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Ausgabe:

1970

Spalte:

71-74

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Halbfas, Hubertus

Titel/Untertitel:

Fundamentalkatechetik 1970

Rezensent:

Henkys, Jürgen

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71

Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 1

TJ

KATECHETIK UND
RELIGIONSPÄDAGOGIK

Halbfas, Hubertus: Fundamentalkatechetik. Sprache und Erfahrung
im Religionsunterricht. Mit einem Geleitwort von
E.Bochinger. Stuttgart: Calwer Verlag u. Düsseldorf: Patmos
Verlag [1968]. 384 S. 8° = Arbeiten zur Pädagogik, hrsg. v.
O.Dürr u. T. Schlatter, 8. Lw. DM 24,-.

Nach seinen früheren Büchern „Jugend und Kirche" und
„Der Religionsunterricht" (beide 1965) hat H.Halbfas eine
„Fundamentalkatechetik" veröffentlicht. Das ist ein ungewöhnlicher
Titel. Er läßt auf eine fachinterne und streng theoretische
Darstellung gefaßt sein. Doch die Motto-Seiten am Anfang und
Ende und vor jedem Kapitel, durch typographische Gestaltung
besonders hervorgehoben, lenken die Erwartung mehr auf eine
Kampfschrift. Man liest Texte von Hans Erich Nossack, Max
Stirner, Karl Kraus, Erich Kästner, Günter Eich, Georg Christoph
Lichtenberg, dazu ein (besonders wirksam plaziertes)
Talmud-Stück. Beim weiteren Blättern fällt aber auch, wegen
einer Reihe von Gedichten unübersehbar, der Vorabdruck aus
einem Religionsbuch für Kinder ins Auge. Sein didaktisches
Profil ist zuvor genau dargestellt worden, und weitere Schulbuchkonzeptionen
folgen. Also doch mehr ein unmittelbar auf die
Praxis bezogener Beitrag? - Keine dieser Erwartungen geht
fehl. Aber der Sachzusammenhang, der das vielfältige Ganze erst
zum Muster eines geschlossenen praktisch-theologischen Darstellungsganges
macht, ist damit noch nicht gesichtet. Erst
während der Lektüre zeigt sich, in welchem Maße schon der
Untertitel ihn ankündigt, nämlich mit den Begriffen „Sprache",
(sprachlich vermittelte Wirklichkeits-)„Erfahrung", „Religion".
Halbfas will dartun, auf Grund welcher Voraussetzungen und
in welcher Weise sich Religionsunterricht, um das zu sein, was
sein Name besagt, als „fundamentale Sprachlehre" (219, vgl. 66),
als „Auslegung heutiger Wirklichkeit im Glauben" (114), zu
verstehen habe.

Fundamentaltheologie im katholischen Verständnis ist - als
ihre positive Form - an die Stelle der Disziplin Apologetik getreten
. Es geht in ihr um die „Selbstbesinnung der gläubigen
Vernunft auf ihre Grundlagen und Voraussetzungen" (H.Freis,
RGG31, 493) angesichts entsprechender Fragen und Bestreitungen
aus der jeweiligen geistigen Umwelt der Kirche. Fundamentaltheologie
als Selbstverständigung über die Fundamente
der theologischen Wissenschaft geschieht also nicht ohne Beziehung
auf einen jeweiligen Außen-Adressaten. Tritt man mit
dieser Voraussetzung an Halbfas' Werk heran, so hat man einen
Rollenwechsel zu konstatieren: Adressat des Vf.s ist die Kirche,
vornehmlich die eigene, die Selbstverständigung dagegen geschieht
in vorbehaltloser Fragegemeinschaft mit kritischen
Katholiken, Nicht-Katholiken und Nicht-Christen. Das Buch
stellt sich dar nicht als apologetisch wirksame Einladung an
außenstehende Bestreiter, die Tragfähigkeit neu freigelegter
kirchlicher Fundamente zu überprüfen, sondern als Herausforderung
an die Kirche, sich solidarisch mit allen auf den Boden
der (historischen, psychologischen, schulischen, immer aber
ungeteilten) Wirklichkeit zu stellen. Dabei kämpft Halbfas
untaktisch, ohne Rückendeckung, bestimmt durch das Ethos,
„das allein dem Argument gehorcht und der begründeten Erkenntnis
jedes sonstige Interesse opfert" (52).

Aber in noch auffälligerer Weise läßt Halbfas das Disziplinen-
Schema hinter sich. Fundamentaltheologie „erörtert die Fragen
, die von allen theologischen Disziplinen vorausgesetzt, aber
nicht eigens behandelt werden" (Fries). Halbfas jedoch kann sich
fundamentaltheologisch nicht vertreten lassen. Der Religionspädagoge
muß „immer auch Fundamentaltheologe sein, weil
hier, in den Ansätzen und Begründungen der Theologie, das
Schicksal aller religionspädagogischen Konzepte mitverhandelt
wird" (14). Dieselbe Unwilligkeit, gleichsam eine Degradierung
zum Innenarchitekten hinzunehmen, ist es offenbar auch, die ihn
veranlaßt, von der Fachdidaktik aus resolute Aussagen im Feld
der (analog formuliert) Fundamentaldidaktik zu machen. „Je
fundamentaler die fachdidaktische Besinnung erfolgt, um so
exemplarischer kann sie für die übrigen Fachdidaktiken sein und

als Beitrag zu einer allgemeinen Uuterrichtslehre dienen" (14f).
Da nun der Ansatz nicht nur des theologischen, sondern auch
des didaktischen Denkens in der Hermeneutik reflektiert wird
(lüü), ist sie es, die eine Zusammenschau von Theologie und
Didaktik im Bereich des Fundamentalen, also eine Fundamentalkatechetik
, wissenschaftlich ermöglicht.

