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Ausgabe:

1970

Spalte:

112-113

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Lendle, Otto

Titel/Untertitel:

Gregorius Nyssenus, Encomium in sanctum Stephanum protomartyrem 1970

Rezensent:

Altendorf, Hans-Dietrich

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 2

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auf an. Vielmehr scheint es so, als ob er Bilder und Darstellungsformen
nur benutzte, um den dahinter stehenden biblischen Gehalt
in der Sprache der Welt auszudrücken und so den biblischen
Glauben im griechischen Gewände als philosophische Lehre und
Weisheit darzubieten. Die Vf.n hat das schillernde Material kosmo-
logischer Aussagen soweit als nötig gesammelt, auf Herkunft und
Bedeutung untersucht und geordnet. Philo greift auf Plato zurück;
er nimmt aber auch aristotelische und stoische Erkenntnisse auf.
Wenn er von der Erschaffung der gedachten Welt im göttlichen
Verstand spricht, vermeidet er im Rückgriff auf platonische Gedanken
die neuplatonische Emanationstheorie und wird so in etwa
dem biblischen Schöpfungsbericht gerecht. Bei der Darstellung der
Erschaffung des Menschen bevorzugt Philo insgesamt den biblischen
Text, wenn er auch den ersten, den Geistesmenschen in der
Weise Piatos als androgynes Wesen beschreibt. Philo hat wohl
nicht als erster die logisch-begriffliche Teilung in eine kosmo-
logische verwandelt, indem er den göttlichen Baumeister als ihren
Urheber einführt. Das Bild von dem Kosmos als Pflanze setzt eine
immanente Gottes Vorstellung voraus. So konnte Philo es nicht
folgerichtig durchbilden; es geht ihm nicht um die Schlüssigkeit
des Vergleichs, sondern um die Gotteserkenntnis, für die er die
Menschen vorbereiten möchte. So ist das Bild vom Kosmos als
dem wahren Tempel Gottes am ehesten sachentsprechend. Dieses
Bild kommt wohl auch in den hellenistischen Mysterienkulten
vor, ist aber bei Philo ganz unkultisch. Bei ihm steht entweder
der Eine Tempel des Einen Gottes der Vielzahl der Tempel in
den polytheistischen Religionen gegenüber, oder das atliche Zelt
wird als Urbild, Vorbild und Abbild des Universums verstanden.
Das hermeneutische Verfahren, das Philo bei solchen Deutungen
anwendet, ist von der heidnischen Philosophie und besonders von
der Homerexegese entwickelt worden. Philo gibt das nicht zu.
Für ihn ist Moses der Träger aller Wissenschaft und Weisheit,
und die atliche Offenbarung hat unbedingten Vorrang gegenüber
allen anderen Ansprüchen. Diese Überzeugung ist bereits in der
LXX vorbereitet, wird von Josephus bzw. seinen Gewährsmännern
vorausgesetzt und ist auch von der Sapientia Salomonis und den
sogenannten Aristobul-Fragmenten vertreten. Diese hermeneutische
Tradition kommt bei Philo zu einer gewissen Vollendung.

