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Ausgabe:

1970

Spalte:

150-151

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Müller-Bardorff, Johannes

Titel/Untertitel:

Verstehen und Unterweisen 1970

Rezensent:

Henkys, Jürgen

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149

Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 2

150

LITURGIEWISSENSCHAFT

Jossua, J.-P., u. Y. Congar [Hrsg.]: La liturgie apres Vatican II.

Bilans, Stüdes, Prospective. Paris: Les Editions du Cerf 1967.
419 S. 8° = Unam Sanctam, 66. ffr. 33.—.

Die 1963 promulgierte Liturgiekonstitution des II. Vatikanischen
Konzils ist inzwischen ein Stück Kirchengeschichte geworden:
Ihre im eigentlichen Sinne liturgischen Bestimmungen sind bereits
weithin überholt; ihre unleugbaren theologischen Schwächen, Abhängigkeiten
und Vorläufigkeiten treten mit wachsendem zeitlichen
Abstand immer deutlicher zutage. Es erscheint müßig, sich
jetzt noch mit einem Buch zu befassen, das sich unmittelbar als
Kommentar zu jenem Dokument versteht.

Dieser Vorbehalt erweist sich jedoch dem vorliegenden Sammelwerk
gegenüber als unbegründet. Nicht umsonst haben die
Herausgeber ihrem Kommentar die Überschrift »Die Liturgie
nach dem II. Vatikanum" gegeben; sie wollen — wie der Untertitel
besagt — Bilanz ziehen und damit zugleich die Grundlinien
einer zukünftigen Entwicklung abstecken. In bemerkenswerter
Weise unterscheidet sich der von J.-P. Jossua und Y. Congar herausgegebene
Band von einigen entsprechenden Publikationen aus
dem deutschsprachigen Raum, wie sie z. T. hier besprochen werden
konnten: Während für die zuletzt genannten Kommentare und
Kongre5berichte — unbeschadet aller redlichen Bemühungen um
eine theologische Interpretation der Konstitution — doch letztlich
die praktischen Möglichkeiten einer erneuerten Liturgie den Zielpunkt
aller Überlegungen bilden, liegt das Schwergewicht der
französischen Publikation ausschließlich auf der theologischen,
biblischen, kirchengeschichtlichen Reflexion. Ein zweiter Unterschied
ist noch augenfälliger: Die theologischen Grundsatzbeiträge
in den deutschsprachigen Veröffentlichungen bewegen sich weithin
in den gewohnten dogmatischen Bereichen und behandeln
ekklesiologische und soteriologische Fragestellungen; der französische
Kommentar legt demgegenüber großes Gewicht auf eine
ausgedehnte liturgische Anthropologie und stellt einen ganzen Abschnitt
unter die Überschrift „L'homme de la liturgie" (S. 157—238).
Zu dieser liturgischen Anthropologie gehören auch interessante
geistes- und kulturgeschichtliche Exkurse sowie liturgiesoziologische
Untersuchungen, die stark von strukturalistischen Denkhaltungen
beeinflußt sind. Es dürfte schwerfallen, in einem der
deutschsprachigen Kommentare einen Aufsatz wie den von M.
Carrouges zu finden („La liturgie ä l'heure de Ionesco", S. 179—209),
der die Krise des christlichen Kultus mit Hilfe des Ionesco-Stückes
„Die Stühle" verdeutlicht. Beide Punkte — sowohl der Verzicht auf
die Erörterung liturgischer Tagesfragen wie auch die Integration
anthropologischer, geistes- und kulturgeschichtlicher Fragestellungen
— begründen die ungebrochene Aktualität dieses Kommentars.

