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Ausgabe:

1970

Spalte:

108-109

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Bauer, Günther

Titel/Untertitel:

Anfänge täuferischer Gemeindebildungen in Franken 1970

Rezensent:

Mecenseffy, Grete

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 2

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rede Luthers. Es wird gezeigt, dafj die Visitationsinstruktion, die
zwar ihre Entstehung in der kurfürstlichen Kanzlei nicht verleugnet
, aber von anderen obrigkeitlichen Erlassen deutlich abgehoben
ist, nicht als Dokument landesherrlichen Kirchenregiments
gewertet werden kann. Auch wird deutlich, dafj keine Widersprüche
zwischen den genannten Dokumenten bestehen. Dafj der
Kurfürst und seine Kanzlei sowie die Universität in Wittenberg
für die rechte Verkündigung des Evangeliums sorgten und darüberhinaus
die weltliche Obrigkeit Aufgaben übernahm, die vorher
der Kirche zugestanden hatten, wie Ehegesetzgebung oder
Verwaltung ehemaligen Kirchen- und Klostergutes, war ein Erfordernis
der Liebe und erwies sich in Ermangelung von Bischöfen
nicht nur als nützlich, sondern auch als notwendig, zumal Fürsten
wie Universitätslehrer evangelische Christen waren. Kirchen- und
verfassungsrechtliche Theorien wurden zunächst nicht erwogen.

Allerdings waren damit Weichen für die Zukunft gestellt.
Der Übergang zur Orthodoxie lief} allmählich Motive erlöschen,
die den Dokumenten von 1527/28 ihren besonderen theologischen
Charakter gesichert hatten. Der Landesherr bestimmte bald nicht
mehr im Sinne des allgemeinen Priestertums aller Gläubigen -
was nicht mit modernen demokratischen Vorstellungen verwechselt
werden darf -, sondern als politisches Oberhaupt in der
Kirche, zumal die enge Verbindung zwischen Landesfürstentum
und Kirche nicht erst durch die Reformation hergestellt worden
war. Die Bindung an die Heilige Schrift wich der mittelbaren an
das Bekenntnis. Die in eschatologischer Erwartung lebende reformatorische
Gemeinde verwandelte sich in die Staatskirche, in der
der Fürst seinen Untertanen das geistliche und leibliche Wohl verbürgte
. Sprachlich erstarrten jetzt evangelische Zeugnisse der
Reformationszeit zu Formeln einer kirchlichen Amtssprache, die
übrigens die Kirchensprache der Zukunft stärker geprägt haben
als die Bekenntnisschriften.

Nachdem diese Wandlung an sächsischen Urkunden der folgenden
Jahrzehnte kurz erläutert worden ist, zieht Vf. ausführlich
die braunschweigisch-wolfenbüttelschen Kirchenordnungen heran.
Er will damit den Rahmen über das Ursprungsland der lutherischen
Reformation hinaus ausdehnen. Braunschweig-Wolfenbüttel
empfahl sich besonders, weil hier der Beginn der Reformation in
engem Zusammenhang mit Kursachsen stand. Die erste landesherrliche
Instruktion von 1542 stimmt nämlich fast völlig mit der
ersten albertinischen Ordnung von 1539 überein, die ihrerseits
auf die kursächsisch-ernestinische Instruktion von 1527 zurückgeht
. Auch stammt die erste Wolfenbüttler Kirchenordnung aus
dem Jahre 1543 im wesentlichen von dem Wittenberger Stadtpfarrer
und Theologieprofessor Bugenhagen. Ein Vergleich der
einzelnen Kirchenordnungen bestätigt die bisherigen Ergebnisse.
Mag auch zunächst dafür, dafj das landesherrliche Kirchenregiment
schon 1543 stärker als bei den sächsischen Ordnungen hervortritt,
die besondere Situation in Braunschweig-Wolfenbüttel mit verantwortlich
gemacht werden, weil hier das evangelische Bekenntnis
von der kursächsisch-hessischen Besatzungsmacht aufgezwungen
worden war, so herrschten jedenfalls, als 1568'69 die Reformation
endgültig eingeführt wurde, normale poltische Voraussetzungen
. Und wie in allen evangelischen Territorien kam es jetzt
auch hier zum reinen fürstlichen Summepiskopat. Entsprechend
sind, im Gegensatz zu den sächsischen Urkunden der zwanziger
Jahre, Proteste der Reformatoren des Fürstentums Chemnitz und
J. Andrea, gegen Übergriffe nachweisbar. Bezeichnend für die
Situation ist auch, dafj die 1576 gegründete Universität Helmstedt
als landesherrliche Akademie zunächst in engster Abhängigkeit
von Kanzlei und Konsistorium stand. Der freiere Geist, den Calixt
zum Siege führte, konnte erst allmählich Boden gewinnen.

