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1970

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Naturwissenschaft und Theologie

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 2

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eingeschlossenen religiösen Fragestellungen. Dabei geht es freilich
nicht ohne Vereinfachungen und Verkürzungen ab; vor allem
befremdet es, wie ungeprüft verbreitete Pauschalurteile über die
Differenz von griechischem und hebräischem Denken (T. Boman)
tradiert werden; auch daß das Christentum die Naturwissenschaft
erst ermöglicht habe, ist eine These früherer Apologetik, die man
guten Gewissens nicht mehr so ungeschützt aussprechen kann.
Am Ende dieses historischen Durchblicks steht die heutige Situation
mit ihrer von jeder religiösen Bevormundung freigegebenen
naturwissenschaftlichen Forschung einerseits und einem von
solcher Forschung nicht erreichbaren „intuitiven Bewußtsein personaler
Tiefe" andererseits, welches die theologische Interpretation
von Menschsein und Universum begründet und leitet (S. 36). Zwei
Abschnitte folgen, in denen diese beiden Grundpositionen näher
ausgeführt werden. Zuerst geht es um Voraussetzungen, Wesen
und Grenzen des naturwissenschaftlichen Erkennens, das nach
Rust die exakte analytische Erforschung vorgegebener Wirklichkeit
betreibt, wobei ein synthetisches Bewußtsein vom Ganzen
ignoriert werden muß; dennoch greift die Naturwissenschaft in
jeder Zuwendung zum Einzelnen je und je in »intuitiver Einsicht"
auf eine Ganzheitsgestaltung aus; ohne dieses »personale Element"
ist sachgemäßes naturwissenschaftliches Erkennen unmöglich. Sodann
stellt der Verfasser im Gefolge von Buber, Heim, Barth,
Ramsey, Tillich u. a. das Wesen des religiösen Verstehens als von
grundauf und genuin personal heraus, sieht dies im biblischen
Denken angelegt und fordert, daß das theologische Reden die
personale Dimension alles Seins zur Sprache zu bringen habe.

Das Personale ist mithin der Ort, wo Rust eine Berührung
der beiden Wissenschaften statuiert. Der zweite Teil des Buches
(Wo die beiden Erkenntnisweisen und Sprachen sich begegnen,
S. 145-316) wendet sich folgerichtig der Aufgabe zu, beispielhaft
herauszustellen, wie der Glaube die naturwissenschaftlichen Ergebnisse
und die Naturwissenschaft den Glauben »komplementär
" (S. 141) beleuchtet. Hier wird zuerst die Evolution genannt;
Schöpfungsglaube und Entwicklungslehre sind keine Gegensätze;
diese zielt an ihren offenen Stellen auf die der Entwicklung alles
Lebens immanente Anwesenheit eines schöpferisch-personalen
Geistes, ohne freilich die Identität beider zu behaupten. Ferner
ist das Thema des Menschenbildes angeschlagen: Biologie, Psychologie
und Tiefenpsychologie weisen letztlich auf die psychosomatische
Ganzheit des Menschen in ihrer Offenheit auf Welt hin;
das Wesen dieser Relationalität des Menschen deutet die Theologie
als Widerspiegelung der Gott-Mensch-Relation. Endlich ist vom
Universum die Rede: Sein und Werden der Welt kann von der
Naturwissenschaft nur eshaft erforscht werden, aber der personale
Aspekt ist aus der Natur nicht eliminierbar; der christliche Glaube
bezeugt, daß die personale Frage des Universums in der Inkarnation
beantwortet wird; im inkarnierten Christus kommen alle
Naturprozesse zusammen und manifestieren ihre Einheit mit Gott.
Die Inkarnation ist somit der Schlüssel zum Verständnis der tiefsten
Sakramentalität des Universums, die der Mensch in Verantwortung
und Freiheit wahrzumachen gefordert ist.

Zwei Fragen stellen sich am Schluß der Lektüre. Erstens: Rust
wehrt sich häufig und zu Recht gegen das Mißverständnis des
Pantheismus; dennoch scheint seine Konzeption eines christo-
logischen Panpersonalismus letztlich eine Variation jenes Denkens
. Droht hier nicht eine theologische Ideologie? Zweitens: Rust
lehnt zu Recht die neuzeitlichen Vorstellungen des Lückenbüßer-
Gottes im jeweiligen Weltbild ab; operiert aber nicht seine personale
theologische Antwort auf die personale Frage der Naturwissenschaft
doch mit einem »God of the Gaps"? Vielleicht liegt
der eigentliche Fehler dieses Gesprächsversuchs zwischen Wissen
und Glauben darin, daß Rust jenes von diesem umfaßt sein lassen
will, statt wirklich einen Dialog zweier gleichberechtigter Partner
zu führen.

Saarbrücken Gert Hummel

Büchel, Wolfgang: Mensch und Automat. Literatur zur Kybernetik
(StZ 184, 94. Jg. 1969 S. 113-120).

Brandmüller, Walter: Der Fall Galilei - ein Konflikt Naturwissenschaft
und Kirche? (StZ 182, 93. Jg. 1968 S. 333-242).

Degenhardt, Karl Heinz: Probleme der genetischen Manipulation.
Veränderung des Menschen durch Beeinflussung seiner Erbmasse
? (StZ 183, 94. Jg. 1969 S. 375-382).

Overhage, Paul: Manipulationen am menschlichen Gehirn (StZ 184,
94. Jg. 1969 S. 52-60).

PHILOSOPHIE, RELIGIONSPHILOSOPHIE

Munson, Thomas N.: Reflective Theology. Philosophical Orien-
tations in Religion. New Häven - London: Yale University Press
1968. XV, 211 S. 8°. Lw. 54 s. ($ 6.-).

