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Ausgabe:

1970

Spalte:

951-954

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Peiter, Katharina

Titel/Untertitel:

Der evangelische Friedhof 1970

Rezensent:

Peiter, Katharina

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951 Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 12 952

stall (TL 18) diese dreifache Begabung erwartet wird, ist mit stunde endet. An die Stelle einer Einflußnahme auf das Geeiniger
Wahrscheinlichkeit die Blütezeit der Hasmonäerdy- schick des Toten tritt der Dienst am Lebenden, dem »ich auch
nastie unter Johannes Hyrkanus I. vorausgesetzt und in TL die Gestaltung des Begräbnisplatzes unterzuordnen hat, »daß
eine Glorifizierung gerade dieses Mannes beabsichtigt. er zur Andacht reizet die, so drauf geben wollten" (LA 22,

Der Charakter von TL als hasmonäische Propaganda- S. 340). Luther löst den Begräbnisplatz vom Kirchengebäude

schrift wird besonders deutlich in den vier größeren Zusätzen und damit vom locus sacer (KA 22, S. 340). Er ist der Be-

zum Grundbesland: die neue, über das bisherige hinaus- gründcr des christlichen Friedhofs (= eingefriedeter Hof),
gehende Deutung der Sichemereignisse 5,1—7 (0,8—11?); die Den Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts zufolge wird

neue Interpretation der drei kleroi in 8,14—15; die Umarbei- der Verstorbene mit jenen Zeremonien begraben, die ,,pro-

tung eines alten, aber nicht zum Grundstock gehörenden sunt ad aedificationem Ecclesiae" (Poramersche Syn. stat.

SER-Stückes zu der bis zum Sieg der Makkabäer durehge- 1574; Richter, KO If, S. 389). Auch die Ordnung, nach der

führten Geschichtsdeutung 10,1—5 und die ausführliche, an sich die Bestattung zu vollziehen und das c.....oeterium zu ge-

16,5 anschließende lleilswcissagung 18,2—7 (Grundbestand). stalten hat, ist ganz auf den Dienst an der Gemeinde abge*

Die durchgehende, am Bestand des griech. TL orientierte stellt.
Untersuchung zeigt die komplizierte Überlieferungsgeschich- Indem im Barockzeitalter nicht mehr der im gekreuzigten
te des TL auf; zum Grundstock von TL kamen eine ganze Christus überwundene Tod Mitte und Ziel der Todesbetrach-
Beihe von Bearbeitungen und Erweiterungen, die sich nicht tung ist, verliert der früheren Zeilen gegenüber verstärkt er;
alle historisch einordnen lassen, sich aber meist in den Zusam- klingende Ruf memento ninri seine heilsame Wirkung. Sub-
menhang dieser hasmonäischen Propagandaschrift gut ein- jeklive Gefühle und eigene Betrachtungen lassen den l'ried-
fügen: 2,2; 2,7—10.11—12; 3,1— 4.5— 8; 3,9—4,1 (Grundbest.); hof nur noch als Stätte der Verwesung erscheinen (Dach,
6,1 (6,8-11?; 7,1-3?); 10,1-5 (Grundbestand); 14,2-8 Gryphius, Flemming, Albert. Uoberll.in, A. U. v. l'lrauu-
(Grundbestnnd); 15,2b (3); 17,1—18,1. Wahrscheinlich erst schweig, v. Oersdorf!, Francisci). Da man das Gedächtnis des
bei der Einfügung von TL in das Gesamtwerk der Test XII Verstorbenen zum Nachruhm des Toten und zur Ehre seiner
sind die paränotischen Züge auch dieses Testaments durch die seihst pflegt, wird der Begräbnisplatz ein Abbild der irdischen
Bearbeitung von Kap. 13 und die Einfügung von 9,6 (14,6) Ständeordnung. Mit der Negierung jeder Erinnerung an die
und 19,1 b—3 verstärkt worden und hat auch TL durch die Individualität des Begrabenen und damit seines Bekennt-
Rahmenheriehtc 1,1(2) und 19,1a.4—5 seine den anderen nisses (Herrnhu t) ist jedoch die dem Friedhof von Luther zuTestamenten
äußerlich entsprechende Gestalt gefunden. gedachte Aufgabe nicht erfüllt.

Schließlich wurde auch und in besonderer Weise TL durch Um die Mitte des 18. Jahrhunderts erhebt sich gegen die
einen christlichen Bearbeiter (bes. 4,4bc.6; 4,1; 10,2.3; barocke Art der Todesbetrachtung heftiger Protest. Man er-
14,1.2; 16,3.5; 18,8—14 und Bearbeitung von 18,2—7) umge- weist durch rationale Erwägungen die Natürlichkeit, Notstaltet
und die alle hasmonäische Heilsbeschreibung als (auf wendigkeit und Sinnhaftigkeit des Todes (Brockes, Mendels-
ChristUS bezogene) Messiaserwartung neu interpretiert. söhn, v. Rode, Hennings, Uz) und ersetzt die alle Weisheit

Ob sich die hier vorgelegte Deutung des TL auch für die „meditatio mortis vita" durch die krasse Gegenformel (Spi"
anderen Test XII, wie es Charles und Bousset, einst vorge- noza, Vauvenargues, Gleim, Wieland). Nicht „das scheußschlagen
haben, als möglich erweisen läßt, kann erst eine sorg- liehe Gerippe", sondern das heitere schöne Todesbild der Anfertige
Analyse der anderen Testamente, vor allem ihrer tike ist das in Übereinstimmung mit der Offenbarung ste-
Heilserwartung, ergeben. hende (Lessing, „Wie die Alten den Tod gebildet", 1769; vgl-

Goethe, v. Matthisson, Gleim, Brockes, Schiller, Leopold v.

