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Ausgabe:

1970

Spalte:

102-103

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Binder, Hermann

Titel/Untertitel:

Der Glaube bei Paulus 1970

Rezensent:

Pokorny, Peter

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 2

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trefflich gelöst. Er hat sich dabei Schlatters Arbeiten zum Matthäusevangelium
als Beispiel gewählt, um daran zunächst die
theologische Ausgangsposition Schlatters, seine kritische Methodologie
und seine historische und dogmatische Kritik, und dann
die exegetische Ausführung in der Interpretation des Matthäusevangeliums
aufzuzeigen. Schlatters Werk kann in der Tat gerade
im Vollzug der Einzelexegese nur von dem dabei zugrunde gelegten
Wissenschaftsbegriff her richtig verstanden werden.

Mit Recht wird festgestellt, daß Schlatter weder Fundamentalist
noch Biblizist war. Denn „es gibt nach Schlatter auch für die
theologische Wissenschaft keine formal irgendwie von der sonstigen
Denkarbeit unterschiedene Methode. Allein ,der Gegenstand
unserer Arbeit macht sie zur Theologie, nicht ihre Form'" (S. 20).
Für den Exegeten steht an erster Stelle der Sehakt, in dem er
aufmerksam zu beobachten hat, was im Text steht. Durch die Beobachtung
werden Tatbestände, wird Geschichte erkannt. Wer
seine Augen wirklich auftut, wird zur Bejahung Gottes geführt.
Es bedarf daher keiner Hypothesen, sondern nur des rechten
Hinsehens, um das Urteil zu bilden. Wenn Schlatter von dem
»Wissen um den in der Geschichte immer gleichen soteriologischen
Willen Gottes" (S. 49) ausgeht, so vertritt er damit doch keine
heilsgeschichtliche Deutung der Geschichte. Vielmehr hat die Theologie
»die Geschichte als eine Kausalabfolge zu untersuchen und
Gott als prima causa anzuerkennen" (S. 54). Mit dem Sehakt
aber, den der Exeget zu vollziehen hat, muß der Lebensakt auf
das engste verbunden sein; denn nur dann wird er den Denkakt
sachgemäß üben können. Eben aus dieser „Nähe Schlatters zu
existentiell-theologischen Fragestellungen ergibt" sich „nochmals
die Bestätigung, dafj Schlatter kein heilsgeschichtlicher Theologe
war" (S. 70).

Wie sieht nun die Exegese aus, die von dieser theologischen
Ausgangsposition her getrieben wird? Da Jesu Sendung nur in
der Einheit von Wort und Tat seines Wirkens verstanden werden
kann, lehnt Schlatter ebenso die Annahme einer Logienquelle
wie den Vergleich mit zeitgenössischen Wundergeschichten ab.
Matthäus gilt als der älteste Zeuge für Jesu Wirken, und er gibt
das Zeugnis so wieder, wie es in seiner Kirche ausgerichtet wird.
Indem Schlatter die Kirche des Matthäus und die gestaltende
Kraft des Evangelisten hervorhebt, steht er der sogenannten
redaktionsgeschichtlichen Fragestellung nahe. Aber da er weder
die Zweiquellentheorie noch die formgeschichtliche Untersuchung
der Evangelien anerkennt, ist er nicht kritisch im Sinne der modernen
redaktionsgeschichtlichen Fragestellung. „Schlatter möchte
seine Herausarbeitung der Theologie des Matthäus nur als Aktualisierung
dessen verstehen, was entweder vom historischen Jesus
in hoheitsvoller Weise bereits im voraus angekündigt worden war
oder was aus seinem Geschick von Mt erkannt und abgelesen
wurde" (S. 238). Traditions- und religionsgeschichtliche Untersuchung
des Evangeliums konzentriert und beschränkt sich daher
für Schlatter auf die Erforschung der Sprache des Evangeliums.
Hier ist „konkret das methodisch geforderte Sehen des Tatbestandes
" zu üben (S. 57). Mit Recht urteilt der Vf. „Mit dem
Hinweis auf den palästinisch-orientalischen Charakter der Sprache
und des Denkens im NT hat er (Schlatter) eine seiner wichtigsten
Leistungen vollbracht" (S. 57).

