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1970

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 2

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deren Gegenstand, dem Heiligen, nach Tendenz und Methode,
schließlich nach dem Leser solcher Produkte diese Literaturgattung
mitten in das Leben hineingestellt.

Die späteren Aufsätze verhalten sich dazu wie Ausführungen
im Detail. Am Beispiel Hippolyts wird aufgewiesen, wie die
Legende des antiken Heros auf seinen christlichen Namensvetter
abfärbte (pp. 97 - 102). Häufiger ist die Übertragung biblischer
Wunder auf Heilige, wie der Vf. anhand der Dialogi Gregors demonstriert
(pp. 50 - 61). Zwei Aufsätze über die HU. Aciscle und
Victoria (pp. 135 - 139) und über S. Aemilian (pp. 140 - 155) zeigen,
wie bei mangelnder Tradition aus echten Nachrichten, erfundenen
Urkunden und adaptierten Viten anderer Heiliger Legenden hergestellt
werden. Immer wieder wird deutlich, wie Legenden an die
anderer Heiliger angeglichen oder aus ihnen gewonnen werden,
wie die Doppelung des gleichen Heiligen oder die Identifikation
verschiedener, wie Verwechslungen und Verschreibungen zum
Wuchern hagiographischer Tradition führen. Hier ist besonders
eine Arbeit über die HU. Castus und Aemilianus zu nennen (pp.
378 - 388). Auch ein Aufsatz über eine Milchzahn-Reliquie Christi
(pp. 254 - 259) gibt aufschlußreiche Einblicke in die Methode der
Legendenschreiber.

Einige Aufsätze sind Themen gewidmet, an denen Motivübertragungen
deutlich werden, ohne daß in jedem Fall literarische
Abhängigkeit gegeben ist: Kindesraub von Seiten des Teufels
durch Unterschieben eines Wechselbalges (pp. 169 - 193), die
wunderbare Errettung von Erhängten (pp. 194 - 232, 35 Beispiele!),
die Seelen wägung (pp. 246 - 253).

Kirchen- und kulturgeschichtliche Einblicke vermitteln in besonderem
Maße auch die Aufsätze über die Anfänge des Heiligenkultes
(pp. 7 - 30), das Pilgerwesen (pp. 31 - 49) und über Wallfahrten
als Mittel des Strafvollzugs (pp. 401 - 407). Der Ikonographie
der Hl. Barbara ist eine Arbeit gewidmet, die seltene
Bildszenen aus literarischen Quellen deutet (pp. 233 - 245).

Unter den aufschlußreichen wissenschaftsgeschichtlichen Abhandlungen
zeigt eine mit dem Titel „Hagiographie et critique"
einmal mehr, wie alt manche .modernen' Probleme sind (pp. 289 -
310). Im Widerstreit von historischer Kritik und Volksfrömmigkeit
strebten die Bollandisten des 17. Jh. danach, „dire la verite mais
sans forfanterie et avec le souci marque d'eviter de blesser" (p. 303).

Darüber hinaus enthält der Band eine Fülle von Einzeluntersuchungen
literarkritischer und historischer Art, die hier nicht
einzeln genannt werden können. Unter ihnen ist von besonderer
Delikatesse der Nachweis, daß die seit mehr als einem Jahrhundert
in allen Handbüchern zu findende Notiz von der Kanonisierung
Isidors von Sevilla i. J. 1598 auf einen schlichten Irrtum Thallers
im Wetzer-Welte zurückgeht. Isidor ist nie kanonisiert wordern
(pp. 115 - 129). Vergnügen bereitet es zu lesen, wie 1632 ein Jesuit
nachweisen will, daß die Advokaten nicht so schlecht wie ihr Ruf
sind, die Liste von 50 Heiligen dieses Fachs aber derart nach
Advokatenmanier zusammenstellt, daß der Beweis wieder fraglich
wird (pp. 311 - 319).

