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Ausgabe:

1970

Spalte:

834-836

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Selge, Kurt-Victor

Titel/Untertitel:

Die ersten Waldenser 1970

Rezensent:

Molnár, Amedeo

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 11

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züge 1208-13; stets blieb „die Sorge um das Hl. Land integrierender
Bestandteil des päpstlichen Denkens" (S.138).
Vorbereitungen zum 5. Kreuzzug füllen die Zeit vom April
1213 bis Juli 1216 (S.140ff.). Innocenz verwendet ein
Bild, das vor ihm noch kein Papst verwendet hatte:
„Christus, der vertriebene König, erwartet die Hilfe seiner
Lehnsleute, der Gläubigen. Lehnsleute, die ihren Herrn
nicht mit aller Kraft zu befreien suchen, müssen mit
strengem Gericht rechnen, wenn ihr Herr wieder zur
Herrschaft gelangt; nicht minder erwartet die Christen,
die dem Hilferuf Christi nicht folgen, harte Strafe. Mit
dieser Analogie aus dem Lehnsrecht begründete Innocenz
die Pflicht eines jeden Christen, im Kreuzzug dem Herrn
zu dienen" (S.143). Dennoch sollte der Kreuzzug nur
Mittel zum Zweck sein: „Innocenz ging es nicht um den
Kreuzzug als heiligen Krieg, sondern um die Befreiung
des Hl. Landes, wobei er gerne den Krieg vermieden hätte"
(S.148). Auch der Meinung, Innocenz habe diesen Kreuzzug
als einen rein päpstlichen durchführen wollen unter
Ausschaltung der großen Herrscher, widerspricht R. mit
relativ guten Gründen; freilich ist das Schweigen des
Papstes 1215 zur Kreuznahme durch Friedrich II. wohl
doch eher als Zeichen peinlicher Überraschung zu deuten
im Sinne von H. E.Mayer (S. 154, Anm. 85). Zwischen dem
Staufererben und den übrigen Königen Europas wird
man differenzieren müssen. Die päpstliche Eröffungs-
predigt zum 4. Laterankonzil wird von R. gedeutet : Man
muß auch ein eschatologisches Moment sehen, „um zu
erklären, warum Innocenz in zunehmendem Maße seine
Arbeitskraft dem Kreuzzug widmete, in dem er schließlich
, ganz im Gegensatz zu den Anfängen, ein Hauptziel
seines Pontifikates sah" (S.160). Den Teil I beschließt
II. mit der Zusammenfassung: „Als Innocenz den Stuhl
Petri bestieg, hatte er die Aufgabe, dem Hl. Land Hilfe
und Befreiung zu bringen, von sich geschoben; doch die
Aufgabe hatte ihn bald energisch gefordert und er hatte
sich ihr im Sommer 1198 gestellt... Am Ende hat sie
Innocenz so erfüllt, daß er in dieser Aufgabe ein Hauptziel
seiner Regierung sah... Als Innocenz Papst wurde, stand
und fiel der Kreuzzug mit der Person des Kaisers... Als
Innocenz starb, keine zwei Jahrzehnte später, hatte er
den Kreuzzug zur Sache des Papstes gemacht, mit ihm
stand und fiel das gewaltige Werk zur Befreiung des
Hl. Landes. Daher ist die Gestalt dieses Papstes nicht zu
t rennen von den Kreuzzugsplänen, die er achtzehn Jahre
hindurch betrieb" (S.169).

Teil II „Die nichtorientalischen Kreuzzüge" behandeln
zunächst den Maurenkrieg in Spanien (S. 172-91) mit dem
Ergebnis: „Die absolute Vorrangstellung des Jerusalemzuges
bestimmten das Handeln des Papstes" (S.188). Der
Versuch, auch den Maurenkrieg dem Papst zu unterstellen,
gelang nur kurzfristig. Ähnlich verhält es sich mit Kreuzzügen
in Osteuropa (S. 192-213): „Die Mission in Livland
lag für Innocenz am Rande seines Blickfeldes" (S.198).
Der Begriff „crucesignatus" fehlt, was R. für Zufall hält
in Anbetracht der schmalen Quellengrundlage. Sein Fehlen
könnte aber auch Absicht sein. Es ist völlig klar, daß
für Innocenz ein wesentlicher Unterschied bestand zwischen
den Schauplätzen in Osteuropa und Palästina. Seine
Sorge war auch nach R., „daß dem Jerusalemzug kein
wirklicher Nachteil aus dem Missionskreuzzug entstand"
(S.207). Auch der Abschnitt „Der Ketzerkreuzzug"
(S. 214-52) zeigt, daß Innocenz nur mit Vorbehalten
Kreuzzüge sah, die nicht in das Hl. Land zielten. „Innocenz
gab dem Kreuzzug ins Hl. Land eindeutig den Vorrang
vor dem Kreuzzug gegen die Ketzer" (S.234). Ein
Blick auf die Entstehung des politischen Kreuzzuges vervollständigt
die Problematik (S.253-59). Teil III „Der
Kreuzzug bei Innocenz III." (S. 260-91) bietet die Ergebnisse
. Zunächst geht es um politische Kategorien: „So
war die Kreuzzugspolitik Innocenz' III. nicht nur ein