Thomas N. Munson ist Professor der Philosophie an der De
Paul Universität in den USA und ein sehr gelehrter Philosoph,
dessen Belesenheit von den Werken des Altertums bis zu denen
unserer eigenen Tage reicht, und mit deren Denken er auf vielen
Gebieten vertraut ist. Philosophisch scheint er auf keine Schule zu
schwören, während er sich dafür religionsgeschichtlich mit Mircea
Eliade und dessen Auffassung von den religiösen Mythen und
Symbolen verbunden fühlt. Die Zielsetzung des Buches liegt -
kurz gesagt - in der Übertragung der religionsgeschichtlichen
Gedanken Eliades auf das religionsphilosophische Gebiet, aber dies
dürfte ja leichter gesagt als getan sein; denn es würde voraussetzen
, daß die Hauptgedanken der alten Religionen in das
moderne philosophische Denken hineinzupassen sein sollten - und
das würde bedeuten, daß der alte Übergang vom Mythos zum
Logos nicht stattgefunden hätte. Es würde bedeuten, daß alte
religiöse Vorstellungen von der Urhandlung „in illo tempore" und
ihre Wiederholung im Kult nicht nur ideologisch, sondern auch
ontologisch zu verstehen seien. Dies soll Eliade zugestanden sein,
da er nicht Philosoph ist, aber Munson hat wirklich die Philosophie
in fast all ihren modi und tempora studiert. Als einem
Kenner der Geschichte der Philosophie muß man ihm uneingeschränkte
Ehre erweisen, aber wie gut man auch die Geschichte
des philosophischen Denkens beherrschen mag, das verhilft einem
nicht dazu, etwas in Richtung einer gemeinsamen Ontologie für
Religion und Philosophie zu begründen - aber es scheint wirklich
etwas in dieser Richtung zu sein, was Munson zu tun versuchen
will, und hierauf dürfte auch Eliade in seinem Vorwort zu dem
Buch zielen, wenn er dort sagt, daß das auffallend Neue in ihm in
der Eröffnung neuer Perspektiven für eine zukünftige theologische
Debatte bestehe. Der Philosoph Munson habe das realisiert, was
in demselben Grade für Theologen und Philosophen bedeutungsvoll
sei, daß es die Erfahrung des Heiligen sei, die bewirkt habe,
daß man überhaupt dazu gekommen sei, daran zu denken, was es
heißt, daß etwas überhaupt existiert. Was in illo tempore geschah,
ist sowohl transhuman wie transmundan, aber es ist trotzdem
menschlicher Erfahrung zugänglich. Die Transzendenz kann durch
das Rituelle erfahren werden, wo die Wirklichkeit sich selbst enthüllt
. So weit Eliade. Und Munson scheint ihm nachzufolgen, wie
es besonders aus Kapitel 7 über die Geschichte und Phänomenologie
der Religion hervorgeht. Aber abgesehen von diesem Kapitel
ist das Buch philosophisch, und Munson unterstreicht selber, daß
er Philosoph ist und nicht Theologe.

Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, muß ein großer Teil
der Philosophie fallen, und dies gilt in erster Linie für die von
Descartes und Kant. Demnach hat Descartes den Sinn von Anselms
ontologischem Beweis zerstört, für den Munson ziemlich viel übrig
hat. Anselm stand in „der griechischen Tradition", die holistisch
war und das Denken mit dem Sein verband. Gott und die Wahrheit
gehörten zusammen. Descartes dagegen trennte seinen Gottesbeweis
von dem holistischen Gesichtspunkt ab, und dies führte
dazu, daß eine logische Erklärung ausgeschlossen wurde. Als
weiteres Resultat ergab sich, daß der transzendente Gott ein
deifizierter Mensch wurde, und das Gottesproblem mußte in den
Termini von der menschlichen Erkenntnis her und in letzter Instanz
in Verbindung mit der Frage diskutiert werden, was der
Mensch sei. Kants Unglück lag darin, daß er das Absolute für
unerkennbar hielt und den religiösen Aspekt dadurch verschwinden
ließ, daß seine Philosophie das Verhältnis zwischen dem Religiösen
und dem Weltlichen umging, das nun in eine schwer aufzulösende
Verwicklung geriet. Munson nennt das „a deadlock",
was bedeutet, daß das Problem in einer Klemme steckenblieb.

Hume und Hegel stehen im Urteil Munsons weit höher, besonders
Hegel, weil er zum holistischen Denken zurückkehrte, das er
auf seine eigene Weise ausgestaltete. Er hat gezeigt, daß wir unsere
westliche Wahl der griechischen Philosophie nicht bis in ihre
äußerste logische Konsequenz durchführen können, ohne daß uns
ein Unglück trifft; wohl ist der Gedanke ein wunderbares Werkzeug
, aber er kann auch ein strenger Herr werden. Für Munson
ist es das Verdienst Hegels, daß er neues Licht in die Diskussion
über Symbol und Mythus gebracht hat, und damit kommt Munson
auf das eigene heimische Spielfeld mit Eliade als Mittelstürmer.
Der Theist von heute weiß, daß er keine totale Lebensanschauung
allein mit Hilfe der Logik erhalten kann. Wir müssen unsere Zuflucht
zum Symbolismus nehmen, der uns die Transzendenz zeigt.
Wir erfahren einen Horizont, der die wissenschaftlich-empirische
Erkenntnis begrenzt und den Munson „the limiting Other of Knowledge
" nennt. Aber nichtdestoweniger ist es ein Horizont, der sich
ausweitet, der sich beständig vor unserem Blick zurückzieht und
ein ständiges Aufsteigen ermöglicht.