Die Stellung der Kosmologie im Gesamtwerk Philos wird im
2. Teil der Arbeit behandelt. Symbolik, Etymologie und Wortspiel
bestimmen die exegetische Methode, die Philo anwendet. Es ist
die seiner platonisierenden Zeitgenossen. Eigentlich ist nur
Terminologie und Ausdrucksweise verschieden. Ratio und aucto-
ritas der veteres muß im AT selbstverständlich immer dieselbe
sein. Das gilt für die ,Mysterien' des Moses und anderer atlicher
Propheten, wie es für die interpretatio hellenistica der Mysterien
in der Umwelt in Anspruch genommen wurde. Je vielseitiger die
Terminologie, desto breiter die Front, in der der Hellenismus
vom AT her erfaßt und durchdrungen wird. Gegenüber der behaupteten
Einheit des AT stellt Philo die Uneinigkeit der Sophisten
mit ihrer anthropozentrischen Einstellung, ihrer Skepsis, mit ihrer
physikalischen oder ethischen Problematik, die doch zu keinem
Ziel führen, fest. Von der Offenbarung aber, die Moses verkündete
, hängt letztlich alle Philosophie ab. Dafj allerdings umgekehrt
Philo sich in seiner exegetischen Methode als abhängig von der
Philosophie des Hellenismus erweist, läfjt sich an vielen Punkten
zeigen. Die Methoden der Welterkenntnis sollen zur Gotteserkenntnis
führen. Sie wird im Seelenflug gewonnen, der in der Gottesschau
endet, oder in dem stufenweisen, erkenntnismäßigen Aufstieg
der Seele. Die Gottesschau entspricht der Gottähnlichkeit des
Menschen, oder sie ist unter der Voraussetzung einer dualistischen
Anthropologie der Seele eigentümlich, oder sie gehört einer bestimmten
Gruppe von Menschen, die auf Grund ihrer Begabung
über die irdische Welt hinaus zum intelligiblen Kosmos gelangen.
Das Verlassen der Sinnlichkeit in der Schau bedeutet Ekstase, den
Seelenzustand des .nüchternen Rausches'. Sie erfüllt sich für Philo
im prophetischen Enthusiasmus, in der philosophischen Betrachtung
und entspricht dem Eintritt des Hohenpriesters in das Aller-
heiligste einmal im Jahr. Für den stufenweisen Aufstieg der Seele
zur Erkenntnis sind ebenfalls verschiedene Motive zu unterscheiden
. Die Jungen stehen den Alten gegenüber wie die Fortschreitenden
den Vollkommenen. Erst wer die Vorstufe der enzyk-
lischen Wissenschaften überwunden hat, gelangt als rechter Philosoph
zur Sophia und damit zur Tugend. Nur der Weise ist für die
allegorische Interpretation aufnahmefähig. Er ist von der Stufe
des Hörens zu der des Schauens fortgeschritten. Gott selbst ist in
seinem Wesen auch so nicht erfaßbar. Philo kennt wohl eine erbauliche
Schau des höchsten Seins, die dem Weisen vorübergehend
zuteil wird. Aber das ist nicht wie bei Plato erstrebbares und erreichbares
Erkenntnisziel, sondern in Sehnsucht erhoffte Gnadengabe
. Nur in der Gestalt des Logos als des Abbildes Gottes ist
Gotteserkenntnis möglich. Gott selbst offenbart sich im Logos.
Diese Offenbarung führt über die vernünftige Gotteserkenntnis
aus der Schöpfung hinaus. Neben dem Logos steht die Sophia, die

vom AT her als Hypostase erscheint und in den kosmologischen
Spekulationen für den Logos eintreten kann.

Die mit all dem angedeuteten denkerischen Bemühungen Philos
sind von der Vf.n in kritischer Verarbeitung der widerstrebenden
Texte und in fortlaufender Auseinandersetzung mit den bisherigen
Ergebnissen der Philoforschung sorgfältig aufgezeigt. Die stoffreichen
Anmerkungen wie das ausführliche Literaturverzeichnis
geben Einblick in diese Arbeit. Philos Bemühungen sind philosophisch
orientiert. Aber es geht ihm nicht wie etwa Plato um die
Weisheit als die schöpferische Kraft des Menschen zur Welterkenntnis
und Weltbeherrschung, sondern um die Auslegung des
AT und seiner Offenbarung als des letzten Ziels und der Erfüllung
und Vollendung alles menschlichen Erkenntnisstrebens, das nicht
bei Philo, wohl aber im gnostischen Mythos sich hybristisch übersteigert
. Philo kommt aber nicht, wie es nach manchen Ausführungen
scheinen könnte, mit einem philosophischen Vorverständnis
an den atlichen Text heran, sondern umgekehrt, er ordnet
die Aussagen der atlichen Überlieferung mit Hilfe der in der
Philosophie gegebenen begrifflichen Möglichkeiten. Soweit er sie
verwendet, ist es für ihn selbstverständlich, dafj sie letztlich die
Weisheit des Moses, d. h. die atliche Offenbarung zum Ausdru<ir
bringen wollen, auch wenn das nur unvollkommen gelingt. So ist
es nicht nur eine Folge des philosophischen Synkretismus der
Kaiserzeit, wenn sich mannigfache, auch disparate philosophische
Elemente bei Philo finden. Vielmehr verwendet er sie alle, um
Stoikern und (Neu-)Platonikern und welcher Richtung auch immer
über seine philosophische Interpretation des AT den Weg von der
Philosophie zur Offenbarung zu zeigen.

