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Ausgabe:

1970

Spalte:

141-143

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Altizer, Thomas J. J.

Titel/Untertitel:

... daß Gott tot sei 1970

Rezensent:

Fischer, Hermann

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 2

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ziehten und braucht vor allem die Forschungsergebnisse bestimmter
Exegetengruppen nicht zu übernehmen. Andererseits: Wenn
Vf. sich beispielsweise (kritisch!) mit Bultmann, Fuchs auseinandersetzt
, möchte er doch wohl seinerseits sein (abweichendes) Schriftverständnis
konturieren und begründen. Man hat den Eindruck,
H. unterstellt (z. B.!) den Vertretern exklusiv präsentischer Escha-
tologie, sie hätten das die redemption creaturae implizierende reg-
num Dei novissimum schlechthin ,vergessen' oder der Einfachheit
halber abgestreift, während es sich doch um Konsequenzen jahrzehntelanger
Detailforschung am NT handelt. H. sagt eigentlich
nie recht, w i e er zu seiner Hauptthese kommt, und deshalb dürften
sich die meisten seiner in die Schranken geforderten theologischen
Gesprächspartner durch Vf. zwar verstanden, aber nicht
ernstlich in Frage gestellt, geschweige überwunden fühlen. - Als
zweite Frage: Es fällt auf, daß H. bei den immer neuen Artikulationen
seiner eigenen Position, offensichtlich bewußt und unbeschwert
, metaphysische Kategorien verwendet. Anders ausgedrückt:
Jedesmal, wenn ein Reflexions-Zyklus seinen Kulminationspunkt
erreicht, rezitiert Vf. dogmatische Sätze3. Der Streit um Recht oder
Unrecht der Metaphysik in der Theologie brauchte vom Vf. nicht
in extenso einbezogen zu werden. Immerhin: Wenn man sich auf
•die eine Seite schlägt und überdies mit der anderen .rechtet', sollte
man wohl einmal begründen, inwiefern man die eigene Position
für die rechte hält. Anders ausgedrückt: Von hermeneutischer
Uberprüfung der /Verständlichkeit' und damit .Annehmbarkeit'
(des Sachgehaltes) seiner Position scheint H. nicht bedrängt zu
sein. Vielleicht ist Vf. hierin Barth verpflichtet, vielleicht ist das
auch ein Nachteil seiner sich sonst so reich auszahlenden, meditativen
und zyklischen (nicht-diskursiven) Denkungsart. -

H.s Studie erweist u. E., daß der „hohe und spannende Streit
um das Zukunftsverständnis des Glaubens" (XVI), der neu begonnen
wurde, nicht an der .christlichen Peripherie' tobt, sondern das
Zentrum angreift, nämlich den Primat der Christologie. H.s Studie
führt uns dazu ein beeindruckend breit angelegtes und grundgelehrtes
Gespräch mit anderen Positionen vor, das den Leser
differenzierte Fragestellungen erkennen und beurteilen lehrt. Die
Grenze der Studie liegt u.E. im Fehlen ernstlicher Verifikationen
der eigenen These. Insofern bleibt die stark bedrängende Frage,
ob futurische (wohl gar „ontisch-kreatorische", 176) Eschatologie
für christlichen Glauben notwendig ist, leider weiterhin offen.

Leipzig Johannes Hempel

3 Um irgendein Beispiel herauszugreifen, S. 133: «Der Glaubende wartet
der creatio ultima et novissima, welche ihn und die ganze Kreatur zur Kreatur
im Angesicht Gottes . . . wandeln wird. Er wartet der Zukunft des ewigen Lebens,
welches das Sein der Kreatur in die Macht, in die Gegenwart der Zukunft
Gottes bringen, die Berufung der Schöpfung zum Eschaton erfüllen wird".

Altizer, Thomas J. J.: ... daß Gott tot sei. Versuch eines christlichen
Atheismus, übers, von F. Dumermuth, wissenschaftl. Überarb
, von W. Hüffmeier. Zürich: Zwingli Verlag (1968], 183 S. 8°.
Kart. sfr. 14.—.

Der amerikanische Theologe Thomas J. J. Altizer verkündet
mit einem Kreis von Gesinnungsfreunden, „daß Gott tot sei". Ausgesprochen
nicht als atheistisches Bekenntnis, sondern gerade als
theologische Aussage stellt sich die Frage, welches denn der Sinn
dieser prima facie absurden These vom „Tode Gottes" sein könne.

