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Ausgabe:

1971

Spalte:

217-218

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Wilde, Frank-Eberhard

Titel/Untertitel:

Kierkegaards Verständnis der Existenz 1971

Rezensent:

Gerdes, Hayo

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217

Theologische Literaturzeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 3

218

ner je auf ihren Standpunkt stellen und den des anderen
respektieren. Denn wenn der Theologe die Offenheit
philosophischen Fragens und der Philosoph die Glaubensbindung
des Theologen anerkenne, sei das Gespräch am
fruchtbarsten. Dagegen ist nichts zu sagen, solange man
sich bewußt bleibt, daß damit die Probleme erst beginnen.
Doch ist dieser elegische Schluß charakteristisch für das
vorliegende Buch, das über eine im allgemeinen sachgemäße
kritische Darstellung des Dialogs zwischen Jaspers
und Bultmann nicht wesentlich hinausführt.

lic-rlln Waltor Schmlthate

Wilde, Frank-Eberhard: Kierkegaards Verständnis der Existenz
. Copenhagen: Rosenkilde and Bagger 1909. 170 8.
gr. 8° = Publieations of (he Kierkegaard Society, Copenhagen
, III. dän. kr. 32.-.

Der Vf. setzt sich zum Ziel, Kierkegaards Begriff der
„Existenz" zu klären. Dies sei noch nicht ausreichend geschehen
. Bisher habe man sich, wie z. B. die dialektische
Theologie, mit einem „verkürzten"' Kierkegaard begnügt
, weil allein ein solcher sich für „zugkräftige Programme
" verwerten lasse. Vf. weiß sich jedoch mit Ema-
nuel Hirsch darin einig, daß man zu einem besseren
Kierkegaard-Verständnis „nur auf dem Wege und mit den
Mitteln der historisch-kritischen Methode gelangen"
könne. Dabei folgt der Vf. auch darin Hirsch, daß er auf
eine systematisierende Betrachtung verzichtet und der
Entwicklung des Kierkegaardschen Denkens nachgabt
.

Zweifellos ein lobenswertes Unternehmen. Der Vf. verbaut
sich jedoch selbst den Weg zu einem befriedigenden
Ergebnis, und zwar dadurch, daß er reine „Wortuntersuchung
" betreibt, unter dem Zwang der Behauptung:
„Kierkegaards Verständnis der Existenz läßt sich nur an
dem Gebrauch ablesen, den er vom Wort .Existenz'
macht." (Dementsprechend tadelt der Vf. an der Übersetzung
Hirschs, daß „für .Existenz' nicht immer ,Existenz
' als Äquivalent gebraucht wird, ohne daß eine Regel
dieses Schwankens erkennbar wäre").

Nun gehört aber gerade Kierkegaard zu den scheinbar
unsystematischen Denkern, die sich nicht auf eine starre
Terminologie festlegen lassen. Kierkegaard war sich als
Romantiker viel zu sehr der Vieldeutigkeit der Sprache
bewußt, als daß er dem heute in der Theologie beliebten
Wortfetischismus hätte verfallen können.

Der Vf. untersucht Kierkegaards Verwendung des Wortes
„Existenz" in drei Blöcken: „Die Zeit vor der .Abschließenden
unwissenschaftlichen Nachschrift'"; „Die
.Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift'"; und
„Die Zeit nach der .Abschließenden unwissenschaftlichen
Nachschrift'".

Am Ergebnis des ersten Abschnitts ist besonders deutlich
die Wortverhaftetheit des Vf. zu erkennen: „Es gibt
beim jungen Kierkegaard keinen Existenzbegriff ...
Existenz ist ohne merkliches Eigengewicht sehr verschie-
denenBedeutungszusammenhängen ausgeliefert, die untereinander
nicht immer klar verbunden sind. Das Ganze des
Frühwerkes kann keinesfalls unter .Existenz' zusammengefaßt
werden."

Den Hauptteil des Buches nimmt die Analyse der
„Unwissenschaftlichen Nachschrift" in Hinsicht auf
ihren Gebrauch des Wortes „Existenz" ein. Auch hier
bedauert der Vf., daß „Climacus eine lehrhafte Erklärung
von .Existenz' nicht gibt": „Das erschwert ihr Verständnis
ungemein." Es überrascht nicht, daß der Vf. unter
diesen Umständen in seinen Schlußthesen im Grunde nur
zu tautologischen Aussagen über Kierkegaards Existenzverständnis
kommt: „Kierkegaard versteht unter Existenz
die daseinsverflochtene Vorgegebenheit (das Per-

fektum), die der Mensch immer schon ist, die aber, weil er
werdend und denkend ist, ebenso imperfektisch als sittliche
Aufgabe vor ihm steht und ihn in der so aufgegebenen
Bewegung von der Vergangenheit zur Zukunft sowohl
vor sich selbst wie auch vor die Zukünftigkeit seiner transzendenten
Eigentlichkeit bringt"; oder: „Die Existenz
steht als Ort der Ankunft des ihr zukommenden Zukünftigen
unter dem eschatologischen Vorbehalt des Noch-
nicht", usw.

