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Ausgabe:

1970

Spalte:

843-846

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Baur, Jörg

Titel/Untertitel:

Salus Christiana 1970

Rezensent:

Müller, Gotthold

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 11

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kann, ist dem Glauben vernehmbar, der das Wesen Gottes
allein als sich mitteilendes und darum als Liebe erfaßt.

Der abschließende Beitrag „Gott und Wort" (S.396
bis 432), eine in den USA gehaltene Vorlesungsreihe,
scheint mir schon deshalb von Wichtigkeit zu sein, weil
sich hier E. ausdrücklich dem Gegensatz zwischen der
sprachanalytischen Philosophie, deren Leitbegriff die
Verifikation ist, und der auf Verstehen bedachten europäischen
hermeneutischen Fragestellung stellt. Im ersten
Teil „Das Wort der Gottlosen" wird die über uns gekommene
Profanität der Sprache nach beiden Seiten als
das bedrängende Problem erörtert. Der zweite Teil, „Das
Wort ,Gott'" zieht aus der Zeitlichkeit des Sprachgeschehens
die Konsequenzen, die zu einer entscheidenden
Hervorhebung der Wortsituation als Grundsituation des
Menschen, ja zu einer Art Existenzanalyse führen, woraus
dann im dritten Teil „Das Wort Gottes" zu einer theologischen
Reflexion übergeleitet wird: „Was als Wort Gottes
überliefert ist, kann also nur dann als Wort Gottes verstanden
werden, wenn es an dem Menschen und dessen
Welt den Kontext hat, in den hinein es Vorborgenes ansagt
; nicht beliebig Verborgenes, sondern dasjenige, was
als Verborgenes und so Angesagtes, kurz: als die Wahrheit
über das Menschsein des Menschen entscheidet" (S.428f.).

Zusammenfassend läßt sich über diesen reichhaltigen
Band sagen, daß er die Fruchtbarkeit der tragenden Idee
einer „hermeneutischen Theologie" in jeder thematischen
Zuwendung aufs neue zeigt. Dieser Idee ist hier ja (S.99
bis 120) ein eigener programmatischer Artikel gewidmet.
Aber ihr eignet eine absorptive Kraft, sie reicht in ihren
Folgen weit über das Feld der Dogmatik im engeren Sinne
hinaus. Sie schließt ebenso eine tiefe Verantwortung für
die unsere Gegenwart tragende Tradition ein wie ein sensibles
Situationsbewußtsein. Dieser leitende Gesichtspunkt
ist darum weit mehr als Hermeneutik im alten
Stil, d.h. als Auslegungstechnik, als Methode. Ähnlich wie
bei Gadamer die Philosophie, verwandelt sich hier die
Theologie in einen hermeneutischen Kosmos, dessen verpflichtender
Kraft, dessen Offenheit und Aktualität sich
keiner entziehen kann.

Gattingen Wolfgang Trillhaas

Baur, Jörg: Salus Christiana. Die Rechtfertigungslehre in der
Geschichte des christlichen Heilsverständnisses. I: Von der
christlichen Antike bis zur Theologie der deutschen Aufklärung
. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn
[1968]. 179 S. gr. 8°. Lw. DM 24,-.

Um die klassische evangelische Rechtfertigungs-Lehre
(RL) ist große Unruhe und Unsicherheit entstanden.
Spätestens seit Helsinki läßt sich das nicht mehr leugnen.
Um so dringlicher erscheint es angesichts dieser Situation,
daß wir uns neu dieser wichtigsten Gabe der Reformation
zuwenden.

Der Vf. legt seine im Frühjahr 1967 von der theologischen
Fakultät Erlangen angenommene Habilitations-
Schrift vor, die ursprünglich in Verbindung mit Paul Althaus
ihren Anfang nahm und dann von Wilfried Joest
betreut wurde. Ein zweiter Band, der das Thema bis in die
Gegenwart weiterführt, soll folgen.

Baur stellt sich in diesem l.Band die Aufgabe, die Geschichte
der RL ,von der christlichen Antike bis zur Theologie
der deutschen Aufklärung' zu verfolgen und darzustellen
. Das ist natürlich ein sehr umfangreiches Vorhaben
. Vf. gliedert den gut anderthalb Jahrtausende
umfassenden Zeitraum in acht Kapitel: I. Alte Kirche
(S.ll-20), II. Augustin (S.21-32), III. Thomas von Aquin
(S. 33-44), IV. Exkurs über Dante und Goethe (S. 45-53),
V. Luther (S. 54-67), VI. Orthodoxie (S. 68-86), VII. Pietismus
(S.87-110) und VIII. Aufklärung (S.lll-172).