Es gelingt Vf., zum Teil die bisherige Forschung bestätigend,
zum Teil sich von ihr absetzend, zu zeigen, dafj »die Zäsur zwischen
reformatorischer Theologie und landesherrlichem Kirchen-
regiment . . . zwischen den drei Dokumenten (von) 1527/28 auf
der einen und den späteren Ordnungen auf der anderen Seite"
liegt (S. 262). Immer wieder verwahrt er sich gegen anachronistische
Vorwürfe gegenüber den Reformatoren und beurteilt die
jeweiligen Ergebnisse aus der Zeit heraus. Es liegt ein Buch vor,
das der Kirchenhistoriker mit Genufj liest.

Auf die minutiösen Beobachtungen an den Quellen einzugehen
, ist im Rahmen einer Besprechung unmöglich, so wichtige
Einzelergebnisse über die genannten hinaus dabei auch für die
Lutherforschung resultieren.

Ein Verzeichnis der einschlägigen oder eine Zusammenstellung
der verwendeten Literatur könnte die Weiterarbeit erleichtern
. - Unter den nicht wenigen Druckfehlern gibt es leider sinnentstellende
. - Beim Eingehen auf die Weiterentwicklung der
sächsischen Verhältnisse seit 1537 wäre mitunter gröfjere Klarheit
wünschenswert. Zum Beispiel bezieht sich die Instruktion Heinrichs
aus dem Jahre 1537 nicht nur auf die „einzelne Stadt" Freiberg
(S. 143). Ob die List erlaubt ist, spätere Kirchenordnungen
des albertinischen Sachsens auch unter der Kennzeichnung .Kursachsen
" heranzuziehen mit der Rechtfertigung, da5 die Kurwürde
1547 von den Ernestinern auf die Albertiner übergegangen sei
(S. 48)?

Leipzig Ingetraut Ludolphy

Bauer, Günther: Anfänge täuferischer Gemeindebildungen in Franken
. Nürnberg, Veilhofstr. 28: Selbstverlag des Vereins f. bayerische
Kirchengeschichte 1966. XV, 190 S. gr. 8° = Einzelarbeiten
aus der Kirchengeschichte Bayerns, hrsg. v. Verein f. bayerische
Kirchengeschichte unter verantwortl. Schriftleitung v. G. Kühr,
43.

Die Arbeit stellt eine der Teiluntersuchungen dar, die notwendig
sind, um einst eine umfassende Geschichte des Täufertums
schreiben zu können. Schlagartig einsetzende Verfolgung durch
weltliche und kirchliche Obrigkeiten lieö die junge Bewegung in
Franken über Anfänge nicht hinauskommen. Eine genaue Überprüfung
der Quellen ermöglichte es dem Vf., manchen Irrtum der
bisherigen Forschung richtigzustellen. Zu vergleichen sind die Veröffentlichungen
von G. Berbig, Die Wiedertäufer im Amt Königsberg
in Franken i. J. 1527 28 (DZKR 35, 1903); ders.. Die Wieder-
täuferei im Ortslande zu Franken (DZKR 44, 1912); P. Wappler,
Die Täuferbewegung in Thüringen von 1526-1584 (Beiträge zur
neueren Geschichte Thüringens, Bd. 2, Jena 1913). Bauer weist auch
auf die notwendige Trennung der wehrlosen Täufer von denen
hin, die sich für die Gewalttaten der Herren nach dem Bauernkrieg
1526 27 rächen wollten (S. 9 ff.). Auch mag Georg Volk der
Sozialrevolutionären Vorstellungswelt des Bauernkrieges noch
nicht völlig abgeschworen haben, als er 1526 von Hut für das
Täufertum gewonnen wurde.