_ Dessau auf dem „neuen Dessauer Begräbnisplatz" 1784).

Während der Rationalismus vor dem Tode Hiebt, sucht ihn

_ . „ , _ . it>» die Empfindsamkeit mit einer allerdings noch zurückhalten:

Peiter, Katharina: Der evangelische Friedhof von der nefor- . . , ... . . , ... □ , ► „nd

'. , . _ .. "LT. .den und ehrfürchtigen Sehnsucht, hin von Schwermut uno

mation bis zur Komunlik. Uiss. Berlin 19üJ. ozo b. ~ ... „ , . ■ , , . .... • „ 'rv,^e

lrauergepragt.es Gefühl bestimmt das Verhältnis /.um loae.

Die Einsicht in die Notwendigkeit einer Reformierung des Der Todesgedankc löst eine wehmutsvolle milde Stimmung

evangelischen Friedhofs- und Begräbniswesens ist den mo- aus, die sich in der Natur bilden und nähren läßt. So gilt die

dernen Eriedhofstheoretikern (Spittel, Hirzel, Pfister, Riet- Sehnsucht dem Grab im Landschaftsgarten (Lenne, Hirsch'

schel) zwar gemein, jedoch divergieren die zu der Erneuerung fehl, Bodmer, Klopstock, Young, Ilölty). Tod und Grab vcr-

führendeh Wege. Die Erneuerung des evangelischen Fried- den um ihrer selbst willen aufgesucht, nicht um der

hofs erscheint als rein ästhetisches Problem. Sollten aber oirto60|itCC willen, die sich hier linden ließe,
nicht an Stelle der ästhetischen Gesichtspunkte die theolo- Der Ablehnung des häßlichen Todesbi Ides folgt konsequent

gischen die bestimmenden sein? Diese Frage versucht die Ar- die Abkehr vom verwesenden Leichnam und Platz der loten

beit an Hand eines historischen Rückblicks zu klären. überhaupt (Mdme de Stael, Goethe, v. Bonstel ten, vom '' '

Die Begräbnisstätte des Mittelalters ist der Kirchhof, der gen, Runde). Der Friedhof wird zu einem Ort der reinst1-''1

in seiner Stellung als accessorium ecclesiae im Bereich des Heilerkeit, in dem „Kunst und Leben jede Erinnerung a°

locus sacer des Altares liegt, selber locus sacer ist (CIC, Can. Tod und Grab" aufheben (Goethe, „Wilhelm Meisters L' '" ^

1154) und damit der anima patiens im purgatoriuin Hilfe lei- jähre", Aufbau-Verlag-Berlin 1952, S. 619). Friedhöfe sl1"

stet, um ihr die Zeit am „Ort der Qual" abzukürzen. Das „heitere Ruhegärten", „ein Aufenthalt der Freude und <lc^

Grab ad sanetos und das monastische Begräbnis bieten die Naturgenusses", wo die „gerührte Seele" „ergriffen' wl J

sicherste Garantie für die intercessio sowohl der ecclesia mili- und „dem zart fühlenden Gemüth" „fromme Rührung

tans als auch der ecclesia triumphans. Das Handeln der Kir- derfährt (Voit, „Über die Anlegung und Umwandlung d

che und des einzelnen für die Verstorbenen (Totenmessen, Gottesäcker in heitere Ruhegärten der Abgeschiedenen ,

Anniversarien, Weihen, Segnungen, Fraternitäten, Donatio- 14, 5; vgl. Kirchner, Häberlin, Lenne, v. Spiegel),
nen, Separatbestattungen etc.) erwächst aus der Sorge um Am Ende dieses Rückblicks sei zurückgelenkt zu der a

deren requies aeterna, es läßt die fideles funeti hoffen, auch fangs in Frage gestellten Ausschließlichkeil ästhetischer ^

einst als defuneti derselben bona opera teilhaftig zu werden. sichtspunkte bei der Erneuerung des evangelischen Fried >

Für Luther dagegen ist der Tod ein Schlaf „in pace" und den Friedhofstheoretikern zu bedenken gegeben, <• •

(WA 43, S. 340) dem Tage der Auferstehung entgegen. Das alles zurückzustehen hat hinter der einen in der Reform»

zukünftige Geschick des Menschen entscheidet sich im Leben. tionszeit aufgeworfenen und in gültiger Weise beantworte _^

Jede Hilfe für den Verstorbenen erweist sich als unmöglich Frage: Wie kann den Lebenden geholfen werden, daß sie^

und unnötig, so daß der seelsorgerliche Dienst des Priesters ihrer Trauer getröstet werden, ihr Glaube gestärkt werde u

und jedes Christen an seinem Nächsten in dessen Sterbe- sie die Zeit auskaufen.