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Ausgabe:

1970

Spalte:

135-136

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Ehrhardt, Arnold

Titel/Untertitel:

The beginning 1970

Rezensent:

Schneider, Carl

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Seite 1

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135

Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 2

136

Munson behauptet als Gesamtergebnis seiner Überlegungen,
daß die Strukturen des religiösen Bewußtseins den ganzen Menschen
und die Totalität der Welt in Gott betreffen. Dies wird sozusagen
sowohl vom Verstand wie von der Vernunft, von „intellect
and reason", gefordert, aber nicht von der .reinen Vernunft".
Natürlich wird der reflektierende Gedanke immer Gott und den
Menschen als Probleme vor sich haben, aber die göttliche Offenbarung
hat ihre menschliche Grundlage im selbstoffenbarenden
Erkenntnisakt des Menschen. Beide Offenbarungen gehen in
gegenseitiger Wechselwirkung und Liebe vor sich, und daher wird
immer Platz für die Freiheit da sein. Selbst wenn der menschliche
Dialog die ernstesten und heiligsten Themen betrifft, muß er in
seinem Wesen frei sein.

Dies sind die Hauptgedanken des Buches, und sie sind mit
ungewöhnlich großer Gelehrsamkeit vorgetragen. Wie es mit angelsächsischen
Büchern der Fall zu sein pflegt, ist auch dieses nicht
systematisch der Anlage nach, sondern besteht aus einer Reihe von
Diskussionen mit geschichtlichen Gestalten und deren Gedanken.
Das ontologische Problem ist nicht bis in die Tiefe durchdacht; es
ist nicht durch Religionsphänomenologic zu bewältigen, denn
Phänomenologie und Ontologie sind nun einmal nicht die gleiche
Sache. Die Wahrheit mufj jenseits des Erlebens gefunden werden.
Sie ist nicht gerettet mittels einer noch so guten Beschreibung. -
Die Termini des Buches sind fast restlos romanisch; das Ceima-
nische liegt fast nur in der Struktur der Sprache.

Kopenhagen Soren Holm

Aus dem dänischen Manuskript übersetzt von Dr. Hans-Martin Junghans.

Ehrhardt, Arnold: The Beginning. A Study in the Greek Philoso-
phical Approach to the Concept of Creation from Anaximander
to St. Joh. With a Memoir by J. H. Thomas. Manchester:
Manchester University Press [1968]. XIV, 212 S. 8°. Lw. 42 s.
Dieses nützliche Buch gibt einen kurzen, oft freilich zu summarischen
Überblick über griechische Vorstellungen und Begriffskonzeptionen
vom Weltbeginn und eine Analyse der mit dem
Wort Arche verbundenen Gedankengänge von .orphischen' und
.pythagoreischen' Anfängen bis zum Johannes-Prolog. Es ist trotz
der Anmerkungen kein eigentlich wissenschaftliches Buch, sondern
eine Art angenehme Plauderei, immer jedoch auf solidem Untergrund
. Wenn es naturgemäß auch nichts Neues enthält, zeigt es
doch die große Belesenheit und die präzise systematische Darstellungsgabe
des Vf.s in einem schönen Licht. Zu bedauern ist nur der
unkritische Gebrauch der Begriffe Orphisch und Pythagoreisch;
unter diesen Termini vermischt der Vf. allzu häufig Ältestes mit
Spätestem.