Dem Siegeszuge Hans Huts durch Franken ist der Hauptteil
des Buches mit der Schilderung der Gemeindegründungen, ihrem
Werden und Vergehen gewidmet. Behandelt werden die kursächsische
Enklave Königsberg; Grofjwalbur-Meeder-Coburg,-
Scherneck-Staffelstein-Uetzing; Hildburghausen und Bamberg.
Daran schließt sich Alterlangen; dort kann aus dem Verhör von
Hans Ritter, das den Vergleich der Kreatur in der Hand des Menschen
mit dem Menschen in der Hand Gottes anführt, der Einflufj
Huts ebenso nachgewiesen werden, wie ich es für sein zweites
Missionsgebiet, Oberösterreich, getan habe (vgl.: Die Herkunft
des oberösterreichischen Täufertums [ARG 47, 1956]). Ein dritter
Mittelpunkt von Gemeindebildungen lag in Uttenreuth. In Schalkhausen
wurde der evangelische Pfarrer Hans Hechtlein durch Georg
Nespitzer (Jörg von Passau) und den hessischen Täufer Melchior
Rink für die Bewegung gewonnen (S. 66 f.); schließlich wirkte dort
auch Marx Maier aus Alterlangen. Die Gemeinden um Crainthal
wurden nach der Täufersynode in Augsburg im Herbst 1527 und
im Frühjahr 1528 gegründet. Geschildert werden jeweils die
Gründungen, das Werden und Vergehen der Gemeinden, die durchweg
keine lange Lebensdauer hatten, höchstens bis 1531 existierten
, weil die Obrigkeiten in der Furcht, es könnten sich die Ereignisse
des Bauernaufstandes wiederholen, rasch zuschlugen.
Auffallend ist durchweg die milde Bestrafung. Ähnlich wie in
Hessen ist Landesverweisung die äufjerste Ahndung des .irrigen"
Glaubens. In der Strafverhängung spielt das harte Wiedertäufermandat
, das der Reichstag von Speyer am 23. 4. 1529 zum Gesetz
erhob und für die Verurteilung der österreichischen Täufer ausschlaggebend
war, keine Rolle.

Das Interesse des Lesers konzentriert sich auf die Ereignisse
in Nürnberg, da die Reichsstadt in der Frage der „gottlosen Maler"
und der Entlassung Hans Dencks als Rektor der Sebaldus-Schule,
besonders aber in der Hinrichtung des Pfarrers von Eltersdorf
Wolf gang Vogel am 26. März 1527 einen sehr harten Kurs eingeschlagen
hatte. Wie schon Robert Friedmann in dem Artikel des
Mennonitischen Lexikons, IV S. 433, bemerkte, war der Rat eher
von politischen Motiven geleitet worden als von der Überzeugung,
dafj es sich um einen Ketzer handele, wenn auch Vogel zugab,
wiedergetauft zu sein und selbst getauft zu haben (S. 129 ff.).
Bauer ist der Meinung, dafj sich Nürnberg beim Reichsstatthalter
Erzherzog Ferdinand in ein gutes Licht setzen wollte, wenn die
Stadt eine Rebellion niederschlug, die indes niemals nachgewiesen
werden konnte. In der Folge wurden die Urteilssprüche, die über
Täufer gefällt wurden, viel milder. Die meisten kamen mit einem
Widerruf davon oder wurden, wenn sie diesen nicht leisten wollten
, des Landes verwiesen.

Am Schluß wird ein Blick auf die Träumersekte geworfen
(S. 162 ff.). Diese „Träumer" waren keine Täufer, wohl aber flüchteten
sich frühere Taufgesinnte zu diesen Spiritualisten, die sich,
angeblich vom Geist Gottes geleitet, in schlimmen Eheverfehlungen
ergingen. 1531 wurden drei Todesurteile gefällt; eines davon
traf Marx Maier (S. 175).

Bauers Buch stellt eine wichtige Veröffentlichung dar, besonders
durch die Darstellung von Querverbindungen, die er aus dem
Räume Franken in andere Gebiete ziehen konnte. Vorteilhaft wäre
es, wenn die verwendeten schon bekannten Akten, die durch Be-