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Ausgabe:

1970

Spalte:

74-76

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Socha, Hubert

Titel/Untertitel:

Die Analogie zwischen der Hirtengewalt und der Dominativgewalt der klösterlichen Laienoberen 1970

Rezensent:

Langer, Gottfried

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 1

7 t

Unterricht im allgemeinen werden hier, was Notwendigkeit und
Wesen angeht, miteinander und auseinander begründet. Entweder
sie stehen gemeinsam, oder sie fallen gemeinsam. Nun ist
gewiß jede pädagogische Theorie an ihren Ort und ihre Zeit gebunden
und trägt immer schon in sich den Verzicht auf abstrakte
Allgemeingültigkeit. Dennoch muß es dem (außerhalb des Wirkungsbereichs
des Vf.s lebenden) Rezensenten erlaubt sein zu
fragen, ob es für diese Theorie eigentlich ohne Belang sein kann,
daß es die öffentliche Schule, für die der Religionsunterricht
konsequenter Selbstvollzug ist, beispielsweise weder im westlich
benachbarten Frankreich noch im östlichen benachbarten
sozialistischen Deutschland gibt? Halbfas, der mit dem kirchlich
-theologischen Status quo durch das ganze Buch hindurch so
schneidend abrechnet, bindet sich, wie uns scheint, mehr als
notwendig und zuträglich an einen kulturpolitischen Status quo.
Wenn er schreibt: „Wer freilich angesichts möglicher künftiger
kulturpolitischer Entwicklungen dem Religionsunterricht in
öffentlichen Schulen die Basis entziehen helfen will, der spreche
nur unbeirrt weiter von verkündigender Katechese: er grenzt
den vermeintlich religiösen Sonderbereich konsequent weiterhin
von allem ab, wo heute der Mensch lebt und denkt" - so setzt
er offenbar voraus, daß ein kirchlich verantworteter Unterricht
hinsichtlich der üblichen Tendenz zur Erweichung des
Unterrichtlichen und zur Isolierung des „Christlichen" irre-
formabel sei. Aber man kann der Wirkung der Argumentation
des Vf.s und anderer Autoren wohl etwas mehr zutrauen! Und
ist es wirklich ausgemacht, daß die Schule - im Zeitalter höchster
Anforderungen an die Ökonomie des Lernens - sich nicht
von dem Attribut „religiös" im weitesten Sinne (284f.) noch
erheblich entfernen kann, ohne damit aufhören zu müssen,
rechte Schule zu sein? Ist es ferner ausgemacht, daß das Prae der
Bibel vor anderen Überlieferungen in einer säkularen Gesellschaft
von solcher Evidenz bleiben muß, daß es einen eigenen
Fachunterricht begründet? (Vgl. H.Keisch, Eine Bibel für
Atheisten, in: Die Weltbühne XXIV/1969, 137ff.)

Was nun die bei all dem vorausgesetzte Fassung und Wertung
des Religionsbegriffs angeht, so sollte anerkannt werden: Eine
Öffnung des Religionsunterrichts zu den Fremdreligionen
(242ff.) und den Manifesten einer nicht christlich-thematisch gebundenen
Religiosität, die in der Dichtung vorliegen (226ff.), tut
tatsächlich dringend not. Aber führt der Weg dazu nur über den
Religionsbegriff Tillichs? Jedenfalls hat die heftig abgelehnte
„Neuorthodoxie Karl Barths" (30ff. 238) über die Religion noch
mehr zu sagen, als Halbfas aus dem Römerbriefkommentar und
KD 1/2 anführt. Barths verstecktes Gespräch mit Tillich über
das Licht und die Lichter, über die sich ständig kundgebende
„Tiefe des geschöpflichen Daseins" (KD IV/3, 168ff.) und die
„strengste Verbindlichkeit" solchen kreatürlichen Selbstzeugnisses
(eb. 175ff.), zusammengeschaut mit dem einen Licht des
Lebens Jesus Christus nicht in komplementärem, sondern kom-
prehensivem Denken (eb. 172), scheint uns für die ganze von
Halbfas eröffnete Fragestellung außerordentlich belangreich zu
sein. Von hier aus wäre eine Darstellung denkbar, die sowohl
das mögliche „religiöse" Moment jeden Unterrichts (Halbfas,
100) als auch einen zeit- und ortsbedingt schulischen Religionsunterricht
als schließlich den sachbedingt kirchlichen Unterricht
(vgl. 300ff.) zu seinem Recht kommen läßt. Komprehen-
sives Denken im Sinne der angeführten Barth-Stelle wird dabei
den mit dem kirchlichen Dienst selbst gesetzten Unterrichtsauftrag
herausstellen, ohne die traurige Lage in diesem Bereich
zu beschönigen und ohne das Selbstverständnis eines jeweiligen
nichtkirchlichen Religionsunterrichts klerikal zu unterspülen.
Die eigentliche Schwäche des faszinierenden Buches liegt in
einem angesichts des Titels schwer verständlichen Verzicht - im
Verzicht darauf, den der Kirche eigentümlichen Unterricht (und
das ist nicht nur der Liturgie- bzw. Sakramentsunterricht) in
kritischer Auseinandersetzung mit seinen Fehlformen und ihren
Voraussetzungen neu zu begründen.

