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Ausgabe:

1970

Spalte:

943-945

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Titel/Untertitel:

Rasse, Kirche und Humanum 1970

Rezensent:

Bassarak, Gerhard

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 12

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Es zeigt sich innerhalb der kirchlichen Rechlsenlwicklung Der Herausgeber knüpft in der Einleitung an die Beiträge

auch der Kurpfalz, daß wesentliche Grundmotive der evan- von Lord Caradon und James Baldwill auf der IV. Vollver-

gelischen Bewegung: Sakramentsauffassung und -erneue- Sammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in (Jppsaid

rung, Bekennlnisentscheidung, Gottesdienst- und Lebens- zum Rassenproblem an. Er macht sich eine Aussage des So-

ordnung, die Anfänge der evangelischen Kirchenordnung mit- ziologie-Profcssors Talcolt Parsons von der Harvard-Univer-

bestimmt haben, wie denn auch der erste KurpfäJzische Erlaß sität zu eigen, nach der „es in der gegenwärtigen Situation

ein Erlaß zur Frage der Abendmalilsreichung unter beiderlei außer den Problemen des Weltfriedens keine Frage nibf, der

Gestalt gewesen ist (Nr. 1, S. 90), und wie auch die große Kir- solch ausschlaggebende Bedeutung zukommt" (7. 7/i).
chenordnung von 155G (Nr. 7, S. J13ff.) in ihren Hauptteilen Sehr unterschiedliches Materia] von 10 Autoren ist in drei

dem liturgischen Recht, der religiösen LTnterweisung und der Teilen angeordnet: I. „Rasse" und soziales Vorurteil, II. Bei-

Lcbcnsordnung gewidmet ist (Nr. 7, S. 113ff.) und ebenfalls spiele aus der Welt von heule, III. „Rasse" und Christenl um.

die folgenden Ordnungen zur Ehefrage (Nr. 8, S. 221—225, Das Material ist auch unter sich widersprüchlich. So zeigen

vgl. auch Nr. 27, S. 275—288; 1563, und Nr.29, S. 289—332; sich erhebliche Spannungen zwischen den beiden (vielleicht

1563), die Schulordnung (Nr. 9, S. 225—229) und Sitlenord- überhaupt interessantesten des ganzen Bandes!) biologisch-

nung (Nr. 26, S. 264—274; 1562). genetischen Beiträgen des 1. Teiles einerseits und seinen drei

Die zunehmende Konfcssionalisierung und teilweise Insli- soziologischen Darstellungen andererseits. Die Biologen kon-
lutionalisierung der Kurpfälzer evangelischen Kirche nach statieren, Rassenvorurteile seien von der Biologie her sieht
ihrer Überführung in die reformierte Konfession unter Fried- zu rechtfertigen (76), dein Rassenbegriff hafte etwas eigen'
rieh III. (1559—1576) läßt dennoch die Grundanliegen einer tflmnch Vages und Relalives an (82), Rassenkonflikte stellen
breiten evangelischen Bewegung in den Anliegen einer prak- in erster Linie ein politisches und soziologisches Problem dar
tischen Lebens- und Gemeindeordnung in allen ferneren evan- (vielleicht müßte es heißen : soziales ?) (92), ja, innerhalb einer
gflischen Kirchenordnungen der Kurpfalz weiterhin lebendig jeden menschlichen Rasse wichen die individuellen Variatio-
bleibcn. Die Schul-, Kirchenrais- und Polizeiordnungen (vgl. neu sogar stärker voneinander ab, als Durchsclinil Isindivi-
Nr. 32, S. 409—424; 1564, Nr. 44, S. 436—441; 1570) sind noch duen der zwei verschiedensten Menschenrassen voneinander
keineswegs einfache Erlasse „von oben", sondern lassen verschieden seien (101); Soziologen aber — so stellen sie sei her
durchgängig die Merkmale einer überwiegend demokratischen fest — lehnen das Konzept „Rasse" ab; die empirische Un-
Grundstruktur erkennen, die lediglich den organisatorischen brauchbarkeit des herkömmlichen Begriffs „Rasse" sei erwie-
Notwendigkciten der umfangreich gewordenen evangelischen sen (112). Untereinander sind die soziologischen Referenten
Bewegung gerecht werden will. Die Heilige Schrift und die ihrerseits kontrovers. Während der Amerikaner Parsons ge-
Bekenntnisse der Allen Kirche will man als unaufgebbare gen den marxistischen Klassenbegril'f überhaupt polemisiert
Grundlage behalten und lediglich das auf dieser Position er- (71 u.ö.), will der Kölner Treincn (eigenartigerweise unter —
wachsende chrislJiche Leben in den Einzelgemeinden und der u. E. irrtümlicher — Berufung auf Parsons) beobachten, daß
Gesamtlurche ordnen, wie es der Beginn der Kirchendiener- „das Konzept der Rasse oder besser: das der Hautfarbe eine
bestellung vom 21.7.1564 z. B. deutlich zum Ausdruck bringt ähnliche Bedeutung wie das der sozialen Klasse anzunehmen''
(S. 425). Diese Absicht findet sich in den Kirchenordnungen beginnt (117), ja er bedauert, daß „der ,Marx' der Rasseuder
Administration Johann Casimirs (1576—1583/1592), theorie neuer Prägung ... sich noch nicht gefunden (hat/'
Friedrichs IV. (1592-1610) bis hin zu Friedrich V. (1610 bis (119). Der Widerspruch erklärt sich so, daß Parsons den Be-
1632) fortgeführt, bis der Dreißigjährige Krieg und die an- griff der Klasse durch den der Rasse ablösen möchte, während
schließende Rekatholisierung unter bayerischer Regierung Treinen den Klassenkampfcharakter des Rassismus ancr-
dem kräftig gewachsenen evangelischen Kirchenwesen der kennt.

