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Ausgabe:

1971

Spalte:

216-217

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Long, Eugene Thomas

Titel/Untertitel:

Jaspers and Bultmann 1971

Rezensent:

Schmithals, Walter

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Theologische Literatuizeitung 96. Jahrgang 1971 Nr. 3

216

Kierkegaard unter Existenz das Existieren versteht. Er
spreche nicht von einem existentiellen Denken, sondern
von dem Denken des Existierenden. In seinen dialektischen
Distinktionen ist Olesen Larsen in der Schule
Kierkegaards ausgebildet, und wahrscheinlich besser als
alle anderen, die ihn studiert haben.

Der Inhalt der beiden Bände besteht in einer Reihe von
Artikeln über Kierkegaard, die Olesen Larsen in knapp
vierzig Jahren geschrieben hat, und der Titel trifft auf ein
Haar: Kierkegaard, von Olesen Larsen gelesen. Das Werk
besteht wirklich aus Lesefrüchten, aus einer persönlichen,
existentiellen Auseinandersetzung mit Kierkegaard entsprungen
. Der erste Band enthält ausschließlich Artikel,
die Olesen Larsen in der Zeitschrift „Tidehverv" (Zeitwende
) durch die Jahre geschrieben hat, und der zweite
Band nachgelassene Arbeiten über Kierkegaard. Die Prädikate
, die am besten die Artikel illustrieren, sind dialektisch
, existentiell und polemisch. Gegenstand seiner Polemik
werden u. a. Eduard Geismar, der große Erneuerer des
Kierkegaardstudiums in Dänemark in den Jahren nach
1920, Knud Hansen und K.E.Logstrup. Das meiste vom
Inhalt ist aber positiv und aus der persönlichen Arbeit des
Verfassers mit den Problemen entsprungen.

Zu diesen Problemen gehört auch die moderne Behauptung
, daß Gott gestorben sei, und Band II enthält
einen Artikel über „Der Tod Gottes und der lebendige
Gott", wo Olesen Larsen eine seiner Lieblingsthesen doziert
, daß alle Religion Lebensflucht sei, ein Versuch, die
übersinnliche Welt zu einem Privatbesitz zu machen. Das
gilt sowohl der christlichen Religion als auch dem modernen
Religionsersatz - nicht aber dem Worte Gottes, das
zu uns in dem Evangelium geredet wird. Wenn wir wirklich
mit Gott zu tun haben, ist er kein Objekt, und das
Kreuz ist eine Verdammnis des Menschen und seiner
Gotteserkenntnis. In diesem Verhältnis begegnet uns das
Paradox, und der zweite Band enthält vier längere Artikel
über den Paradoxbegriff bei Kierkegaard. Der erste ist
eine Einleitung, der zweite heißt „Das Entstehen des
Paradoxes", aus den „Papieren" beleuchtet, der dritte
„aus den Brocken" und der „Nachschrift" beleuchtet,
und der vierte und letzte heißt „Christentum und Existenzphilosophie
".

Überall läßt Olesen Larsen Kierkegaards eigene Texte
reden, und Beziehungen zu Kierkegaards Leben und
Psyche spielen keine Rolle. Es dreht sich überall um die
Sache, das Problem, die Existenz des Menschen und den
Menschen als ein existierendes Wesen. Damit haben aber
auch der geschichtliche und philosophische Hintergrund
Kierkegaards ihr Interesse verloren. Es dreht sich nicht
um Kierkegaards Auseinandersetzung mit Hegel, dem
System oder mit Bischof Mynster - obwohl diesem zwei
Artikel gewidmet sind mit besonderer Rücksicht auf seine
Bekehrung als junger Pfarrer in Spjellerup.

Die beiden Bände vereinigen eine Reihe von Essays.
Man darf keine systematische Disposition erwarten. Wir
stehen Analysen und keiner Synthese gegenüber, lind das
ist auch charakteristisch für die Mentalität des Verfassers,
und vielleicht auch für die Mentalität Kierkegaards. Dialektik
und Synthese schließen in der Regel einander aus.
Je geschlossener das System, desto weniger scharf ist in
der Regel die Dialektik. Je geschlossener das System, um
so schwächer ist die persönliche Herausforderung. Es war
aber eine solche, die Kierkegaard geben wollte, und dasselbe
gilt dem Schüler, der ihm im zwanzigsten Jahrhundert
am nächsten gestanden hat, Kristoffer Olesen
Larsen. Keiner hat Kierkegaard inniger studiert als er.
Daß er ihn auch richtig verstanden hat, ist nicht die
Meinung aller in Dänemark. Die Meinung des Rez. ist,
daß man, wenn man Kierkegaard existentiell studiert, tatsächlich
oft bei ihm findet, was mau sucht. Olesen Larsens
Bücher über Kierkegaard fordern große intellektuelle Anstrengung
, man darf aber darüber das Existentielle nicht

vergessen.