A. setzt ein bei der unbestreitbaren Erfahrung, daß die in herkömmlichen
Vorstellungen und Begriffen befangene Theologie
und kirchliche Verkündigung den heutigen Menschen nicht mehr
erreichen. Aber christlicher Glaube darf sich nicht an Ausprägungen
vergangener Zeiten binden lassen, er „ist nur wirklich, insofern
er einen bestimmten menschlichen und geschichtlichen Ausdruck
findet, und wir dürfen diesen Glauben auf keinen Fall verraten
, indem wir fälschlich meinen, der Glaube sei entweder auf
seine ursprüngliche oder auf seine vergangene historische Ausdrucksform
festgelegt" (S. 14). Es charakterisiert nun aber das
Buch, daß Altizer nicht - wie etwa Paul Tillich - eine Analyse
unserer gegenwärtigen geschichtlichen Wirklichkeit bietet, um in
diesem Lichte die tradierte theologische Begrifflichkeit umzuprägen
. Vielmehr entfaltet er - weitgehend gerade unter Absehung
von dieser spezifischen geschichtlichen Situation - eine theologische
Theorie, die er der überlieferten Vorstellungswelt hart entgegensetzt
. Die kirchliche und theologische Tradition wird mit dem pauschalen
Verdikt der Weltfremdheit belegt, weil sie schon von Anbeginn
an durch das Schielen auf Transzendenz ins Stadium der
Deformation eingetreten sei. Für diese Transzendenz aber hat das
neuzeitliche Denken keinen Raum mehr. „Wenn es ein klares Tor
zum 20. Jahrhundert gibt, dann ist es der Durchgang durch den
Tod Gottes, den Zusammenbruch jeden Sinns und jeder Wirklichkeit
jenseits der neu entdeckten radikalen Immanenz des modernen
Menschen, einer Immanenz, die selbst die Erinnerung oder
den Schatten der Transzendenz auslöscht" (S. 20). Das ist so ungefähr
der einzige, in vielfachen Wiederholungen vorgetragene Beitrag
des Buches zur Aufhellung unseres gegenwärtigen Bewußtseins
. Originalität kann man ihm kaum zusprechen, und ob er sich
auf der Höhe philosophischer Reflexion als überzeugende Wahrheit
wird durchsetzen können, darüber sind allen selbstsicheren
Behauptungen zum Trotz die Akten noch nicht geschlossen.