Darstellung und Beurteilung der Theologie Schlatters sind von
treffsicherer Beobachtung und besonnenem Urteil des Vf.s geleitet.
Er fordert dazu auf, eine Würdigung von Schlatters Arbeiten
müsse »zunächst Hochachtung bezeugen vor der Vielfalt und
Gründlichkeit des Geleisteten und vor der das Werk gestaltenden
Uberzeugungskraft" (S. 239). Aber er weist auch deutlich auf die
Grenzen dieses Werkes hin und verschweigt nicht, dafj Schlatters
Arbeitsweise »mehr dogmatisch als historisch" war (S. 86), und
„dafj der Systematiker Schlatter über den Exegeten Schlatter Sieger
geblieben ist" (S. 212 Anm. 29).

So viel nach wie vor für jeden Exegeten aus Schlatters Werk
zu lernen ist, so unerläßlich bleibt es, sich mit Schlatters Position,
die innerhalb der Grenzen der von ihm gewählten Methode in der
Tat kritisch genannt werden kann, eben kritisch auseinanderzusetzen
.

Göttingsn Eduard Lohse

Riedl, Johann: Das Heil der Heiden nach R 2,14 - 16. 26. 27. Möd-
ling b. Wien: St. Gabriel-Verlag 1965. XXXI, 236 S. 8° - St. Gabrieler
Studien, XX. DM 40.-.

Die Untersuchung besteht, worauf schon das Vorwort hinweist,
aus einem Überblick über die Geschichte der Exegese (1. Teil) und
der Darstellung der gegenwärtigen Forschung (2. Teil) j sie ist vor
allem problemgeschichtlich interessiert. Traditionsgeschichtliche
und religionsgeschichtliche Aufgaben werden kaum berührt, der
geschichtliche und grundsätzliche Horizont der Untersuchung bleibt
begrenzt. Katholische und nichtkatholische Exegese werden neben
einander abgehört. Die Fragestellung wird in der Einleitung zum
geschichtlichen Teil auf S. 6 folgendermaßen umrissen: „Als Bedingung
für die Heilsmöglichkeit der Heiden forderte man zunächst
einen explizierten Christus-Glauben, dann nur einen explizierten
Ein-Gott-Glauben, um schließlich beide Forderungen
miteinander zu verbinden und darin die Lösung zu sehen, daß
man einen explizierten Vergelter-Gott-Glauben forderte, in welchem
man einen Christus-Glauben eingeschlossen fand". In zwei
Etappen wurde dieser Weg durchschritten: zunächst richtete man
bis ins 15. Jh. den Blick ausschließlich auf die Heiden vor Christus,
seit dem Zeitalter der großen Entdeckungen verschiebt sich die
Fragestellung: man fragt jetzt auch nach der Heilsmöglichkeit der
Heiden nach Christus. In der Darstellung der gegenwärtigen
Problematik (2. Teil) legt der Vf. besonderen Wert auf die Verbundenheit
von 2,14-16 mit 2,26.27 (vgl. die Zusammenstellung
der Texte auf S. VIII-X). Pls denkt in diesen Versen nur an begnadete
Heiden, die er gegen die Juden ausspielt, um deren falschen
religiösen Nationaldünkel zu widerlegen (S. 217). Dabei sind seine
Ausführungen „eschatologisch" ausgerichtet, d. h. aus der Sicht des
jüngsten Gerichtes heraus zu verstehen (S. 217-219). Wie auch der
Vf. das dogmatische Problem gelöst denkt, zeigt er am Beispiel
Abrahams auf S. 226: „Abraham wurde bereits vor Christus, aber
nicht ohne Christus, der Sünde und dem Sünderschicksal von Gott
entrissen, um gerechtfertigt leben zu können". Interessant ist auf
S. 221 Anm. 66 der Hinweis auf Mt 25, 31-461 auch hier gehe es
um eine konkrete Frage: nach welchem Maßstab werden die
Heiden gerichtet werden? Zweierlei wird ein kritischer Leser dankbar
annehmen können: die Beschaffung des patristischen Materials
sowie der römisch-katholischen exegetischen Bemühung um
Rom 2, die im Anschluß an M. Lackmann, Vom Geheimnis der
Schöpfung, das Problem der „notitia Dei naturalis" weiterzuführen
sucht. Interessant ist dabei, daß die heidenchristliche Deutung, die
im Anschluß an Ambrosiaster eine lange Geschichte hat, auch im
römisch-katholischen Lager zunehmend auf Widerstand stößt
(Rom 2,14: gentes christianos-credunt in Deum et Christum). Vf.
nimmt einen gewissen Einfluß von Jer 31, 33. 34 auf Pls an (S. 202:
„Aber deshalb darf man dieser Stelle nicht jede Beziehung zu
Jer 31, 33 absprechen, was Kuss und mit ihm viele tun"). Es ist
selbstverständlich, daß die Arbeit weder methodisch noch sachkritisch
wirklich weiterführt.

