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Ausgabe:

1970

Spalte:

172-176

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Loretz, Oswald

Titel/Untertitel:

Qohelet und der alte Orient 1970

Rezensent:

Zimmerli, Walther

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Seite 1, Seite 2, Seite 3

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 3

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wie Bultmann als Verdeckung des Kerygmas negativ bewerten
können. Es sind Aussagen der von Gott autorisierten Zeugen
seines Heilsratschlusses, seines Mysteriums, und sie gehören als
Zeugen dieses Mysteriums mit in dasselbe hinein. Aber sie sind
nur von dem Offenbarungshandeln Gottes in Anspruch genommene
menschliche Zeugen und nicht Gott selbst. So sind
auch ihre dogmatischen Aussagen nicht das Wort Gottes, das
Dogma selbst, sondern dessen menschliche Interpretation mit
den menschlichen Erkenntnismitteln und Ausdrucksmöglichkeiten
ihrer Zeit und deren Logoi. Sie sind aber deshalb nicht
nur „relative", d.h. geschichtlich bedingte und damit fehlbare
und veränderliche Aussagen im Unterschied zu der „absoluten"
Wahrheit. Diese nach dem allgemeinen Sprachgebrauch übliche
Unterscheidung von .relativ' und .absolut', paßt hier nicht und
ist bereits ein Ausbruch aus dem biblischen Erkenntnisweg.
Das Dogma, d.h. der Heilswille und -ratschluß Gottes, in dem
sein Sein und sein Handeln zusammenfallen, ist keine „absolute
" Wahrheit, weder im Sinn der .notwendigen Vernunftwahrheit
' der Aufklärung noch in irgendeinem Verständnis von
veritas revelata. Karl Barth hat das Dogma zunächst als einen
„eschatologischen Begriff" bezeichnet und angesichts der immer
mehr ausgeweiteten und theologisch unfaßbaren und willkürlichen
Verwendung des Begriffs „eschatologisch" - besser als
einen „Beziehungsbegriff". Damit bekommt der Begriff des
„Relativen" für die dogmatische Aussage eine völlig andere Bedeutung
, die dem biblischen Erkenntnisweg entspricht: sie steht
in Relation zu dem geoffenbarten Heilsratschluß Gottes, zu dem
Dogma.

Damit ist (1) dem Rechnung getragen, daß die dogmatische
Aussage in der theologischen Selbstauslegung des Textes nur eine
menschliche Zeugenaussage über den Ratschluß Gottes ist,
als eine im Verlauf des Erkenntnisvorgangs entstandene Interpretation
des Zeugnisses aus dem Bezeugten, die nicht mit der
Wahrheit Gottes identisch ist. Sie kann deshalb, auch wenn sie
aus dem Mund eines Apostels kommt, keine theologische Unfehlbarkeit
in Anspruch nehmen. Auch der Apostel kann nur glauben
, daß er den Ratschluß Gottes hic et nunc richtig interpretiert
hat. Das glaubt er freilich. Aber er beruft sich für die
Richtigkeit seiner Aussage nicht auf eine ihm persönlich zuteil
gewordene Inspiration, die deren Unfehlbarkeit garantieren
könnte, aber auch nicht auf seine persönliche Gläubigkeit und
Glaubwürdigkeit. Sondern er appelliert an den auch dem Hörer
verheißenen Geist, von dem er die Zustimmung des Glaubens
erwartet. Auf seine apostolische Vollmacht beruft er sich
nur dafür, daß seine Botschaft die Zustimmung des Glaubens
fordert. Aber diese Forderung schließt die der Zustimmung vorausgehende
Prüfung durch den Hörer nicht aus, sondern gerade
ein. Der Erkenntnisvorgang ist mit der dogmatischen Aussage
nicht abgeschlossen - es ist festzuhalten, daß er nur ein Moment
im Dienst der Verkündigung ist-, sondern setzt sich im Hören,
Glauben und Erkennen des Hörers fort und findet jeweils dort
sein Ziel und Ende, wo der Hörer den logos akoes des Apostels
als den logos theou aufnimmt (vgl. 1 Thess 2,13).

Diese (2) „Jeweiligkeit" der dogmatischen Aussagen ist zu
beachten unter dem Gesichtspunkt (a) der persönlichen Verschiedenheit
und Bedingtheit der Zeugen und (b) der verschiedenen
geistesgeschichtlich bedingten Situation, in der sie reden.
Und zwar gilt das bereits für die biblischen prophetisch-apostolischen
Zeugen selbst. Schon aufgrund dieser Variabilität der
Zeugen und ihrer Zeugnisse ist es unmöglich, von „dem" Dogma
der Kirche als einheitlicher, formulierter, unfehlbarer Größe zu
sprechen. Was die einzelnen Dogmen zur Einheit verbindet, ist
nicht eine systematisch feststellbare oder herstellbare Einheit,
sondern ihre Entstehung aus der prophetisch-apostolischen Verkündigungsgeschichte
, durch welche sie in Relation zu dem
Dogma, dem geoffenbarten Heilsratschluß Gottes, stehen.

