt werden soll (33-44), allerdings noch unter Ausschluß
der für den Autor zentralen Stelle von Gen. 9. Diese
kommt erst im praktisch-existentiellen Abschnitt (44-81)
zum Zuge: anläßlich der Darstellung der „theologischen
Struktur der Todesstrafe" (66 ff.) wird mit christologischer
Begründung Sakralrecht und Sippenrecht als aufgehoben
erklärt, hinsichtlich der Todesstrafe aber, und zwar im
Blick auf die Gottebenbildlichkeit des Menschen, behauptet
, sie sei die einzig angemessene privatrechtliche
Strafbestimmung für den erwiesenen Mord. Es ist freilich
schwer einzusehen, warum über den Schutz des Lebens
jedes Einzelmenschen hinaus der Gedanke der Gott-
ebenbildliehkeit gerade die Todesstrafe rechtfertigen
soll. Der Autor räumt zwar eine „Gleichzeitigkeit von
Rechtswahrung und Rechtsverzicht" ein (80), spricht
aber dennoch von der Todesstrafe als einer „Stiftung
durch Gott" (76) und sieht diese gerade in ihrer rationalen
Unbegründbarkeit erwiesen. Das zwingt zu der Frage:
was ist es mit einer so verstandenen Zwei-Reiche-Lehre,
nach welcher im „Reich zur Linken" irrationale Theolo-
gumena ein solches Vcrfügungsrecht über das doch rational
von Menschen zu verantwortende „ius humanuni"
bekommen?

Die gedankentiefe und sprachlich meisterhaft geschriebene
Studie von Gerhard Gloege hat das Verdienst,
an einer höchst realen, die menschliche Gesellschaft betreffenden
Frage, Gundprobleme theologischen Denkens
und ethischer Entscheidung vorbildlich aufgerollt zu
haben und den Leser zum verantwortlichen Weiterdenken
herauszufordern.

Wien Wilhelm Dantine

Schwintek, Martin: Die Kirche der Sünder. Eine kontrovers-
theologische Untersuchung zum Verhältnis von Kirche und
Sünde. Berlin: Evang. Verlagsanstalt, [1969]. 152 S. 8° =
Theologische Arbeiten. Unter Mitarbeit v. E. Fascher, A.
Jepsen,Lau, F. A.D.Müller, E. Schott hrsg. v. H.Urner, 28.

Die Erneuerung und Neubesinnung, die die römischkatholische
Theologie während der letzten Jahrzehnte
kennzeichnete und die sich vor allem im 2. Vatikankonzil
manifestierte, galt nicht zuletzt dem Gebiet der Ekklesio-
logie. Martin Schwintek hat in seiner Arbeit versucht, den
Inhalt dieser Erneuerung aufzuzeigen; er ist dabei von der
aus ökumenischer Sicht zentralen Frage nach dem Verhältnis
von „Kirche" und „Sünde" ausgegangen. Dies ist
seine Hauptfrage: hat sich die Entwicklung innerhalb der
römisch-katholischen Ekklesiologie inhaltlich so vollzogen
, daß man den für evangelische Theologie charakteristischen
Standpunkten in der genannten Problematik
nähergekommen ist?