William Blake (1757-1827), Hegel und Nietzsche figurieren als
Repräsentanten eines die Weltflucht des Christentums überwindenden
Atheismus, sie sind für den Vf. „Propheten der radikalen Immanenz
" und somit die „radikalen Christen". Denn daß dieser Atheismus
der wahre Kern des christlichen Glaubens sei, versucht A.
durch seine theologische Theorie vom „Tode Gottes" einsichtig zu
machen. Ausgangspunkt ist nun aber überraschenderweise eine
durch und durch traditionelle Doktrin, das Inkarnationsdogma!
Fleischwerdung des Wortes bedeutet aber kein „endgültiges und ein
für allemal geschehenes Ereignis der Vergangenheit", es ist zu verstehen
als „ein aktiver, nach vorn gerichteter Prozeß" (S. 41). Die
christliche Theologie hat dieses „wahre Zeugnis der Inkarnation"
durch ihre Bindung an „einen transzendenten, souveränen und
teilnahmslosen Gott" (S. 42) verfälscht. Solche Gottesidee schließt
eine echte Inkarnation aus, die Machtentäußerung kann nicht
radikal gedacht werden. Der „christliche Urgott" und der „fleisch-
gewordeno oder Kenotische Christus" stehen im Verhältnis unvermeidlicher
Unvereinbarkeit zueinander (S. 44). Nur die total kenotische
Bewegung Gottes läßt die volle Wirklichkeit Jesu oder des
fleischgewordenen Wortes verstehen (S. 76). Fleischwerdung in
diesem Sinne bedeutet die Selbstvernichtung, also den Tod Gottes.
Gott hat sich in Christus ganz negiert und geopfert (S. 102), er ist
in ihm gestorben. „Der Tod Gottes in Christus ist eine unvermeidliche
Folge des Ganges Gottes in die Welt, des Geistes ins Fleisch;
und die Verwirklichung des Todes Gottes in der Erlebnistotalität
ist ein entscheidendes Indiz für die fortwährende Vorwärtsbewegung
des göttlichen, im dauernden Vollzug der Verneinung seiner
partikularen und gegebenen Äußerungen begriffenen und immer
voller in die Tiefen des Profanen sich hineingebenden Prozesses"
(S. 126 f.) bis hin zur eschatologischen Vollendung (S. 119). Und im
Horizont solcher Gedanken empfindet es A. nicht als Bruch, die
zeitgebundenen apokalyptischen Vorstellungen und Visionen seinem
ansonsten so traditionsfeindlichen und radikalen Versuch einzugliedern
(S. 119, 122, 132 u. ö.). Gott ist nicht ein einzigartiges
und absolutes Wesen, wie das „religiöse" Christentum meinte,
sondern ein dialektischer Prozeß (S. 101), ein „sich vorwärts bewegender
Prozeß kenotischer Metamorphose, der auch im Durchgang
durch die absolute Selbstverneinung er selbst bleibt" (S. 103).
Die trinitarische Gestalt des christlichen Glaubens ist als religiöse
Entstellung zu entlarven, weil die Identifizierung des Christus mit
dem ewigen Wort die geschichtliche Wirklichkeit der Fleischwerdung
vernichtet (S. 55). Warum dann aber ausgerechnet Hegel
als Zeuge für eine wahrhaft kenotische Christologie und den
Atheismus angerufen wird, das bleibt das Geheimnis des Autors,
war es doch gerade Hegel, der die Trinitätslehre auf spekulative
Weise neu begründet hatte!

Zusammengefaßt: eine aus dem Inkarnationsdogma abgeleitete
kenotische Christologie, die freilich über all das weit hinausgeht
, was in dieser Richtung bisher gedacht wurde, begründet die
These vom „Tode Gottes". Daß sich solch ein Verständnis im Neuen
Testament weder bei Paulus noch bei Johannes findet, gibt A. unumwunden
zu (S. 49, 122 f.), und daß sich die Verkündigung Jesu,
die für die positive Ausgestaltung der Konzeption so gut wie gar
nicht befragt wird, nicht in diesem Sinne interpretieren läßt, bedarf
keiner weiteren Ausführung (S. 121 f. sind kein Gegenbeweis).
Neues Testament und Urchristentum werden schlicht als „exotische
und fremde Religionsformen" disqualifiziert (S. 120).

Ist mit der Theorie vom „Tode Gottes" und der kenotischen
Christologie ein sinnvoller Beitrag zum Verständnis des Evangeliums
in unserer Zeit geleistet? Man wird das bestreiten müssen,
und Altizers Absicht scheint nach allem auch gar nicht darauf zu
zielen, sondern auf einen radikalen und totalen Bruch mit der
christlichen Überlieferung (vgl. z. B. S. 161), für den er den Prozeßgedanken
als Begründung aufbietet. Die kenotische Christologie
aber, die die bisherige religiöse Vorstellungswelt ersetzen soll,
verschließt sich dem Verstehen m. E. nicht weniger als die alten
dogmatischen Sätze, weil die der negativen Aussage „Gott ist tot"
gegenübergestellte positive „Gott ist Jesus" in diesem Buch den
Charakter einer Behauptung trägt, die einer Erläuterung ebensowenig
fähig ist wie der Gedanke der Fleischwerdung. Der Rückgriff
auf solch eine komplizierte und problematische dogmatische
Doktrin mit all den daraus abgeleiteten Behauptungen errichtet für
den modernen Menschen neue, vielleicht sogar gravierendere
Verstehensschwierigkeiten, und man begreift nicht ganz den Sinn
all dieser Bemühungen, wenn es schließlich darauf hinauslaufen
soll, die Verkündigung der radikalen Immanenz zu legitimieren.
Das kann man ohne die Theologie, ohne den Satz „Gott ist Jesus"
einfacher und sicher auch besser haben. Die Theologie liefert sich
mit dieser Botschaft dem Vorwurf der Überflüssigkeit aus. Die
Probleme des christlichen Glaubens in der neuzeitlichen Welt wer-