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Ausgabe:

1970

Spalte:

940-941

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Autor/Hrsg.:

Zwingli, Ulrich

Titel/Untertitel:

Zwinglis liturgische Formulare 1970

Rezensent:

Nagel, William

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gen ist. Um dieses Zitat, die „klassische Plage aller Liturgiker
", hat sich Vf. eingehend bemäht. Auch er meint die endgültige
Lösung noch nicht bieten zu können, aber seine Untersuchung
der aktuellen Deutungen hilft „die Kontoren der
Auslegungen der betreffenden Frage durch die mittelalterlichen
Liturgiker schärfer" (S. 111) zu erkennen.

Uas zeigt alsbald auch Teil 15. Abschnitt I, in welchem „Die
mittelalterliche Auslegung der gregorianischen VU-Reform"
erörtert w ird. In ihr stehen das Verständnis des VU als Kon-
sekralionsgehcl und als Vorbereitungsgebet vor der Kommunion
sich gegenüber. Dem entspricht es, wenn im II. Abschnitt
„Die mittelalterliche Auslegung der VU-Funktion in
der Messe" gezeigt «erden kann, wie auch hier die beiden
Tendenzen, das VU zum Kanon oder zur Kommunion in Bc-
ziehung zu bringen, einander gegenübertreten. Ein III. Abschnitt
gilt der „Einteilung und Ordnung der Bitten des VU
in mittelalterlicher Deutung". In ihr kann sich eine Wertperspektive
aussprechen, für welche die vier letzten Bitten nur
zu Mitteln im Streben nach den in den ersten drei Bitten gesichteten
ewigen Güter werden, oder die 7 Hillen werden zu
den 7 Seligkeiten und den 7 (Iahen des Geistes in Beziehung
gesetzt, oder man ruft im Sinn eines „Bornim-Schemas" mit
diesen 7 Bit ten (iot I an, „entweder um das (I Ute zu begehren
oder das Böse zu vermeiden". Auch gibt es Auslegungen des
VU in umgekehrter Beihenfolge, d.h. vom Niedrigen zum
Höheren aufsteigend. Gabriel Biels „Expositio canonis mis-
sae" zeigt eine VU-Auslegung, die vom Bonum-Schema her
das VU alsein die. Kommunion vorbereitendes < lebet erklärt.

Teil C „Die lutherische Deformation" beginnt mit einem
1. Abschnitt über die „Gestaltung and Funktion des VU-
Kreises in der lutherischen Messe". Die durch die Streichung
der Kanongebete veranlagte liefgreifende liturgische Veränderung
stellt den VU-Kreis in einen neuen Zusammenhang.
So ergibt sich in Luthers „Fonnula missae" für das VU der
Charakter eines allgemeinen Sündenbekenntnisses, in dessen
Konsequenz der Friedensgruß die Funktion einer Absolu-
lionsformel erhält. Diese Umdeutung erscheint aber in mittelalterlichen
Meßerklärungen vorbereitet. Ein ähnliches Verständnis
des VII als Vorbereitungsgebel vor der Kommunion
kann für die „Svenska mässa" des Glaus Petri und ilie als für
den nordischen Baum bedeutsam gewcrlelc Döhersche Messe
von 1525 (damit aber m. E. in ihrer YVirkungsmöglichkeit
überschätzt) nachgewiesen werden. An zweiter Stelle werden
jene Ordnungen bebandelt, die dem VU seinen Ort vor den

Einsetzungsworten geben. Hier steht Luthers „Deutsche
Messe" mit ihrer auch im Mittelalter geübten VU-Paraphrase
voran; ihre Funktion entspricht, der des VU in der „Formula
missae". Bugenhageii folgt, freilich mit dem biblischen Wortlaut
, dieser Anordnung. Hier hal die Forschung immer wieder
vor der Alternative Kommunions- oder Konsekrationsgebet
gestanden. Vf. gibt auf Grund von Luthers und Bugenhagens
Gebrauch des VU auf der Kanzel zu erwägen, ob es hier nicht
über jene Alternative hinaus vor allein als Fürbittgebet verstanden
sei. Laurentius Petri hat. jedenfalls ausdrücklich die
Stellung des VU vor oder nach den Einsetzungsworten für
bedeutungslos erklärt. Ein II. Abschnitt befaßt sich mit. der
„Auslegung der Jutherischen Tradition von Gregors VU-
Reform". Man bat auf die Worte Gregors zurückgegriffen,
um sie als Argument für eine einfache apostolische Messe
und speziell gegen die Kanongebete zu verwenden. Doch
kann andererseits Urbanus Rhegius damit, ausdrücklich für
einen ..apostolischen Kanon" kämpfen, innerhalb dessen er
dann das VU als Konsekrationsgebet versteht. Johann III.
von Schweden hat mit Hilfe jenes Zitats die Konsekration» -
auffassung der westlichen Kirche gegenüber der Ostkirche
verteidigen wollen. Im Schlußahschnitt beschäftigt sich Vf.
mit „Lüthert VU-Auslegung mit besonderer Berücksichtigung
seiner Polemik gegen das Beten des llerrengebetes in
umgekehrte» Reihenfolge". Des Reformators Auslegung unterscheidet
sich dadurch von Grund aus gegenüber der mit lel-
aherliehen, daß bei Luther „das Gebet und jede einzelne lütte

aus der dualistisch-dramatischen Perspektive interpretiert

91Ü

wird", während nach mittelalterlichem Verständnis der

Mensch sich im V I i aus seiner Un Vollkommenheit, zum höchsten
(Inten emporstreckt. So aber bekommt das Herrengebet

hei Luther den Charakter eines Sündenbekenntnisses, welchem
auch der liturgische Gebrauch in den lutherischen Ordnungen
entspricht.