Tübingen Otto Michel

Binder, Hermann: Der Glaube bei Paulus. Berlin: Evang. Verlagsanstalt
[1968). 120 S. gr. 8°. Kart. M 8.50.

Die Hauptthesen der vorliegenden Studie hat der Vf. - Professor
am Theologischen Institut in Hermannstadt (Rumänien] -
schon im Jahre 1954 niedergeschrieben und später im Rahmen
einer Gastvorlesung in Jena vorgetragen. Im Vorwort faßt er sie
selbst zusammen: „Pistis ist bei Paulus nicht ein zum Schema gewordenes
Abstraktum zu dem entsprechenden Tätigkeitswort, dem
der Mensch notwendigerweise als Subjekt hinzuzudenken wäre,
sondern das von Gott herkommende Geschehen im Neuen Bund,
das den Charakter einer transsubjektiven Größe, einer göttlichen
Geschehenswirklichkeit hat" (S. 5).

Diese These wird exegetisch begründet. B. stützt sich auf
Stellen, wo pistis absolut gebraucht wird, wie Rom 5,1 f., wo Glaube
mit »durch Jesus Christus" identisch zu sein scheint, und Phil.
1,27, wo schon Lohmeyer den Glauben »eigentümlich objektiviert"
sieht. Es wird dargelegt, daß man, wenn man das relativierende,
psychologisierende und dogmatisch objektivierende Vorverständnis
des Glaubensbegriffes überwindet, deutlich sieht, daß die
erwähnten Stellen keine Ausnahme bilden.

Die hellenistische räumlich-statische Auffassung des Glaubens
hat zwar die johanneischen Schriften und den Jakobusbrief beeinflußt
, aber »zu den Aussagen des Paulus über die pistis können
vom griechischen Sprachbereich aus keine Verbindungslinien gezogen
werden" (S. 30).

Mit Bultmann und gegen das historische Urteil Ebelings setzt
B. voraus, daß der Glaubensbegriff in der Urgemeinde keine
konstitutive Rolle spielt, daß er vielmehr von Paulus her in die
Evangelien gekommen ist (S. 36) und daß es erst Paulus war,
der, an die alttestamentliche Tradidition zurückgreifend (der
Stamm '-m-n), den Glaubensbegriff anhand Hab 2,4 von Jesus
Christus her neu interpretiert hat.

Durch die Analyse der paulinischen Aussagen über pistis wird
dann entdeckt, daß der Glaube als Geschenk Gottes in einer
gewissen Zeit auftaucht und kein zeitloser Wert ist. Der Glaube
ist mit dem Kreuzesereignis und mit der Auferweckung - mit der
Auflösung des Gesetzes und dem Neuen Bund - verbunden. Zeitlich
sind der Neue Bund und die pistis dem Kreuz nachgeordnet,
aber die pistis „existiert vor der Auferweckung, ja man kann
sagen, daß die pistis nach Paulus der Realgrund wie der eschato-
logischen Güter im allgemeinen, so auch der Auferweckung Jesu
ist" (S. 46). Dies wird an 1 Kor 15,14 f. 17 demonstriert. Die pistis
ist also keine subjektive Größe. Sie ist die mit der Auferweckung
Jesu aufgetauchte Dimension der Liebe Gottes (agape) (S. 49), die