Der zweite (IV. Religionsbücher „heute") und dritte Teil
(V. Die religiöse Mitteilung, VI. Die Infrastruktur des Religionsunterrichts
) bringen eine solche Fülle von Feststellungen und
Forderungen, Eröffnungen und Warnungen, daß eine Einzelbesprechung
sich hier aus Raumgründen verbietet. In immer
neuen Hinsichten entfaltet der Vf. polemisch seine Grundposition
. Den in ihrem gesellschaftlichen und gedanklichen Sonderbereich
fest eingerichteten Kirchen wird dabei keine Zumutung
erspart. So seien lediglich einige Komplexe genannt, die die
Lektüre besonders lohnend machen. Da ist zunächst die ausführliche
Analyse von Religionsbüchern. Untersucht wird ihr
Wirklichkeitsbezug (114ff.), ihr biblischer Bezug (140ff.) und
ihre Sprache (164ff.). Das Verfahren ist einfach, die Maßstäbe
sind einleuchtend, die Ergebnisse (nieder)schlagend. Dem destruktiven
Teil entsprechen in späterem Zusammenhang konstruktive
Vorschläge über die Gestaltung einer Kinder- und
einer Schulbibel, eines Lesewerks für Kinder, eines Oberstufenkatechismus
und eines Kirchengeschichtsbuches. Den evangelischen
Leser muß es besonders interessieren, daß im katholischen
Bereich nunmehr neben dem Lehrstückkatechismus für die
Kinder und dem holländischen Erwachsenenkatechismus eine
dritte Konzeption vorliegt: Katechismus als „dokumentarische
Auswahl kirchlicher Glaubenszeugnisse", bezogen auf den jeweiligen
profan- und kirchengeschichtlichen Kontext und in
ihrer Anordnung geeignet, die Geschichtlichkeit aller Bekenntnisse
und die Situationsabhängigkeit heutigen Bekennens zu verdeutlichen
(345ff.). Des weiteren sind diejenigen Partien hervorzuheben
, die das Verhältnis von Mythos und Logos besprechen
und in deren Ergebnis Entmythologisierung im Sinne des „Um-
sprechens" mythischer Texte (Dignath, Wegenast) scharf abgelehnt
, wohl aber die unterrichtliche Identifizierung des Mythos
als Mythos gefordert wird (213ff. 230ff. 252ff.). Schließlich die
Lehrplan-Darlegungen (302ff. 335ff.). Die Unterstufe, bisher
oft das Stiefkind des auslegenden Unterrichts, ist gebührend berücksichtigt
. Die Probe aus dem angekündigten Lesewerk mit
seinen u.a. propädeutisch (229. 299) einzusetzenden literarischen
Kleinformen (James Krüss ist nicht nur mit seinen Ideen,
sondern auch mit Texten vertreten) wird hinreichend für die
Stimulierung des Gesprächs sorgen.

Petershagen b. Berlin Jürgen Henkys

KIRCHENRECHT

Socha, Hubert: Die Analogie zwischen der Hirtengewalt und der
Dominativgewalt der klösterlichen Laienoberen. München:
Hueber 1967. XLIV, 268 S. gr. 8° = Münchener Theologische
Studien, hrsg. v. J.Pascher, K.Mörsdorf, H.Tüchle. III: Kanonistische
Abt., 27. DM 38,-.

In seiner sehr gründlichen, manchmal lehrbuchartigen Abhandlung
nimmt S. zu einem namentlich in den letzten 50 Jahren
herausgebildeten Problem der Kanonistik Stellung, in das, wenn
auch in kürzester Form, einzuführen mir hier geraten erscheint.

Nach dem gegenwärtigen Stand der Lehre wird unter Hirten-
gcwalt - potestas iurisdictionis - die der kirchlichen Autorität
in der Führung des Gottesvolkes eignende Leitungsgewalt, eine
Ordnungsmacht in dienender Hingabe für eine freie Gefolgschaft
der Kirchenglieder verstanden. Von jeher wird sie als
Ordnungsprinzip von der Weihegewalt als dem kirchlichen
Lebensprinzip, in die sie aber als in das beherrschende Prinzip
eingeordnet ist, unterschieden. Hiermit wird nicht ausgeschlossen
, daß es noch eine andere oder überhaupt andere kirchliche
oder kirchenrechtlich einbezogene Gewalten gibt. Zu ihnen gehört
die hausherrliche Gewalt - potestas dominativa - und die
einfache Hausgewalt - potestas domestica -, also die Befugnis,
die äußere Ordnung einer Hausgemeinschaft aufrechtzuerhalten,
z. B. im Gebiet des privaten Rechts die Hausgewalt der Eltern
gegenüber volljähiigen Kindern, die des Klosteroberen gegenüber
Religiösen, die sich nur vorübergehend in dem Kloster aufhalten
, die des Regens gegenüber den Seminaristen1.

Daß die potestas dominativa eine potestas ecclesiastica publica
, öffentliche, kirchliche Gewalt ist, wird seit dem Inkrafttreten
des Codex iuris canonici (1917) (C.J.C.) kaum noch bestritten
. Offenbar hat sich die Auffassung, daß die klösterliche
Dominativgewalt eine private Gewalt sei, mindestens in derselben
Zeitspanne geändert2. Es hat sich die Meinung durchgesetzt
, daß die klösterliche Dominativgewalt der Kloster-