Natürlich darf in einem solchen Werk auch ein im speziellen
Sinn „historischer" Teil nicht fehlen: Im Anschluß an den lateinisch
und französisch abgedruckten Text der Konstitution (S. 17—107)
befaßt sich P.-M. Gy („Situation historique de la Constitution",
S. 111—126) mit der Vorgeschichte und der konziliaren Behandlung
des Dokuments. Doch schon der zweite Aufsatz, der diesem
speziell „historischen" Teil zugeordnet ist (J.-P. Jossua, „La Constitution
.Sacrosanctum Concilium' dans l'ensemble de l'oeuvre
conciliaire", S. 127—156), bietet weit mehr als einen historischen
Rückblick; die Konstitution wird hier eingeordnet in den Gesamtzusammenhang
der konziliaren Theologie: Kirche als Volk Gottes,
Kirche und Welt, Taufpriestcrtum und Amtspriestertum, Wort
Gottes und Liturgie, Kontinuität und Aktualität, Einheit und Vielfalt
kirchlicher Überlieferung — das sind so einige Themen, die
J.-P. Jossua beinahe wie in einem kleinen „Konzilskompendium"
behandelt.

Auf den ausgedehnten liturgieanthropologischen Abschnitt
wurde bereits hingewiesen; erwähnt werden müssen noch die beiden
anderen Aufsätze, die hierher gehören und die einen Beitrag
zu einer — anthropologisch und strukturell begründeten! — „Theologie
" des Symbols liefern: M.-D. Chenu, „Anthropologie de la
liturgie", S. 159—177; P.Colin, Phänomenologie et hcrmeneutique
du symbolisme liturgique", S. 211—238. Es ist auffällig, daß offenbar
jeder, der sich ernsthaft mit einer liturgischen Anthropologie
befaßt, sich unweigerlich mit dem Phänomen des „Symbols" konfrontiert
sieht; ganz ähnlich wie einige deutsche Autoren erblickt
man auch hier im Verlust der „Symbolfähigkeit" des modernen
Menschen eine gefährliche, existenzbedrohende personale Desintegration
.

Schon einige Äußerlichkeiten zeigen, daß das Sammelwerk
ohne Yves Congar und seine Beiträge nicht denkbar wäre: Er zeichnet
als Mitherausgeber, er schreibt die Einleitung (S. 11—15), er
beschließt die Sammlung mit einem Aufsatz über die „Stellung des
.Sakralen' im Reich Christi" (S. 385—403). So kann es kaum verwundern
, wenn seine Untersuchung zur Ekklesiologie der Konstitution
(„L'Ecclesia ou communautc chretienne, sujet integral de
l'action liturgique", S. 241—282) sowohl sachlich wie formal den

Mittelpunkt des Bandes bildet. Congar geht von der Erkenntnis
aus, daß die „actuosa partieipatio" aller Gläubigen an der liturgischen
Feier Schlüsselbegriff zum theologischen Verständnis der
Konstitution ist. Was besagt aber dieser Begriff letztlich über das
„Subjekt" des gottesdienstlichen Handelns? Mit zahlreichen Väterzitaten
belegt Congar seine Auffassung: Subjekt und Träger des
liturgischen Handelns ist nicht etwa das „sacerdoce ministeriel",
sondern die Gesamtheit des Leibes Christi in Gemeinschaft mit dem
Haupt und Hohenpriester Christus, das heilige Volk Gottes, die
„Ecclesia" schlechthin. Freilich ist diese Gesamtheit mehr als die
Summe ihrer Glieder; und so bleibt nun doch auch bei Congar
Raum für ein selbsttätiges Handeln des Amtspriestertums — etwa
in einer Messe ohne Gemeinde. Interessant ist der Vergleich, den
Congar hier zwischen „Mediator Dei" und der Konstitution durchführt
.

Zum gleichen Abschnitt („L'Sglise de la liturgie", S. 239—314)
gehören auch noch die Bemerkungen von B.-D. Marliangeas über
die Herkunft der Begriffe „in persona Christi" und „in persona
Ecclesia" (S. 283—288; der innere Zusammenhang mit Congars
Untersuchung ist deutlich) sowie ein ausgesprochen patristisch und
ostkirchlich orientierter Aufsatz von Th. Strotmann über „Pneum^.
tologie und Liturgie" (S. 289—314).