Der Auffassung des Vf.s über das Verhältnis von Commendatio
animae und früher Grabeskunst (pp. 59 s) kann ich mich nicht anschließen
. Hier ist der Mehrzahl der Forscher gegen Martimort
und andere recht zu geben.

Eine Festschrift wie die vorliegende sollte eine Bibliographie
des Jubilars enthalten. Die nach Sachgruppen geordnete Aufstellung
der in den Analecta Bollandiana erschienenen Aufsätze auf
den Umschlagseiten 2-4 ist dafür nur ein schwacher Ersatz.
44 Abbildungen illustrieren bestimmte Themen.

Greifswald Hans Georg Thümmel

Barth, Karl: Allocution prononcee lors de la celebration de son 80e

anniversaire (EThR 42, 1967 S. 3-7).
Chantraine, G.: A propos de la liberte du theologien. Simples

reflexions (Nouvelle Revue Theologique 101, 1969 S. 531-538).
Kupisch, Karl: Vale senex magister et amice paterne (ZdZ 23, 1969

S. 81-85).

Lubac, H. de: L'Eglise dans la crise actuelle (Nouvelle Revue Theologique
101, 1969 S. 580-596).

Röhr, Heinz: Religion - Religionswissenschaft - Religionsunterricht
. Zum Gedächtnis des 100. Geburtstages Rudolf Ottos am
25. September 1969 (Freies Christentum 21, 1969 S. 149-153).

RELIGIONSWISSENSCHAFT

Bergmann, Jan: Ich bin Isis. Studien zum memphitischen Hintergrund
der griechischen Isisaretalogien. Uppsala: Universitets-
biblioteket (zu beziehen durch Almquist & Wikseil, Stockholm).
1968. 349 S. gr. 8° = Acta Universitatis Upsaliensis, Historia
Religionum, ed. by C.-M. Edsman u. G. Widengren, 3. Schw. Kr.
60.-.

Die seit Härders Karpokrates nicht mehr endende Flut von
Literatur über die Isisaretalogien erhält hier einen gewissen
Abschluß. Wenn das fleißige, umfang- und materialreiche und besonnene
Buch auch nichts eigentlich Neues bringt, ist es doch eine
gute Monographie, in der nahezu alles, was wir über die ägyptische
Isis wissen, gesammelt ist. Der in den hieroglyphischen Texten
ebenso wie in den griechischen bewanderte Vf. geht methodisch
- begreiflicherweise - davon aus, möglichst vieles als
ägyptisch zu erweisen, was ihm auch in vielen Fällen gelungen
ist, wenn man freilich auch in den Alternativen Ägyptisch-Griechisch
immer zurückhaltender wird, vor allem, da eine große Lücke
noch immer offen steht, nämlich die Frage nach den vorhellenistischen
griechischen Einwirkungen auf Ägypten. Vermutlich waren
sie viel größer als wir alle noch meinen. B. geht von der Diodor-
schen Fassung der Aretalogie aus, durchaus berechtigt, vergleicht
sie mit der „Osirisinschrift" und erkennt orphische Einschläge,
die er allerdings zuletzt wieder auf Ägyptisches zurückführt. Daß
Isis in der Osirisstele fehlt, könnte aber gerade seinen Grund
in dem orphisch-griechischen Charakter haben. Völlig recht hat der
Vf. darin, daß er die Nysastele nicht für eine Grabstele hält, rien
Hauptteil des Buches bildet eine hervorragende Analyse alles
dessen, was als memphitische Tradition gelten kann, ohne die es
keine Möglichkeit gibt, sich die Isisreligion zu erklären. Wenn
auch vieles nicht unmittelbar zum Thema gehört, ist man doch
für diesen Gesamtüberblick über alles Memphitische dankbar.
Man hätte nur stärker unterstreichen können, daß der griechische
Einfluß auf die ägyptische Kultur und Religion seit Amasis gewiß
noch viel größer gewesen ist als der von Naukratis ausgehende,
den niemand leugnet. Eine Art Exkurs über Ptah von Memphis
(auf das Urteil des Hieronymos ist aber nichts zu geben) unterstreicht
die religiöse Bedeutsamkeit der Stadt im Gegensatz zu
der konservativeren oberägyptischen Metropole, bei der jedoch
die starke Hellenisierung gerade in der spätptolemäischen Zeit
nicht genügend gewürdigt wird. Wichtig ist Memphis vor allem
für die Königsideologie, doch ist das Entwicklungsschema Identität
- Inkarnation - Sohnschaft nicht „grandios", sondern sehr anfechtbar
und eine unantike Modernisierung religionsphilosophischer
Spekulation, die in den Quellen keinerlei Anhaltspunkte
findet.