Werden bei den Vorsokratikern mit Recht in der Hauptsache
die Schwierigkeiten und Unsicherheiten ihrer Ursprungsideen
gestreift, wird im folgenden Teil die Rekonstruktion einer orphischen
Ursprungslehre versucht, für die Abhängigkeit von Anaximander
sowohl bei der ,Orphik' - was immer sie sei -, als bei
Pythagoras angenommen wird. Gut ist der Hinweis auf die Bedeutung
des Dezimalsystems als einer Arche bei den Pythagoreern,
wobei allerdings die chronologischen Fragen sehr unsicher bleiben.
Die Einengung des Archebegriffes als Kausalgrund führt E. auf
Parmenides zurück, der gleichsam die Brücke von der metaphysischen
Aitiologie der Pythagoreer zu der unmethaphysischen Ato-
misten bildet. Originell ist die Formulierung, daß der kausalen
Ursprungslehre des Anaxagoras die modale der Atomisten nicht
nur entgegensteht, sondern auch mit ihr verschmelzbar ist, eine
Aufgabe, die etwas vergröbert E. von Piaton gelöst sieht durch
Heranziehung der pythagoreischen primären Ordnungsprinzipien
mathematischer Art. Doch ist der Platon-Abschnitt der schwächste
des Buches, weil er mit Gewalt Piaton zum religiösen Pythagoreer
macht. Wo die Dinge nicht zu stimmen scheinen, wird eine „esoterische
Lehre" sogar als „pudendum" herangezogen - nötig und
wahrscheinlich ist das alles nicht. Es ist erstaunlich, daß der Vf. die
grundlegenden Ergebnisse über die Frage Demiurg-Weltseele bei
Theiler überhaupt nicht zu kennen scheint. Völlig falsch erscheint
die Definition der platonischen Mythopoiie als eines lästigen
Zwanges - eine der Sache kaum dienliche Übertragung der Ent-
mythologisierungstheologie auf Piaton. Aristoteles steht dem Vf.
näher, und der Aristoteles-Abschnitt ist der umfangreichste des
Buches. Die saubere Analyse der verschiedenen Schattierungen des
Archebegriffes ist hier von vorbildlicher Klarheit, die Auseinandersetzung
mit der neueren Literatur sachlich. Einige fast hymnische
Überschwänglichkeiten (S. 129) wird man in Kauf nehmen. Aber
die Gegenüberstellungen von platonischer und aristotelischer Arche-
Lehre trifft alles Wesentliche. Die hellenistische Philosophie ist
dagegen viel zu summarisch behandelt; allgemeine Formeln (S.
155) genügen keinesfalls zur Charakterisierung der komplizierten
Erscheinungen. Selbst über Poseidonios ist so gut wie nichts gesagt
, anscheinend wegen zu vieler ungelöster Probleme. Kaum ein
Wort über Epikur, nichts über die doch gerade für das Gesamtproblem
so wichtige Entwicklung in der Akademie - dafür umfangreiche
Zitate aus der jüdischen und christlichen Literatur, die
oft gar nichts mit dem Hellenismus unmittelbar zu tun haben.
Etwas ausführlicher, jedoch ohne jeden Versuch einer chronologischen
Ordnung, sind gnostische Schöpfungsmythen registriert;
den Schluß bilden nicht ganz 15 Seiten über Arche im Spätjudentum
und Frühchristentum. Sie stellen nicht ungeschickt das wichtigste
Material zusammen; Josephus ist besonders berücksichtigt.
Ein hübscher Gedanke steht am Schluß: Paulus und Philo gleichen
sich darin, daß die Frage nach der Arche für beide sowohl ein
ontologisches wie ein theologisches Problem ist, beides geht auf
griechische Quellen zurück. Nur denkt Philon platonischer, Paulus
stoischer; für Philon ist der empirische Kosmos ein sekundäres
Derivat, für Paulus wie in der Stoa .Gottes Welt".

Speyer a. Rh. Carl Schneider

Hemmerle, Klaus: Gott und das Denken nach Sendlings Spätphilosophie
. Freiburg-Basel-Wien: Herder [1968). 331 S. 8". Lw.
DM 45.-.

Das Thema des Buches ist historisch und systematisch zugleich.
Wer die Mühe aufbringt, sich in diese von der Sache wie von der
Darstellung her schwierige Untersuchung über Sendlings „Philosophie
der Offenbarung" einzulesen, gewinnt nicht nur neue Belehrung
über die historische Relevanz von Sendlings Denken, sondern
unmittelbare Einsicht in das Verhältnis zwischen biblischchristlicher
Offenbarung und Philosophie überhaupt. Was Schölling
in seiner Spätphilosopie zu erweisen sucht, ist (im Unterschied
zu Hegel) die fundamentale Differenz zwischen Gott und Denken;
im Unterschied zu Kierkegaard aber ist es eben das Denken, was
nach Schelling diese Differenz und damit den angemessenen Bezug
zwischen Mensch und Gott geschichtlich aktualisiert.