Die Darstellung des Vf.s, die sich durch pädagogische
Übersichtlichkeit auszeichnet, baut auf dem umfangreichen
Material offizieller Lehrdokumente und theologischer
Darstellungen auf. In zwei einleitenden Kapiteln
wird eine instruktive Übersicht über Aussagen gegeben,
die sich auf das Verhältnis zwischen „Kirche" und
Sünde in den offiziellen Lehräußerungen und in der
römisch-katholischen Schuldogmatik beziehen. Das erste
dieser beiden Kapitel beginnt mit einer Analyse des Lebr-
schreibens Leos des IX. an Michael Kerullarios aus dem
Jahre 1053 und geht sodann - über die Konzilien von
Vienne und Konstanz - zum Katechismus Romanus und
zum Vatikanum I über, wobei besondere Aufmerksamkeit
der für die vierziger und fünfziger Jahre richtungweisenden
Enzyklika Pius des XII. „Mystici corporis" aus
dem Jahre 1943 gewidmet wird. Vor diesem Hintergrund
wird schließlich die dogmatische Konstitution
„Lumen Gentium" des 2.Vatikanums mitsamt dem
Konzilsdekret über den Okumenismus analysiert. Die
früher durchweg eingehaltene Trennungslinie zwischen
der makellosen Kirche als göttlicher Institution auf der
einen und - auf der anderen Seite - ihren Gliedern, die
durch Sünde befleckt sein können, wird in den erwähnten
Konzilstexten durch die für sie neue, eschatologische
Dimension zwar modifiziert (ein Beispiel dafür ist, daß
nicht nur die Glieder der Kirche - wie noch in „Mystici
corporis" -, sondern die Kirche selbst, wie es heißt, verwundet
wird durch die Sünde der Glieder, Lumen Gentium
11), bleibt jedoch nach Meinung des Vf.s im Prinzip
unverändert bestehen.

In Kapitel IT werden die Aussagen über die Relation
von Kirche/Sünde in acht deutschsprachigen Lehrbüchern
untersucht. Hier hätte man es gern gesehen, wenn auch
Dogmatiker aus anderen Sprachbereichen in die Diskussion
mit einbezogen worden wären. Vor allem vermißt
man Charles Journets einflußreiches „L'Eglise du Verbe
Incarne". Besondere Aufmerksamkeit wird Prümm und
Schmaus gewidmet, die beide den Zusammenhang von
Christologie und Ekklesiologie unterstreichen - aber auch
hier bleibt die These bestehen: „Sündig können nur die
Glieder der Kirche sein", nicht aber „die Kirche als
solche".

Das umfangreichste, aber auch interessanteste und am
meisten durchgearbeitete Kapitel des Buches ist das
dritte. Hier werden eine Reihe von Einzeluntersuchungen
zum Thema in der römisch-katholischen Theologie seit den
dreißiger Jahren behandelt. Hier stößt man auch auf ein
paar französische Theologen, de Lubac und Congar, wenn
auch nur in deutschen Übersetzungen. Schwintek weist
nach, wie allmählich die Sicht des Verhältnisses von
Kirche und Sünde von einer an die dogmatischen Handbücher
erinnernden Distinktion zwischen dem sündenfreien
„Wesen" der Kirche und ihrem „geschichtlich begrenzten
, sündhaften Dasein" auf eine zunehmende Verknüpfung
der beiden Ebenen hin verschoben wird. Das
führt dazu, daß die Kirche „sine macula et ruga" Wie
einstmals bei Augustin und Thomas von Aquin als
eschatologisches Endziel gesehen wird, daß die Grenze,
die die Schuldogmatik zwischen „der Kirche" und ihren
„Gliedern" zog, durchbrochen wird - und daß man damit
beginnen kann, von der „Sündhaftigkeit der Kirche" in
ihrem status viatoris zu sprechen.

Vier Theologen wird - dadurch, daß sie in besonderen
Abschnitten dieses Kapitels behandelt werden - besondere
Aufmerksamkeit gewidmet: Yves Congar, Karl
Rahner, Hans Küng und Rudolf Hernegger. Von großem
Interesse ist die Analyse der bahnbrechenden Arbeit, die
Karl Rahner auf diesem Gebiet mit seinem Aufsatz „Die
Kirche der Sünder" in den Stimmen der Zeit 1947 leistete.
Dort wurde zum ersten Mal die bis dahin selbstverständliche
idealistische Hypostasierung der „Kirche als solcher'*
im Unterschied zu ihren Gliedern ernsthaft in Frage gestellt
und die Kirche damit als simul saneta et peccatrix,
als „die von Gott geliebte Sünderin" angesehen - auch