Daraus ergibt sich (3) als Voraussetzung für alle weitere Verkündigung
und Lehre der Kirche, daß diese aufgrund des ganzen
prophetisch-apostolischen Zeugnisses geschieht, wie es im
Kanon der Schrift vorliegt. Dabei darf keiner der einzelnen
Zeugen nur für sich gehört, oder gar der eine gegen den anderen
ausgespielt werden, weil keiner von ihnen gerade so geredet
hätte, wenn er nicht die anderen hinter sich und neben sich
gehabt hätte.

Das darf aber (4) nicht zu einer Nivellierung der einzelnen
Zeugnisse in ihrer jeweiligen geschichtlichen Konkretion durch
eine systematisierende Konkordanzmethode führen. Es ist
vielmehr gerade die Voraussetzung der echten Konkordanz des
Höreiis, daß man jeden der Zeugen in seiner kontingenteil geschichtlichen
Situation und der für ihn daraus sich ergebenden
Weise seiner Verkündigung und seiner Apologie zu kennen und
zu verstehen sucht. In diesem Sinn ist die historische Arbeit des
Exegeten für den Dogmatiker unentbehrlich, um daraus die
Weite und Freiheit für seine eigene Apologie in seiner Situation
zu gewinnen. Und nur so können dann Exeget und Dogmatiker
gemeinsam dem Prediger des Evangeliums zu der Weite und
Freiheit helfen, welche uns die Bindung an die prophetischapostolische
Verkündigungsgeschichte in ihrer göttlichen Verheißung
gibt.

Worum es sich bei diesem biblischen Erkenntnisweg handelt,
hat Ernst Fuchs einmal sehr schön so ausgedrückt, daß die
Theologie nach Karl Barth gewürdigt sei, Gottes Weg zu den
Menschen mitzugehen und dabei die Menschen auf diesen Weg
Gottes zu versammeln. Und ich möchte zum Abschluß meiner
Untersuchung dazu bemerken: Wo die Theologie sich dessen
bewußt ist, wessen sie hier gewürdigt wird, da ist sie bei ihrer
Sache; und sie wird, auch wenn sie von diesem Weg abgekommen
ist, immer wieder dorthin zurückfinden.

1 Referat auf der Tagung der Aoademie international des seienees
roligieusos von Brüssel am 23.Mai 1909 in Paris über das Thema:
„Wahrheit und Autorität"

ALTES TESTAMENT

Loretz, Oswald: Qohelet und der Alte Orient. Untersuchungen
zu Stil und theologischer Thematik des Buches Qohelet.
Freiburg-Basel-Wien: Herder [1964]. 348 S. gr. 8°. Kart.
DM 32,-.

In einer gründlichen, mit weitem Horizont geschriebenen
Untersuchung unternimmt es Loretz, eine Reihe von Fragen,
die im Verständnis des Predigerbuches kontrovers sind, näher -
zu klären. Das Ziel, zu dem die Untersuchung sich hinfindet, ist
gleich in den ersten Sätzen genannt: „E3 soll erwiesen werden,
daß Qjhelet von der Eigenbegrifflichkeit seiner israelitischen
Welt her zu verstehen ist" (17).

Der Weg, den der Vf. einschlägt, ist durchsichtig und wird
ohne störende Abschweifungen eingehalten. Nach einer Einleitung
, die im Durchblick durch die neuere Forschung die Fragen
der Entstehungszeit des Buches (3., ev. noch 4. vorchristl.
Jahrb.), seines Gedankenzusammenhanges, der Beurteilung des
Inhaltes und der Einheitlichkeit desselben (Ablehnung von
Umstellungs- und Quellenhypothesen), sowie des Entstehungs-
ortes beleuchtet (17-44), werden vier Hauptkomplexe angesprochen
: 1. Qohelets Stellung im Blick auf die Weisheitsliteratur
seiner Umwelt (45-134), 2. Der stilistische Aufbau des
Buches (135-217). Hier kommt einleitend auch Art und Anteil
der Endreaktion zur Sprache. Der folgende 3. Teil, der nach dem
„Thema des Buches Qohelet" fragt (218-300), steht unter der
Frage, „ob eine inhaltliche Analyse des Buches Qohelet zum
selben Ergebnis gelangt wie die Redaktion des Buches Qohelet
und wie die Untersuchung des stilistischen Auf baus des Buches"
(218). Was der 2. Teil von der formalen Untersuchung her ergab,
soll hier die Gegenkontrolle von der Untersuchung des Inhaltes
der Aussagen Qohelets her erfahren. Ein knapper 4. Teil handelt
dann schließlich noch von der „Stellung des Buches im
Kanon de3 Alten Testamentes (genauer: vom Problem seiner
Kanonisierung) und seiner Gegenwartsbedeutung" (301-315).
In dankenswerter Weise werden nicht nur den drei ersten großen
Hauptteilen, sondern mehrfach auch den Unterteilen „Zusammenfassungen
" angefügt, welche die wichtigsten Ergebnisse
nochmals umreißen und es dem Leser ermöglichen, sich rasch zu
orientieren.

Die Untersuchung basiert auf einer breiten Auseinander-