Der letzte große Abschnitt „Le culte de la foi" (S. 315—403)
berührt vielleicht am stärksten jene Fragen, die vor allem einen
protestantischen Theologen bewegen, der sich mit der Theologie
des Gottesdienstes beschäftigt: Fragen nach dem Recht und der
Grenze des „Sakralen" im christlichen Glauben, Fragen nach dem
Verhältnis von Liturgie und Alltag, Liturgie und Leben, Gottesdienst
und Weltdienst; Fragen nach dem Verhältnis von gottesdienstlichem
Handeln und Glauben schlechthin. Außer dem schon
erwähnten Schlußaufsatz von Y. Congar ist vor allem die Untersuchung
von S. Lyonnet über die „Natur des Kultus im Neuen
Testament" (S. 357—384) bemerkenswert; aber auch der Beitrag
von J.-P. Audet („Foi et expression cultuelle", S. 317—356) gehört
durchaus in den bezeichneten Zusammenhang.

Uberblickt man in der Rückschau die Fülle der Beiträge, so
kristallisieren sich drei große Gedankenkreise heraus: Die Liturgie
und der Mensch von heute; die Liturgie und das Leben der Kirche;
die Liturgie und die Verwirklichung christlicher Existenz. Man darf
sagen, daß es gerade die Konzentration auf diese Fragestellungen
ist, die dem Buch seine Aktualität verleiht.

Barth/Ostsea Karl-Heinrich Bierltx

KATECHETIK UND
RELIGIONSPÄDAGOGIK

Müller-Bardorff, Johannes: Verstehen und Unterweisen. Einführung
in die Evangelien und ihre Weitergabe im Unterricht anhand
des Markusevangeliums. München: Ehrenwirth Verlag
[1967). 208 S. 8° = Schriften der Pädagogischen Hochschulen
Bayerns, hrsg. v. M. Heitger u. H. Schiefele.

Der Titel ist vielversprechend, der Untertitel nennt eine dringende
Aufgabe. Die doppelte Fachzuständigkeit des Vf.s, der einst
Neutestamentier war und jetzt Religionspädagogik lehrt, weckt
Hoffnung auf einen fundierten Beitrag. Aber das Buch ist eine
Zumutung.

Der Verdruß beginnt schon beim ersten Blättern: Wie ist
M.-B. auf das demselben Gegenstand geltende Buch des ebenfalls
in beiden Disziplinen beheimateten Johannes Schreiber eingegangen
? Nur mit einer Anmerkung (203). M.-B.s Manuskript war bei
Erscheinen der Arbeit Schreibers schon abgeschlossen. Aber nicht
das ruft den Ärger hervor, sondern der Umstand, daß Schreiber
an den drei Stellen, die ihn meinen, „Schneider" heißt (203. 208).
Ein Druckfehler? Kaum. Denn wir empfangen von M.-B. in
bibliographischer Hinsicht auch weiterhin eigentümliche Informationen
: M. Dibelius schrieb „Die Formgeschichte des Neuen
Testaments" (42), Schneemelcher gab die „2. Aufl." des Werkes
von Hennecke heraus, das den Titel „NT Apokryphen und Pseudo-
epigraphen" trägt (eb.), Wegenast ist Verfasser von „Jesus und
die Evangelisten" (203), das Sammelwerk von Bartsch zur Ent-
mythologisierungsdebatte erschien in „3. bzw. 2. Aufl. Hamburg
1954" (204).

M.-B. schreibt in erster Linie für „Studenten an Pädagogischen
Hochschulen" (Widmung) der Bundesrepublik. Meint er, daß sie
es so genau nicht nehmen? Aber das Ärgerlichste ist noch nicht
gesagt. Er will ihnen mit seinem Buch eine Hilfe zum Umgang
mit fachsprachlichen Werken aus dem Bereich der Evangelienforschung
geben (8) - und schreibt selber ein so übles Deutsch, daß
einen die Sehnsucht nach Fachsprache überkommt.

Der Rez. weiß kaum, was er als erstes zitieren soll. Vielleicht
dies: „Doch worum es in diesem zuletzt Erwähnten geht, ist,
scheint mir, ohne das, worum es hier eigentlich geht, überhaupt
nicht in rechter Weise zu erfüllen." (196). Etwas Ähnliches: Es
kann dem Lehrer „ein beachtlicher und gewichtiger Diskussions-