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Ausgabe:

1970

Spalte:

104-105

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Romaniuk, Kazimierz

Titel/Untertitel:

Il timore di Dio nella teologia di San Paolo 1970

Rezensent:

Bertram, Georg

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 2

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bis an das Ende dieses Äons bleibt (S. 51). Ihrem Wesen nach ist
der Glaube also eine »Aktion Gottes" (S. 55), deren Zentrum Jesus
Christus ist. „Mit pepisteumai meint Paulus, daß er zur pistis
Kontakt bekam, und zwar so, dag die Initiative auf Seiten der
pistis lag" (S. 68). In der theologischen Darstellung stimmt B.
also mit Ebeling gegen Bultmann überein (S. 37). Dieses pauli-
nische Glaubensverständnis ist schon in der neutestamentlichen
Zeit durch die vom Hellenismus herkommende Begrifflichkeit
überlagert worden.

In einem Anhang (S. 83-108) behandelt B. die Interpretation
des paulinischen Glaubensbegriffes bei R. Bultmann, aufgrund
seines Artikels pistis im ThW. Er wirft ihm eine unsachgemäße
Subjcktivierung des Glaubensbegriffes vor: „Das hat seine Ursache
. . . darin, daß et den Begriff der paulinischen pistis auf den Akt
der subjektiven Entsprechung des Menschen reduziert, anstatt
die pistis als Beweggrund des pisteuein zur Kenntnis zu nehmen
. . . Dennoch soll und muß anerkannt werden, daß das eigentliche
Anliegen Bultmanns sich mit dem deckt, welches Paulus sich durch
Jer 31, 31 ff. nahelegen ließ: Der Mensch soll „Von innen her"
für das pisteuein (besser: für die pistis) gewonnen . . . werden"
(S. 94).

Bei der Lektüre der Studie tauchen einige Fragen auf. Die Behauptung
, daß der Begriff pistis in der Logienquelle nicht vorkommt
und in die Quellen der Synoptiker erst nach Paulus eingepflanzt
wurde, ist nicht ausreichend begründet und deshalb
wenig überzeugend. Auch das textkritische Problem in Rom 5, 2
wird allzu leicht übersprungen (S. 12). Die Grundthese - die Betonung
der transsubjektiven geschichtlichen Dimension des paulinischen
Glaubensbegriffes - ist jedoch gut begründet und dem
Vf. gebührt Dank für seine anregende Arbeit, die auch für die
systematische Theologie Konsequenzen hat. Als er sie geschrieben
hat, hat er geglaubt, daß er „gegen den Strom schwimmt" und sich
nur mittelbar an den Arbeiten von G. Ebeling und E. Käsemann
stützen kann. Inzwischen hat auch P. Stuhlmacher die Bedeutung
des paulinischen Glaubensbegriffes als eines überindividuellen
Gesamtphänomens betont und seinen Zusammenhang mit der
Rechtfertigungslehre näher beschrieben (Gerechtigkeit Gottes bei
Paulus, 21966, S. 81; vgl. die Arbeiten von Ch. Müller, U. Luz,
teilweise auch von V. P. Furnish, in der Systematik von W. Dan-
tine). Es wird dargelegt, daß nicht die Anthropologie im engeren
Sinne, sondern die Menschheitsgeschichte der angemessene Hintergrund
sind, auf welchem der paulinische Glaubensbegriff interpretiert
werden muß.

Prag Petr Pokorny

Strobel, August: Erkenntnis und Bekenntnis der Sünde in neu-
testamentlicher Zeit. Stuttgart: Calwer Verlag (1968). 78 S. gr. 8"
= Arbeiten zur Theologie, hrsg. mit A. Jepsen und O. Michel von
Th. Schlatter, I, 37. Kart. DM 9.50.