Kurpfalz ein Ende bereitet haben. Einer unerklärten (und unerklärlichen) Aussage Parsons
Der Reichlum der vorliegenden Edition in kirchenrecht- „Die Vereinigten Staaten befinden sich jetzt auf dem Wege
licher, liturgischer und ethischer Hinsicht konnte damit nur zu einer echten Lösung des Rassenproblems" (73) widerannähernd
angedeutet werden. Es zeigt sich einmal mehr an spricht der Theologe Dietrich Ritsehl (Pittsburgh/USA) in»
dieser mustergültigen Edition (auf die ausführlichen Register ersten Beitrag des II. Teiles: „Die Analyse der Rechts- und
S. 622—649 sei besonders hingewiesen), daß alle evangelischen der Sachlage (erg.: in den USA) scheint im Augenblick nur
Kirchenordnungen dann ihre Berechtigung und ihren Nutzen zum Pessimismus Anlaß zu geben... Die schlimmen Mißvoll
erfüllen, wenn sie von einer breiten Zahl von lebendigen stände liegen in der Autonomie der Einzelstaalen, der Kor-
Gläubigen getragen werden. Dann bedürfen sie zu ihrer Effek- ruption ihrer Regierungen und Stadtverwaltungen, in der
tivität keiner übertriebenen Ausführungen und Paragraphen, Übermacht der großen Unternehmer und der ldeinen Haussondern
mit den Umrissen einer Rahmenordnung ist es getan. hesitzer und in der Macht der Vorurteile, der Trägheit und
Demgegenüber sind die umfangreichsten Ordnungen wertlos, auch der Angst in großen Teilen der weißen Bevölkerung
solange nicht Menschen vorhanden sind, die vom evangeli- (148). — Nur im Sinne von Dokumentation können Auszug*
sehen Glauben erfüllt sind. Martin Luther hat das ja in seiner aus einer Rede des ehemaligen Premierministers von Süd'
„Deutschen Messe" (1526) klassisch bereits zum Ausdruck afrika, Verwoerd, gewertet werden, die außerordentlich pole"
gebracht (vgl. WA 19 bes. S. 75f.) und ebenfalls in seinem misch jede Kritik an der unmenschlichen Apartheids-Pol'tllc
Brief zur Frage der Kirchenordnung an Philipp von Hessen Südafrikas als „Krise des Weltgewissens" (150—157) bezeich'
vom 7. Januar 1527 „... denn ich wohl weiß, habs auch wohl nen. Wenn auch zwei informative Beiträge westdeutsche1,
erfahren, daß wenn Gesetze zu früh für den Brauch und Autoren diese Verwoerdsche Provokation des Weltgewisscn*
Übung gestellt werden, selten wohl geraten; die Leute sind gleichsam kompensieren, fragt man sich doch, ob hier nicht
nicht darnach geschickt" (vgl. WA BR 4 S. 157—158). der Objektivismus eines bürgerlich-christlichen Wisse»

..... . _ „,,„ . „ ,, Schaftsverständnisses auf die Spitze gelrieben wurde. —

Marbunr/l ahn Ernst-Wilhelm Kohls . „ . _ , .. .. . . r> „„II c»

ein Beitrag über Rassenfragen in Indien und in Isias"'

schließen den II. Teil ab. Von Brasilien kann es unter O

Überschrift „Wer nicht mehr schwarz ist, ist weiß" 'IC'^^

Micrirtkiciiiip f rmr^i i a i—r m/i iiirur daß Rassenideologie einfach primär nicht existiere (222).

MISSIONSWISSENSCHAFT, ÖKUMENE Bericht,iberInflien von Ja/Bodo SperUngider„vie, Jahre

Leiter des German Social Centre in Rourkela" (war) (J

Beckmann, Klaus-Marlin : Rasse, Kirche und Humanuni. Ein scheint nicht gänzlich vorurteilsfrei. So ist einerseits «aB*

Beitrag zur Friedensforschung. Hrsg. in Zusammenarbeit mus als Relikt der Kolonialvergangenheit erkannt (212), '

mit einer Arbeitsgruppe. Gütersloh: Gülersloher Verlags- Kastensystem als in gleicher Weise und mit gleicher Wir ul

haus G. Mohn [1969]. 372 S. gr. 8°. Lw. DM 24,-. wie der Rassismus diskriminierend gewürdigt (206), andere