Die Vf.n hat diese Absicht und dieses Ziel Philos wohl erkannt
und hat darauf hingewiesen. Ihr Thema wies sie zunächst auf die
Nachprüfung der philosophischen Interpretation der biblischen
Schöpfungsgeschichte bei Philo. Für die umsichtige und übersichtliche
Darlegung dieser in sich schwierigen Materie sind wir ihr
dankbar verpflichtet.

Gießen Georg Bertrom

Gregorius Nyssenus: Encomium in Sanctum Stephanum Proto-
martyrem. Griechischer Text, eingeleitet u. hrsg. mit Apparatus
criticus und Übersetzung von O. Lendle. Leiden: Brill 1968. XLX,
309 S., 6 Tab. gr. 8°. Lw. hfl. 32.-.

Gregor hat die Rede auf den „großen" Märtyrer Stephanus
wohl am 26. Dezember 382 gehalten. Den Text las man bisher
in der Ausgabe des Fronton du Duc vom Jahre 1615, die - über
Morellis Nachdruck von 1638 - in Mignes Sammlung aufgenommen
ist (Ser. gr. 46, 701-721). Fronton du Duc fußte seinerseits
auf dem ersten Druck der Homilie, den 1587 der Augsburger
David Hoeschel veranstaltete. Hoeschel und Fronton du Duc legten
ihren Ausgaben einige wenige Handschriften zugrunde, die
ihnen zugänglich waren. Die vorliegende Ausgabe stützt sich auf
nicht weniger als 114 Textzeugen. Das Problem, das eine so
reiche Überlieferung dem Editor stellt, hat Lendle veranlaßt, über
die Editionstechnik nachzudenken, die für die Ausgabe von
patristischen Texten wie dem vorliegenden als sachgemäß erscheint
. Das Ergebnis seiner Bemühungen ist in Teil II des Buches
niedergelegt: „Bestand und Geschichte der Überlieferung'
(S. 47 ff.). Der schmale erste Teil bringt den Text und seine Übersetzung
. Wir haben damit gewissermaßen eine Modellausgabe
erhalten; der Text wird, wie angekündigt ist, in die von Werner
Jaeger inaugurierte Leidener Ausgabe der Werke Gregors aufgenommen
werden.

Fast alle Textzeugen können „mit Sicherheit einer von zwei
wesentlich unterschiedenen Textfassungen" zugewiesen werden
(S. 263). Der Vulgatatext ro2 stammt aus dem Archetyp; ru1
ist am reinsten in dem Variantenträger y bewahrt. Der „byzantinische
Text &)1 stellt eine Rezension dar, die kaum vor der Mitte
des 9. Jahrhunderts in Konstantinopel im Rahmen einer Sammlung
von Gregorschriften vorgenommen wurde. Diese Textgestaltung
ist „das Werk eines byzantinischen Philologen, der mit
imponierender Freiheit gegenüber der Tradition eine regelrechte
neue Fassung von stellenweise unbestreitbarer Qualität entworfen
hat" (S. 286 f.). „Wir dürfen sagen, daß die entscheidende Phase
der Überlieferungsgeschichte durch den Wettstreit dieses .byzantinischen
Textes' &>' mit dem ,Vulgatatext' a>2 geprägt ist" (S. 287).
In der Regel hat allein die Ausgabe a die Ausgabe w' fortgesetzt.
Im übrigen bilden sich mehrere Mischformen aus, die zahlreiche
Kontaminationen aufweisen; die Recensio codicum geht dem ins
einzelne nach (S. 123 ff.). Von den Variantenträgern stammen o
und ß aus Konstantinopel, „ y, <5 c und f dagegen vermutlich
aus verschiedenen Zentren des südöstlichen Mittelmeerraumes,
jedenfalls nicht aus Byzanz" (S. 263). Träger der Überlieferung
sind vor allem die liturgischen Sammlungen, in denen die Predigt
seit dem 9. Jahrhundert auftaucht. Die Predigt diente als Lesung
am 27. Dezember.