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Ausgabe:

1971

Spalte:

222-223

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Gloege, Gerhard

Titel/Untertitel:

Die Todesstrafe als theologisches Problem 1971

Rezensent:

Dantine, Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 90. Jahrgang 1971 Nr. 3

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tor und steht als solche in Kontinuität mit dem weiterschreitenden
historischen Prozeß (50).

Dieser historische Prozeß aber ist selbst „nichts anderes
als Schöpfung im Prozeß ihrer Verwandlung zum
Reich Gottes" (318). Als solcher findet er seinen Höhepunkt
, aber nicht etwa sein Ende, vielmehr „seinen neuen
Beginn in der geschichtlichen Erscheinung Jesu Christi"
(319).

Diese - naturgemäß sehr grobe - Skizzierung' des theologischen
Grundgedankens läßt den systematischen Aufbau
des Werkes verständlich werden.

K. kann K.Barth, durch dessen Trinitätslehre er sich
im übrigen stark beeinflußt zeigt, naturgemäß nicht in
dem Versuch folgen, den Sinn des Wortes „Gott" erschöpfend
aus der Christusoffenbarung herzuleiten. Das
Wort „Gott" hat schon einen Sinn für uns, bevor wir
unsere christologischen Untersuchungen beginnen (5).
Dennoch bietet das Christusereignis die Norm für jedes
Keden von Gott, und die Prolegomena handeln daher
Vom Verhältnis zwischen Offenbarung und theologischer
Erkenntnis.

Darauf folgt ein Erster Teil, der unter dem Titel „The
Christian understanding of ultimate reality: The doctrine
of God", die Gotteslehre in ihrer trinitarischen Struktur
entwickelt. Der Zweite Teil behandelt- entsprechend: „Das
christliche Verständnis der Welt: Die Lehren von der
Schöpfung, Providenz und vom Eschaton". Erst im
Dritten Teil wird dann „Das christliche Verständnis des
Menschen: Die Lehren von der imago dei, der Sünde und
vom Heil" behandelt. Ein relativ kurzer Vierter Teil
schließt dann ab mit dem „Christlichen Verständnis des
erlösten Lebens: Den Lehren von der Kirche und den
Sakramenten, von der Jüngerschaft und vom Glauben".

Es scheint mir unnötig, die vielen theologischen und
philosophischen Bedenken hier im einzelnen aufzuzählen,
die das in diesem Buch entwickelte Verständnis von Offenbarung
und der ihm entsprechende theistische Gottesgedanke
auf den ersten Blick gerade bei einem deutschen
Leser wecken muß. Statt dessen sei eine, mehr subjektive
Erfahrung hier mitgeteilt. Die trinitarischen Erörterungen
des Ersten Teils ebenso wie diejenigen über die Offenbarung
in der Einleitung waren, da sie die systematische
Tragweite dieses Entwurfes nicht voll enthüllen, nicht
geeignet, solche Bedenken (beim Bezensenten) zu zerstreuen
. Paradoxerweise warfen erst die Aussagen des
Zweiten und Dritten Teiles über das Verständnis der Welt
und des Menschen so viel Licht auch auf die vorangehenden
Aufstellungen über Offenbarung und Gotteslehre, daß
die innere Konsequenz und Geschlossenheit des Gesamtentwurfes
nunmehr fast mit einem Male auf- und einleuchtete
. Danach ist es der Erste Teil, der nun zu theologischem
Um-Denken einzuladen scheint und der durch
solches Um-Denken die Möglichkeit eines fast schon verloren
gegangenen Anschlusses an die theologische Tradition
zu verheißen scheint. Sollte diese Erfahrung eine mehr
als nur subjektive Gültigkeit besitzen - und ich sehe
keinen Anlaß daran zu zweifeln-, so hätte sich die vom Vf.
gewählte „geschichtliche Perspektive" in einer geradezu
erstaunlichen Weise als fruchtbar erwiesen.

Gerade die sich erweisende Fruchtbarkeit seiner Perspektive
gibt dann aber Anlaß zu einem Desiderat, das
freilich im Rahmen eines „Gedankenexperiments", wie
der Vf. es hier vorgelegt hat, nicht erfüllt werden konnte:
K. weist m. E. mit Recht immer wieder auf die immanenten
geschichtlichen Veränderungen hin, die durch das
i.Handeln Gottes" bewirkt werden. Er wendet sich mit
ebensolchem Recht gegen den in der heutigen Theologie
vorherrschenden Spiritualismus, demgemäß man etwa
Hut K. Barth in aller Ruhe behaupten könne, diese Welt
sei vollständig erlöst und verwandelt, obwohl dem bloßen
Auge überhaupt nichts verändert erscheint (504).