Wendepunkt, sondern auch ein Höhepunkt. Er zuerst hat
den Kreuzzug ganz als Sache des Papstes betrieben;
keiner seiner Nachfolger hat ihn hierin an Konsequenz
und Erfolg erreicht" (S.263). Kempf hatte betont, daß
Innocenz den weltlichen Gewalten durchaus ihr Eigenrecht
lassen wollte und nicht als Hierokrat allein die Herrschaft
beanspruchte; dagegen stellt R. fest: „Wenn Innocenz
die Führung des Kreuzzuges ergriff, beanspruchte er
damit an einem Punkt die reale Führung der Christenheit
bzw. ihres militärischen Aufgebots... Der Kreuzzug war,
jenseits der Kategorien Dualismus und Hierokratie, ein
Feld, auf dem der Papst gegen die Traditionen des
12.Jh.s dem Kaiser und den Fürsten die Leitung der
Christenheit abnahm und auf diese Weise nicht nur an
Ansehen, sondern auch an politischem Gewicht gewann"
(S.267). Dann geht es R. um religiöse Kategorien: „Innocenz
denkt, anders als Bernhard, wesentlich vom Ziel des
Kreuzzuges aus; es geht ihm um den erfolgreichen Abschluß
, nicht in erster Linie um eine Heilsmöglichkeit für
den Kreuzfahrer" (S. 272). R. vermutet: „Vielleicht haben
wir damit den tiefsten Grund dafür erfaßt, warum Innocenz
das Lehnsrecht in den Kreuzzugsgedanken einführte
. Solange die Kreuznahme in Analogie zum Mönchsgelübde
gesehen wurde, war sie ein freiwilliger Akt. Wenn
die Kreuznahme dagegen eine rechtlich faßbare Vasallenpflicht
jedes Christen gegen seinen Herrn war, war es
prinzipiell möglich, die gesamte Christenheit zum Kreuzzug
aufzubieten" (S.284). Innere Bedenken hat R. im
Schrifttum des Papstes nicht gefunden: „Daß ein Krieg
im Namen Christi geführt würde, daß das Volk Christi
sich gerade in einem Kriegszug manifestiere, daß der
Kreuzzug nicht nur in seinem Mißbrauch durch eigenmächtige
Herrscher, sondern gerade in seinem ureigensten
Ziel, der Wiedereroberung der heiligen Stätten unter
Strömen von Blut, ein fragwürdiges Unterfangen sei und
keineswegs zu den gerechten Kriegen zu zählen wäre, ...
diese Bedenken begegnen in Innocenz' Briefen nicht"
(S.285). Der Schlußteil umreißt die Nachwirkungen über
Innocenz III. hinaus (S.292-303).

Die Arbeit ist durchgehend mit Quellenhinweisen belegt
. Neuere und notfalls auch ältere Literatur wird umsichtig
an den wesentlichen Punkten herangezogen. So
wird der Fortschritt deutlich, den R. zu bieten hat. In
Zukunft dürfte jede Arbeit über Kreuzzüge oder Innocenz
III. mit reichem Gewinn auf die gründlichen Untersuchungen
von R. zurückgreifen.

Rostock Gtort Haendler

Selge, Kurt-Victor: Die ersten Waldenser. Mit Edition des
Liber Antiheresis des Durandus von Osca. I: Untersuchung
und Darstellung. II: Der Liber Antiheresis des Durandus von
O-ica. Berlin: de Gruyter 1967. XVIII, 320 S., 1 Faltkte. u.
XXVI, 287 S., 2 Taf. gr. 8° = Arbeiten zur Kirchengeschichte
, hrsg. v. K.Aland, W.Eltester u. H.Rückert, 37, I u. II.
Lw. zus. DM 128,-.

Selge bringt im zweiten Bande eine sorgfältige kritische
Ausgabe des Liber antiheresis, um 1200 von Durandus von
Osca verfaßt zu einer Zeit, da sich sein Verfasser noch als
dankbarer Schüler des Valdes aus Lyon wußte. Auf Grund
einer eingehenden Analyse des in zwei Handschriften erhaltenen
Werkes, rekonstruiert dann Selge in seinem
ersten Band das Hauptanliegen des Durandus und stellt
somit den Leser mitten in die Atmosphäre des Urwal-
densertums. Die alte Problematik der Differenzierung der
einzelnen Gruppen der Bewegung wird dadurch in eine
neue Perspektive gerückt und die Geschichte der ersten
Waldenser quellenmäßig belegt und gedeutet. Daß dies
ein unerfülltes Postulat der neueren Waldenserforschung
sei, wurde seit dem glücklichen Fund Antoine Dondaine»