Die Bedeutung dieses Buches ist darin zu scheu, daß es ein
wichtiges Thema, das bisher nur in einzelnen Aspekten in Angriff
genommen wurde (so von Jungmann, Bergsma, II. H
Meyer), umfassend bearbeitet. Dabei ist eindrücklich, wie
sorgfältig der Autor seine Darstellung durch reichen Bezug
auf die Quellen absic hert, und nicht zuletzt, daß er die eigene

scharfsinnige Auslegung des Gregorzitats niemandem aufdringen
will. Schade für das schöne Buch, daß der Autor hinsichtlich
der deutschsprachigen < Gestaltung nicht ausreichend
beraten war! Nur so kann ich mir die 10 sprachlichen und 59
Druckfehler, auch die vielen fehlenden Kommata und Anführungsstriche
erklären.

I. n irswnt.l William

Schinidt-Claiisiiig, Fritz: Zwingiis liturgische Formulare, eingeleitet
, übertragen und kommentiert. Prankfurt/Main:
Lembeck 1970. 92 S. kl. 8°. Karl. DM 4,80.

Vf. hat seit seinem 1952 erschienenen Buch „Zwingli als
Liturgiker" nicht nur in weiteren Veröffentlichungen de!
Würdigung des Schweizer Reformators als des von der Tradition
sich lösenden, schöpferischen Lilurgikcrs unter den Reformatoren
endgültig Mahn gebrochen. Sein Zwingli-Buch
von 1965 (Sammlung Göschen Nr. 1219) hat darüber hinaus
weiten Kreisen erstmals ein neues Zwingli-Bild vermittelt,
nicht mehr das des rationalistisch infizierten Humanisten und
Politikers, sondern des pneumatologischen Theologen. Wenn
heute schon die sachliche und zeitliche Priorität des Liturgischen
bei Zwingli als erwiesen gelten darf, so wird die vom
Vf. in Aussicht gestellte Arbeit „Die liturgische Theologie
Zwingiis" sicherlich zeigen, welch ausschlaggebende Bedeutung
den liturgischen Bemühungen des Reformators Tür das
Verständnis seiner Theologie zukommt.

Das zur Besprechung vorliegende kleine Buch kann darum
nur voll gewertel werden, wenn man diese Sachkenntnis des
eigenständigen Forschers mit in Betracht zieht. Ks stellt das
gesamte liturgiegeschichtliche und liturgietheologische Material
übersichtlich bereit, um ein eigenes Mild von Zwingiis
liturgischer Arbeit, gewinnen zu können. Die Anordnung richtet
sich nach der vom Vf. erarbeiteten „Neudatierung der
liturgischen Schriften Zwingüs" (vgl. ThZ 25,1969 Heft 4).
Demgemäß bringt das Buch folgende St ücke, und zwar ungekürzt
: Leo Juds erste Agende (1523); sie wird hier mitabgedruckt
, weil sie „im Auftrag oder zumindest im Einvernehmen
mit dem Reformator" entworfen wurde, auch Zwingh
selbst danach getauft hat. —Zwingiis Kanonversuch aus seiner
ersten liturgischen Schrift „De canone missae epichiresis
(1523), die ihn als qualifizierten Liturgiewissenschaftler ausweist
und zusammen mit deren „apologia", verdeutscht und
erklärt, 1969 vom Vf. im gleichen Verlag herausgegeben
wurde. — Aktion und Brauch des Nachtmahls. Gedächtnis
oder Danksagung wie sie auf Ostern zu Zürich begonnen wird
im Jahr als man zählte 1525. — Zwinglia erste Taufliturgie
von 1525. — Die „Prophezei" (1525), d.h. ihr von Zwingli
stammendes Einleitungggebet. — Zwingiis Kanzelabkündi'
gung Verstorbener, die an die Stelle der „Excquien" und der
kirchlichen Begleitung bei der Beerdigung trat (1526). — Die
erst jüngst wiederenldeckle Zürcher Agende von 1528. — D1"
vom Vf. oeudatierte Zürcher Kirchenordnung von 1529 (bisher
1525). — Zwingiis letztes Liturgicum (1531): jene Fassung:

seines Abeudniahlsgoltesd.icnsl.es, die er der an Franz l. von
Frankreich gerichteten apologetischen Schrift „Erläuterung
des christliehen Glaubens" eingefügt hat (Iteidcs lateinisch)-
Dadurch ist erwiesen, daß Zwingli Iiis kurz vor seinem Tod
liturgisch gearbeitet hat. — Man wird ein Formular für de»

Theologische Literalurzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 12