Dem Ganzen folgt als Abschluß das Kapitel IX: .Überblick
und Urteil' (S. 173-179). Schon diese Kapitel-Einteilung
läßt deutlich werden, wo die Schwerpunkte der
Studie liegen: 62 (!) von insgesamt 179 Seiten (also mehr
als ein Drittel des ganzen Buches!) sind der .Aufklärung'
gewidmet, 25 Seiten dem .Pietismus', 19 Seiten der
.Orthodoxie', dagegen nur 10 Seiten der .Alten Kirche'
und keine 15 Seiten Martin Luther.

Um den Umfang der Rezension nicht zu groß werden zu
lassen, wollen wir uns auf die Vergegenwärtigung des
Inhalts einiger ausgewählter Kapitel und besonders
wichtiger Einzelfragen beschränke.

Ad f.: hier wiederholt der Vf. nur Altbekanntes, ohne
wirklich neue und weiterführende Gesichtspunkte zu erschließen
. Vor allem macht er keinen Versuch, im Sinne
eines modernen Begriffes von .Verstehen' deutlich werden
zu lassen, warum in diesem Zeitraum die RL so wenig
.Anklang' fand. Die RL war im NT aus jüdischem Herkommen
konzipiert. Als das Christentum sich in die heidnische
Welt ausbreitete und dort, wo die Zedaka Jahwes
eine unbekannte Größe war, seine Theologie erarbeiten
und formulieren mußte, schöpfte es aus den Archiven
der Mysterienreligionen, des spätantiken Ontologismus
und Dualismus. Die entscheidende Sach-Frage an die
Theologen der alten Kirche kann also niemals lauten: ,Wie
oft zitiert Ihr ein bestimmtes Wort der paulinischen
Sprache?', sondern: ,Was ist in Eurer Theologie aus jener
Sache geworden, die bei Paulus mit dem Begriff der Zedaka
ausgesagt wurde?'. Es leuchtet von selbst ein, daß
die Lösung dieser schwierigen Aufgabe erst noch vor uns
liegt.

Ad IV: Die immer wieder gehörte Behauptung,
Spinoza stehe im Hintergrund des Goetheschen Christus -
und damit auch Rechtfertigungs-Verständnisses, hat an
den Original-Quellen wenig wirklichen Anhalt. Goethe
muß grundsätzlich weder von Spinoza her, noch von seiner
Beeinflussung durch das persische Denken aus, auch nicht
von seinen spätesten (romantisch-mariologischen) Neigungen
her gedeutet und verstanden werden, sondern auf
dem Hintergrund seiner Religiosität der frühen und mittleren
Jahre, die ihm zwar durchaus eine (wenn auch stark
herrnhutisch frisierte!) .Heilandsgestalt' nahebrachten,
ihn aber (und zwar lebenslang!) nicht befähigten, einen
Zugang zur .Theologia crucis', d.h. zum Karfreitagsgeschehen
zu gewinnen. Man lese einmal nach, was Goethe
seit den frühesten 70er Jahren bis in die letzte Zeit seines
Lebens hinein über das .Kreuz' geäußert hat. Der Schaden
sitzt hier 1. tiefer als der spinozistische Einfluß bei
ihm je reichte und geht, 2. (auch rein zeitlich) vor die
Begegnung Goethes mit diesem pantheistischen Denker
zurück. Das .Aufstiegs-Denken' ,des späten Goethe ist
nicht der Grund für seine Animosität gegenüber der RL,
sondern es ist die Folge seiner - als Ersatz für die Rechtfertigungsbotschaft
konstruierten - Selbsterlösungs-
Religion, die mit innerer Konsequenz in einen römisch -
romantischen Synergismus des .facere quod in se est'
einmündet, wie ihn vor allem Faust II klassisch vor Augen
führt.

Ad VI: Sehr zu würdigen ist das Bemühen des Vf.«, die
Theologie der altprotestantischen Orthodoxie und ihren
Kampf um die Reinhaltung der reformatorischen Lehre
in einem positiven und überzeugenden Licht erscheinen
zu lassen. Ich kann ihm darin nur uneingeschränkt zustimmen
.

Ad VII: Weniger überzeugend wirkt dagegen das, was
Baur über die RL im Pietismus schreibt. So vieles er im
einzelnen richtig zeichnet, so ist doch jene ,schiefe Ebene',
auf die hin er den Pietismus abdrängen will (Vom Wort
abgelöster Glaube, Selbstreflexion, Perfektionismus, Vergöttlichung
), eine systematische Konstruktion am Schreib-