Kopenhagen Seren Holm

Long, Eugene Thomas: Jaspers and Bultmann: A dialogue
belwcen Philosoph} and Theology in the existentialist tra-
dition. Durham, N.C.: Duke University Press 1968. IX,
155 S. 8°. Lw. $ 5.-.

Dem Vf. geht es nicht darum, an Hand des Dialogs
zwischen Jaspers und Bultmann das Problem des Verhältnisses
von Philosophie und Theologie überhaupt zu
untersuchen. Er beschränkt sich, wie auch der Untertitol
seines Buches sagt, auf die Darstellung und Beurteilung
des konkreten Dialogs, der innerhalb der ,existentia-
listischen' Tradition zwischen Jaspers und Bultmann geführt
wurde. Dabei begnügt er sich freilich nicht damit,
den unmittelbaren, 1951 publizierten Dialog der beiden
Gelehrten zu referieren und kritisch zu durchleuchten.
Er greift darüber hinaus auf andere Äußerungen der beiden
Kontrahenten zurück, um ihre Kontroverse verständlich
zu machen.

Angesichts der Tatsache, daß Jaspers im englischen
Sprachgebiet relativ unbekannt geblieben ist, erscheint es
als sachgemäß, daß der Vf. in seinem ersten Kapitel in die
Hauptbegriffe des philosophischen Glaubens' einführt
und sich auf diese Weise die Voraussetzungen für die
folgende Untersuchung schafft. Der Hauptteil der Arbeit
gliedert sich in drei Kapitel. Zunächst bespricht Long
unter der Überschrift ,Offenbarung und Glaube' den
Gegensatz im OH'enbarungsvorständnis. der in der Tal
für das Verhältnis zwischen Jaspers philosophischem
Glauben und der Theologie Bultmanns fundamental ist.
Dabei übersieht er freilich die enge Verbindung, die bei
Bultmann zwischen dem Begriff der Offenbarung und
ihrem Inhalt, nämlich der Aufdeckung der Sünde und
dem Angebot der Rechtfertigung, besteht. Long bleibt
insofern in seiner Diskussion des Problems zu sehr dem
formalisierten Offenbarungsbegriff Jaspers verhaftet.

Das nächste Kapitel steht unter dein Thema , Glaube
und Sprache'. Es behandelt vornehmlich das Verständnis
rles Mythos, und zwar an Hand des Jasperschen Begriffs
,Chiffre' und des Bultmannschen Entmythologisierungs-
programms. Leider geht der Vf. in diesem Zusammenhang
zu wonig auf das hertucneutische Problem ein, das sich für
Bultmann mit dem Entmythologisierungsprogramm verbindet
und das schon in Bultmanns Gespräch mit Jaspers
eine große Rolle spielte.

,Glaube und Wahrheit' ist das letzte Hauptkapitel
überschrieben, das sich mit dem Verifikationsproblem beschäftigt
und in seiner Fragestellung deutlich unter dem
Einfluß der angelsächsischen analytischen Philosophie
steht. In dieser Fragehinsicht müsse Bultmann auf Jaspers
hören. Zwar könne die Vernunft den Glauben nicht
letztlich verifizieren. Aber sie sei imstande, die Grenzen
aller Weltanschauungen und alles Solbstbowußtseins aufzudecken
und so den Raum für den Glauben zu öffnen.

Freilich bleibe boi Jaspers der auf diese Weise eröffnete
philosophische Zugriff zur ,Transzendenz' sehr unbefriedigend
. Seine Rede von Offenbarung und Transzendenz
führe uns bloß bis an die Grenze, über die man nicht
hinausdenken kann. Nur wenn jemand imstande wäre, die
Analyse Jaspers' durch eine angemessene Ontologie zu
ergänzen, sei eine sachgemäße Basis gegeben, auf der sich
religiöser Glaube in philosophischer Gestalt mit dein
Selbstbewußtsein des Menschen in seiner Welt treffen
könne.

Long endet sein Buch mit der Empfehlung, im Dialog
zwischen Theologie und Philosophie sollten sich die Part.