Nun begnügt sich K. selbst aber mit sehr kargen und
sehr summarisch und fast traditionalistisch formulierten
Hinweisen auf solche tatsächlichen Veränderungen.
Unterstellt man aber einmal das grundsätzliche theologische
Recht dieses Hinweises, so ergibt sich daraus die
Forderung, die Geschichte dieser Veränderung für heute
ebenso zu erzählen, wie die biblischen Zeugen die „großen
Taten Gottes" ihrer eigenen Zeit je neu erzählt haben.
Natürlich erscheint es für eine nur akademische Theologie
als ausreichend, auszuführen, wie man sinnvoll davon
reden kann, daß Gott tatsächlich in der Geschichte handelt
. Der Hinweis auf das bloße ,Daß' des göttlichen Handelns
ermöglicht aber noch niemandem, diesem Handeln
Gottes in der Gegenwart mit seinem eigenen Handeln zu
antworten. Andererseits würden die Grenzen der Theologie
als einer Wissenschaft neben anderen Wissenschaften
durch einen solchen Versuch, die Geschichte des Handelns
Gottes weiterzuerzählen, mit Sicherheit gesprengt.
Wäre das aber verwunderlich, wenn - wie K. uns glaubhaft
vorsichert - Gott wahrhaftig handelt?

Trotzdem und alles in allem: Ein theologischer Entwurf,
der darin von bewunderswerter systematischer Geschlossenheit
ist, daß sich seine durchweg theozentrische Perspektive
zugleich als eine geschichtliche erweist und umgekehrt
. Ein Entwurf, der auch bei uns alsbald lebhaft
diskutiert und - übersetzt werden sollte.

Dortmund Walter Bartmann

Gloege, Gerhard f: Die Todesstrafe als theologisches Problem.

Köln-Opladen: Westdeutscher Verlag [i960]. 105 S. gr.8° =
Arbeitsgemeinschaft f. Forschung d. Landes Nordrhein-
Westfalen. Geisteswissenschaften, hrsg. v. L.Brandt, IHS.
Kart. DM 10,90.

Der vorliegenden Veröffentlichung liegt offenbar ein
vor der „Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes
Nordrhein-Westfalen" gehaltener Vortrag zugrunde;
nähere Umstände, Datum usw., sind nicht zu erfahren,
sondern lediglich aus der angefügten Diskussion (91-105)
zu erschließen. Dies zu vermerken, ist nicht überflüssig,
da die deutsche Situation eines der bestimmenden Motive
für die gesamte Studie selbst ist, wie aus vielen Einzelzügen
hervorgeht, vor allem die interimistische Abschaffung
der Todesstrafe in der Bundesrepublik und ihre
prinzipielle Beibehaltung in der Deutschen Demokratischen
Republik (10-11). Dieser Situationsbezogenheit,
die den tiefschürfenden theoretischen Überlegungen
Farbe und Aktualität verleiht, was auch in Absicht und
Erwartung des Autors liegt (80), verbindet sich nun eine
theologische Prämisse, die zwar nicht als solche benannt
wird, aber die deutlich als Ziel der ganzen Gedankenführung
in Erscheinung tritt, nämlich „die Auflichtung
der berühmt-berüchtigten ,Zwei-Reiche-Lehre'" (63). Sie
wird dem Autor zum entscheidenden Schlüssel für die verhandelte
Gesamtproblematik, wobei auffällt, wie knapp
deren positive Begründung und ihre Absetzung von einem
im Luthertum geläufigen statisch-dualistischen Verständnis
gerät, und wie breit der Nachweis ihrer Geltung bei
Calvin (63-66); stoßen wir hier auf ein weiteres, ein
km henpolitisch-konfessionelles Motivfür die Abhandlung?
Dieser Schlüssel verantwortet jedenfalls die vom Autor
gefällte Grundentscheidung, wonach er mit Karl Barth
jeglichen Sühnecharakter von Strafe überhaupt, insbesondere
der Todesstrafe, bestreitet (66 u.ö.), gleichzeitig
aber, gegen Karl Barth, ihren Vergeltungscharakter
hervorhebt (69). Dies ermächtigt Gloege zur besonders
qualifizierten Herausstellung der währenden Geltung des
„noachitischen Bundesrechtes" (45ff.), denn „im escha-
tologischen Horizont wird der noachitische Bund in seiner