Man begreift dieses Ergebnis, wenn man sieht, daß der
Vf. das gesamte Kierkegaardsche Werk nach der „Unwissenschaftlichen
Nachschrift" auf IG Seiten abhandelt,
da „in allen Schriften dieses Zeitraums die Wortfamilie
.Existenz' eine überraschend geringe Rolle spielt", oder
wenn man liest, daß die „Erbaulichen Reden" „vom
Existieren nicht reden". Damit fallen für Kierkegaards
Existenz Verständnis entscheidende Themenkreise, wie
z.B. die „Dialektik der Mitteilung" oder der Begriff „Verdopplung
" völlig aus.

So bietet denn das Buch im wesentlichen nur eine lexikalische
Behandlung des Wortes „Existenz" in Kierkegaards
Schrifttum. Aber was bedeutet das schon bei einem
Denker wie Kierkegaard!

Das reichlich Rummarische Vorfahren dos Vf. wird beispielhaft
deutlich an Anin.Gti. S.33: „Jene Äußerung Pap.IIIA214
stammt aus den Jahren 1839/40. Sie kann Hirschs Meinung,
daß die .Anfangspartion' der Dissertation bereits vor der
Examensvorbereitung 1838 geschrieben worden seien (GW
XXXI, S. VII ! ff.), weder bestätigen noch wiederlegen. Eher
gegen als für Hirschs These spricht, daß Pap.IIIA214/88f.
(1840) fast wörtlich wieder erscheint im ersten Teil der Dissertation
(SV Xlll, 106f. Anm.2)." Nun schreibt Hirsch a.a.O.:
wir haben ein um die Wende 1838/39 schon vorhandenes
Manuskript anzusetzen, was natürlich nicht ausschließt, daß es
durch Anmerkungen ... ergänzt oder berichtigt ... ist". Dali
Pap. IIIA214 in der Dissertation als Anmerkung erscheint,
spricht also gerade für Hirschs These.

Die Tagebuchaufzeichnung Pap.IA57 versteht Wilde
falsch (S.13). Nach dem Zusammenhang der Argumentation
Kierkegaards kann K(irche) hier nicht Subjekt des Nebensatzes
sein, sondern dieser ist nachträglich erläuternd hinzugefügt
worden und hat dasselbe Subjekt wie der Hauptsatz. Also nicht
die Kierkegaard ganz fremde Aussage: „Die Kirche wird sich
nicht bewußt, ob ich existiert habe oder wie ich existiert habe",
sondern: „Ich werde mir bewußt ...". Kierkegaard bezieht das
analogisch auf die Kirche, in Frontstellung gegen Grundtvig.

Die Aufz. Pap. VIB 19,10 (Wilde, S.87) muß übersetzt richtig
heißen: „Die ewige Entscheidung, die gesucht wird, verwandelt
sich durch das synthetische Moment der Zeit in der
menschlichen Existenz in ein fortgesetztes Streben."

Derartige Ungenauigkeiten sind in Wildes Buch nicht selten.

Kiel Hayo Gerde«

Brechken, Josef: Die Gottesfrage als Problem der Praxis nach

Karl Jaspers (ThGl 60, 1970 S. 165-179).
(Jobb, John B., jr.: Die christliche Existenz. Eine vergleichende

Studie der Existenzstrukturen in verschiedenen Religionen.

übers, v. H.Weißgerber. Mit einem Geleitwort v. W.Pan-

nenberg, München: Claudius Vorlag [1970]. 195 S. 8°. Kart.

DM 14,-.

Coreth, E. S.J.: Unmittelbarkeit und Vermittlung des Seins.

Versuch einer Antwort an Bernard J.F.Lonergan S.J.

(ZKTh 92, 1970 S. 313-327).
Eickelschulte, Dietmar: Religion und Wissenschaft (Wort und

Antwort 11, 1970 S.97-103).
Gonzälez-Caminero, Nemesio S.J.: La filosofia de Sciacca

dentro del „Sistema de la Verdad" (Gregorianum 51, 197"

S. 245-275).

Heinrichs, J. S. J.: Der Ort der Metaphysik im System der
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Hubbeling, H.G., Prof. Dr.: Inleiding tot het Denken van
Wittgenstein. 2. Aufl. Am sterdam- Assen: Born [1969].
120 S. kl.8° = Denkers, Hoofdfiguren van het Mensclijk
Denken, dir. par A. Jagtenborg.