In zwei fast gleichen Teilen wird über das Zeugnis des Spätjudentums
und über das des NT gehandelt. Entsprechend der für
den Bereich des Spätjudentums eigentümlichen Gottesvorstellung -
der Heilige und Gerechte greift richtend und strafend ein,
sobald das Volk seiner Wahl oder dessen einzelner Vertreter in
der Bundestreue versagt —, wird Sünde erkannt und bekannt, daß
Gott eine verdiente Notlage herbeigeführt hat. Diese Selbstanklage
schließt jedoch die Überzeugung ein, daß Gott, sofern gewisse Voraussetzungen
erfüllt werden, „Gnade vor Recht ergehen läßt", weil
er seinem Wesen gemäß und gemäß den Erfahrungen der Geschichte
barmherzig und langmütig handelt. Er ist aber auch der
Alleinige, der einen Ausweg finden kann. So ergibt sich ein traditionelles
Bußgebet-Schema, das im AT (Ps 51!) vorliegt und - weitgehend
an den Kult gebunden - in den spätjüdischen Zeugnissen
bewahrt bleibt. Bringt das Gesetz im atl. Bereich Klarheit darüber,
was Sünde ist, nämlich Versagen des Bundesgehorsams, und ist das
Sündenbekenntnis eine Erneuerung der Gebotsverpflichtung, so
wirkt die spätjüdische kasuistische Gesetzlichkeit deformierend.
Die Masse der unbedeutenden Vergehen erdrückt den Ernst der
eigentlichen Verfehlungen und führt, zumal in der Apokalyptik,
zur Bildung exklusiver Gruppierungen, die sich von der allgemeinen
Schuldverhaftung ausgenommen wähnen.

Von den ntl. Zeugnissen charakterisiert S. zuerst die der
Evangelisten. Markus: Die Begegnung mit Jesus, der die „Vergebung
Gottes in Person" ist, führt zur Feststellung der Totalverschuldung
des Menschen, was die Kreuzigung, die „große
Schandtat des Menschengeschlechts", definitiviert. Aber Gott verhütet
das Zu-Fall-Kommen, beseitigt die Sünde und macht das
Kreuz zum Zeichen seiner Liebe. Lukas: Jesus ist die leibhaftige
Begegnung mit dem Heil, und von daher wird die Vergebung ein
den Menschen zutiefst bestimmendes Tatgeschehen, wenn das
Sündenbekenntnis gewissensmäßig aufrichtig ist und auf die
Normalhaltung Barmherzigkeit und sittliche Erneuerung aus ist.
Matthäus: Der ekklesiologische Rahmen tritt in den Vordergrund,
offenes Sündenbekenntnis und Wiedergutmachung im Interesse

brüderlicher Gemeinschaft vor Gott. Johannes: Die Sünde ist
willentliche Ablehnung der Sohnschaft und Sendung Jesu, was
erkannt und bekannt werden muß, damit Vergebung zustandekomme
und jene Wirklichkeit, welche die Sünde als Macht ent-
mächtigt, erreicht werde.

Die Auffassung der Evangelisten wird gegenüber dem Vorstellungskreis
des Judentums als „völlig neu" hingestellt. Begründet
wird es damit, daß Israel „angesichts des heilsgeschichtlichen
Horizonts, die Christusgemeinde dagegen angesichts des cschato-
logischen Horizonts des Christusgeschehens" zur Sündenvergebung
gebracht worden sei, sowie damit, daß die Rolle des Gesetzes,
darüber, was Sünde ist, Klarheit zu bringen, nun dem „Wort"
(S. 71) oder dem „Ethos Jesu" (S. 40) zufalle.

Das Zeugnis des Paulus behandelt S. erst im Anschluß an das
der Evangelisten. Sein Sündenbekenntnis erfolge im Blick auf das
Kreuz, seine Sündenerkenntnis aber entstehe am Gesetz. Im übrigen
ist S. - mit Lohmeyer - der Ansicht, „daß das Problem der
Sünde offenbar für Paulus nicht aus der Erfahrung des eigenen
Herzens und Lebens aufgestiegen ist (wie bei den Reformatoren,
vgl. S. 51 ff.!), sondern eben in einer besonderen theologischen
Betrachtung der Welt und des Menschen gegeben war, die Beziehung
aufweist zum Rabbinismus der Zeit".