Hemmerle beginnt mit der programmatischen Erklärung: „Im
Spätwerk Sendlings geht es um Gott, und zwar gerade nicht um
einen bloß philosophischen Gott, sondern um den Gott lebendiger
Religion, um den Gott der christlichen Offenbarung ... Es ist der
offenkundige Sinn der Ausbildung .positiver Philosophie', . . . über
den bloß gedachten Gott und über den bloß sich selbst denkenden
Gott der V0T)cnc; vorjaewe, hinauszukommen". Dies das eine, das
andere: „Aber es geht um ihn (den „göttlichen Gott") auf philosophische
Weise" (S. 11).

Dieses „Aber", das mit Schellings historischer Stellung zwischen
der Vollendung der klassischen Metaphysik bei Hegel und
ihrer Selbstaufhebung bei Kierkegaard, Marx und Nietzsche zusammenhängt
, macht Schellings unvergleichliche Bedeutung für das prinzipielle
Problem des Verhältnisses von Philosophie und Religion,
Vernunft und Offenbarung aus. Die Klärung dieses „Aber", der
Doppeldeutigkeit im Verhältnis zwischen Gott und Denken, bildet
den Inhalt von Hemmeries Buch. Der Gott der Bibel soll nach
Schelling „dem Denken aufgehen, nicht durch Aufhebung der
Offenbarung, nicht durch ihre Auflösung in selbstvermochte Gedankengänge
der Vernunft, sondern aus seiner Tat und Freiheit
her - und doch ist der Weg, der das Denken vor diesen Gott
bringt, eben der Weg des Denkens selbst" (S. 12).

Schellings Spätphilosophie ist „Spätwerk" in jenem besonderen
Sinn, wie das von der Kunst, etwa von Beethoven oder Goethe her,
bekannt ist: es wird erst lange nach seiner Entstehungszeit „aktuell
". Nach der radikalen Verinnerlichung, die den Aufschwung
der Theologie in den beiden Nachkriegszeiten bedingt und geprägt
hatte, ist nun der W e 1 t-Bezug der Kirche und des Evangeliums zur
vordringlichen Frage geworden, und das besagt: ihre Stellung in
der Welt-Geschichte. Dieser Frage kommt die Spätphilosophie
Schellings in zweifacher Weise entgegen.

1. Die Geschichtlichkeit der Welt, ihrer Struktur wie ihrem
Inhalt nach, ist eine Erkenntnis des deutschen Idealismus (im Zusammenhang
mit Herder und der Romantik), an der Schelling
schon mit seiner Frühphilosophie in der maßgeblichsten Weise beteiligt
war. Innerhalb dieser Vergeschichtlichung von Sein und
Denken hat Schelling, seit seiner mittleren Periode, die Problematik
der Philosophie in ihrem Verhältnis zur christlichen Offenbarung
eigens und neu reflektiert; eigens: im Unterschied zu
Hegel, für den die Religion durch die Philosophie geschichtlich
überholt war, neu: im Unterschied zu Kant, eben durch den Bezug
auf die Geschichte. Schelling hat mit der „qualitativen Differenz
zwischen dem Gott philosophischer Herleitung und Konstruktion
und dem .göttlichen Gott" (S. 15) in der Weise ernst gemacht, daß
er sich der Frage gestellt hat: „Steht dieser göttliche Gott ohne
Verbindung und Zugang neben dem Denken, ist der Bereich, in
welchem gedacht und philosophiert wird, legitim und notwendig
.gottlos'? Ist Religionsphilosophie (gemeint ist: die christliche
Offenbarung als Thema von Philosophie) überhaupt ein in jedem
möglichen Ansatz verfehltes Unterfangen? . . . Gibt es Religionsphilosophie
, die sich weder am Glauben insgeheim vorbeistiehlt,
noch sich, von sich selbst unbemerkt, in .bloßen' Glauben auflöst
?" (S. 15).