Im ersten Hauptteil des Buches (I. Religion, II. Sprache,
III. Unterricht) handelt es sich um die Begründung des Religionsunterrichts
. Im strikten Gegensatz zu den Befürwortern
einer „verkündigenden Katechese" (102f.), zugleich aber weiter
ausgreifend als die anderen bekannten Vertreter eines vorbehaltlos
schulfachförmigen und schulimmauenten „Religionsunterrichts
", entwirft Halbfas eine Theorie, die dem religiösen Unterricht
in den christlichen Konfessionen genau so dienen will wie
dem der nicht-christlichen Religionen (13). Der Begriff „Religionsunterricht
" wird also nicht nur als nun einmal eingeführter
und schwer ersetzbarer akzeptiert, sondern so ernst und weit
genommen, wie das nicht einmal in der religionsgeschichtlich-
liberalen Ära sehr häufig geschehen sein dürfte. Voraussetzung
ist seine theologische Aufwertung. Sie geschieht durch immanente
Bonhoeffer-Kritik (im Anschluß an G. Ebeling) und durch
Aufnahme von Kategorien P. Tillichs. Religiosität ist „Er-
schlossenheit für die Dimension der Tiefe im Menschen", „Ergriffenheit
des Menschen von der Frage nach dem eigenen
Wesen und der Bestimmung des Daseins" (25). Das religiöse
Apriori, nicht provinziell-psychologisch, sondern universellanthropologisch
verstanden, ist unbestreitbar (26f.). Es aktualisiert
sich in den verschiedensten Religionen und existenzinterpretierenden
Bezugssystemen (28), bewegt aber auch den Menschen
mit gebrochener Weltanschauungsgewißheit (24). Zu den
Religionen gehört auch der christliche Glaube: Religion und
Offenbarung stehen - trotz Barth - nicht im Widerspruch
(29 ff.). Offenkundig ist nach Halbfas dagegen der Widerspruch,
in dem sich die Religionen als mehr oder weniger geschlossene
Systeme zur heutigen Wirklichkeit befinden (39ff.). Dabei sollte
gerade im christlichen Glauben gelernt werden können, die
Wirklichkeit als die eine zu begreifen. Sie ist für den Autor als
Ganze religiös relevant: Nur innerhalb ihrer ergeht der unbedingte
Anspruch, nur innerhalb ihrer wird die Tiefe des Daseins erfahren
. Als religiös relevante muß die Wirklichkeit uns freilich
immer erst erschlossen, nämlich sprachlich zugeeignet werden.
Sprache (67ff.) bildet die Wirklichkeit nicht einfach ab, sondern
weist in sie ein und bringt sie an uns zur Wahrheit. Erfahrung
und Verstehen von Wirklichkeit gibt es nur dort, wo man anders,
als die Kirchen es zu tun pflegen, nicht auf den Thron des
Meinens gesetzt, sondern auf den Weg des Fragens gebracht
wird. Einweisung in die Wirklichkeit ist insbesondere Auftrag
der Schule und ihres Unterrichts (91 ff.). „Alle Unterrichtung,
die Wirklichkeit eröffnet und das Kind darin seine Welt finden
läßt, ist prinzipiell Sprach-Lehre" (72). Unterricht leitet zur
Auseinandersetzung mit der Überlieferung an. Er ist Auslegung
des Überlieferten, Verstehen des Ausgelegten, Anwendung des
Verstandenen in einem komplexen Vollzug. In ihm wird -
„einerlei wie er fachlich spezifiziert ist - der unbedingte Anspruch
der Sachverhalte und Situationen eingeübt, so daß die
eigentliche, fundamentale religiöseErziehung ein inneres Moment
jenes umfassenden hermeneutischen Vorgangs ist, der solchen
Unterricht konstituiert" (100). Wozu dann aber noch ein besonderer
Religionsunterricht? Halbfas antwortet: Der Religionsunterricht
nimmt teil an der Aufgabe, in der alle Schulfächer
miteinander verbunden sind. Innerhalb dieser Gesamtaufgabe
ist ihm sein Spezifikum durch die Bibel gegeben, und
Bibelunterricht bleibt er auch als Katechismus-, Liturgie-,
Kirchengeschichts- und ethischer Unterricht. Nicht überhaupt,
meint Halbfas, wohl aber in der durch das abendländische
Christentum geprägten Gesellschaft ist die Bibel das Buch, das
mehr als alles andere die Tiefendimension der Wirklichkeit zu
erschließen und also zur Sprache zu bringen vermag, „woraufhin
sie beansprucht und was ihr Sinn und Gültigkeit gibt" (104).
Der Religionsunterricht, in der angedeuteten Weise als Bibelunterricht
verstanden, ist für die Schule, wie Halbfas sie seinen
Lesern vor Augen stellt, „konsequenter Vollzug ihres eigenen
Selbstverständnisses" (eh.).

Es ist deutlich: Religionsunterricht im besonderen und Schul-