Hier kann man m. E. dem Vf. nicht folgen. Wenn feststeht, daß
Paulus das älteste ntl. Zeugnis bietet (S. 47 f.), dann ist es mindestens
unwahrscheinlich, daß das Neue an der christlichen Sündenauffassung
bei ihm in einer weniger originalen Gestalt vorfind-
lich wäre, als bei späteren ntl. Autoren. Hätte nicht - wie bei den
Darlegungen über die jüdischen Zeugnisse - wenigstens erwogen
werden müssen, daß sich im NT eine andere Gottesvorstellung
meldet? Am paulinischen Schrifttum könnte das immerhin gezeigt
werden. Denn Paulus denkt nicht, wie das Judentum, im Strukturschema
des Gegenüber zwischen forderndem Gott und gehorchendem
/ nicht gehorchendem Menschen, sondern er spricht von dem
zum Mitwirken veranlaßten Menschen (vgl. die „Sünderannahme"
bei Jesus!), der so von der Sündenmacht abgelenkt wird, - nicht
von der „Sünde", die „ausschließlich als verhängnisvolle Tat des
Menschen" (S. 49!) anzusehen wäre. Der Christ befindet sich nicht
mehr in dem der Sündenmacht nicht gewachsenen Nomos, sondern
in Christo, dem Sieger, und Sündenbekenntnis ist für ihn wesentlich
Rückschau (vgl. S. 48) oder auch Angst vor dem Rückfall,
beides jedoch überhöht durch den in Christo aufbrechenden Dank
(Rom 7,25). Durch die Bedrängnis des Mitgekreuzigtwerdens hindurch
ist das Mitauferwecktwcrden erlangt. Wird dies später als
„Vergebung der Sünden" (deuteropaulinisch; vgl. S. 67), darnach
„Vergebung im Namen Jesu" und schließlich „Vergebung der Sünden
im Namen Gottes durch Jesus" bezeichnet, dann ist das spätjüdischer
Einfluß, der die Aktionssphäre Gottes zugunsten der gottesdienstlichen
und ethischen Sphäre zurücktreten läßt und das
Sündenbekenntnis als Vorbedingung der Gottesbeziehung hinstellt,
weil dem Gottesbegriff der Gesetzlichkeit und ihrer statischen
Sündenanschauung wieder Raum gegeben ist.

Strobels Studie wirft entscheidende Fragen auf. Darf die christliche
Theologie, um mit dem modernen Menschen im Dialog
bleiben zu können, aufhören, von der Sünde als Macht zu reden?
Muß nicht davon gesprochen werden, daß Sünde verführt und im
Letzten bedroht - nicht mit dem physiologischen Sterben (S. 63?),
sondern mit ewigem Zugrundegehen? Denn erst dann wäre „über
die Schuldfrage hinaus mit innerer Notwendigkeit auch die Sinnfrage
aufgeworfen" (S. 71), die, wie S. richtig sagt, beide vom
Kreuz aus zu beantworten sind.

Hermannstadt Hermann Binder

Romaniuk, Casimiro: II Timore di Dio nella Teologia di San Paolo.

Brescia: Paideia [1967], 149 S. gr. 8° = Associazione Biblica
Italiana. Supplementi alla Rivista Biblica, 2. Lire 2.000.—.

Die biblisch-theologische Studie des polnischen Exegeten, die
ins Italienische übersetzt ist, zielt auf den dialektischen Charakter
des Begriffes ,Furcht' bei Paulus. Die Formel ,mit Furcht und
Zittern' ist im griechischen Alten Testament vorbereitet, scheint
aber trotz gelegentlich vorkommender verwandter Ausdrücke eine
Eigentümlichkeit der Redeweise des Apostels zu sein. Der Stoff
des Themas wird entsprechend den überlieferungsgemäß angenommenen
Epochen der paulinischen Briefe (und Reden der
Apostelgeschichte) behandelt. Die Erfahrung der Furcht steht im
Mittelpunkt der paulinischen Gedankengänge. Angst, Bedrängnis,
Ungesichertheit des Lebens hat der Apostel selbst in Gefahr und
Verfolgung seitens der Menschen oft genug durchstehen müssen.
Schwachheit und Furcht sind für ihn Hinweis auf die Verantwortlichkeit
des apostolischen Dienstes. Er ist zur Mitarbeit am Werk
Gottes berufen. Das ist eine drückende und zugleich erhebende
religiöse Erfahrung: timor salutem praedicantium. Entsprechend
weist die Paränese auf die Furcht vor zeitlichen und ewigen Strafen
; auch sie trägt religiösen Charakter.