Ein besonderes Verdienst des Buches ist der ausführliche
Hinweis auf die Rolle, die die .Gottesmutter' Isis bei der memphitischen
Königskrönung spielt. Da es aber vor Raphia ganz
sicher keine ptolemäische Krönung in Memphis gegeben hat und
die noch immer vorhandenen Makedonen und Griechen in Alexan-
dreia sich daran erst allmählich gewöhnen mußten, ist mehr als
wahrscheinlich, daß alle Züge, die vom alten Königsritual abweichen
, Zugeständnisse politischer Art an die Griechen sind, vor
allem aber die Züge einer von Eleusis bestimmten Mutter eines
Gottesohnes. Hier hat' der Vf. m. E. das Ägyptische weit überbewertet
- das ist im Grunde griechisch und ein Beweis für die
Rolle, die die eleusinische Theologie des Eumolpiden Timotheus
in Ägypten gespielt hat. Das nur genealogische Moment der
ägyptischen Königsmutter konnte nur über Eleusis zu dem Mütterlichen
der späteren Ptolemaier werden. Im übrigen darf nicht
allzu sehr psychologisiert werden: die Freude über die Geburt
eines Kindes ist doch wirklich nichts typisch Ägyptisches, ebenso
wenig wie die Verkündigung der Festfreude. Für Isis als Mutter
oder als Gattin wäre aber chronologisch viel schärfer zu scheiden
gewesen. Die Komplexität der Vorstellungen löst sich oft chronologisch
einfacher als durch religionsgeschichtliche Systematik. Ausgezeichnet
erscheint aber der Hinweis, daß für die Entwicklung der
regina Isis Hatchepsut bereits eine eine Bedeutung haben könnte.

So dankenswert der materialreiche Aufweis der Beziehungen
der Isistheologie zur ägyptischen Königsideologie ist, so scheint
er mir doch speziell für die griechische Isisaretalogie überbewertet
. Ebenso wie die Königsideologie der Königspsalmen bereits
in der LXX ihren Sinn verloren hat, ist es doch bei der Isisaretalogie
. Schließlich ist aus der Königsterminologie, nicht aus
der Königsideologie, mit typischer Interpretatio Graeca nur das
übernommen worden, was zur späthellenistischen religiösen Koine
paßte. Daß hinter einer so alten und selbstverständlichen griechischen
Verbindung von wahr und gut oder wahr und schön „ein
mächtiger Komplex von ägyptischen Vorstellungen" stecken müsse,
wird - ganz abgesehen von der sehr schwierigen Interpretation
von nfr in Verbindung mit Maat - kaum einleuchten.

Diese Bemerkungen wollen den Wert dieses hervorragenden
Buches in keiner Weise vermindern. Wenn ich dem Vf. auch nie
glauben werde, daß die Isis Euploia etwas mit der Sonnenbarke
zu tun hat und der Dichter der ersten griechischen Isisaretalogie
hier auch nur interpretiert, wenn ich auch im allgemeinen die
Konzeptionen Müllers für richtiger halten muß, ist für ein Verständnis
der Königin Isis das hier gesammelte Material in Zukunft
unentbehrlich. Denn es ist weniger wichtig festzustellen, was
ägyptisch und was griechisch ist, als zu erkennen, welche alten