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Ausgabe:

1970

Spalte:

824-825

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Derrett, John Duncan M.

Titel/Untertitel:

An oriental lawyer looks at the trial of Jesus and the doctrine of the redemption 1970

Rezensent:

Bammel, Ernst

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 11

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das Neue Testament, 1963 S. 68). Es waren gerade diese Widersprüche
, die zu einer konsequenten Differenzierung zwischen
Tradition und Redaktion im ersten Evangelium und zur Zuweisung
der gcnuin-judenchristlichen Motive zur vormatthäi-
schen Tradition geführt haben; und es zeigte sich, daß - soweit
die vormatthäischen Überlieferungsstücke eine ursprünglich
andersartige Aussagerichtung besessen haben - auf der Basis
der nichtjudenchristlichen matthäischen Redaktion solche
disparaten Elemente zu einer sachlichen, im wesentlichen heilsgeschichtlich
motivierten Einheit verschmolzen worden sind
und von hier aus der Redaktor Matthäus dem heidenchristlichen
Raum eingeordnet werden kann. Dies schließt selbstverständlich
die These ein, daß das Heidenchristentum des
ersten Jahrhunderts nicht ohne die Einflußnahme von jüdischer
und judenchristlicher Denkgewohnheit vorgestellt werden
darf; so ist es - auf dem Weg über die Gemeindetradition
im weitesten Sinn - auch noch an der „schriftgelehrten"
Arbeit des Matthäus erkennbar.

Winzler, Josef: Der Prozeß Jesu. 4., erneut revidierte Aufl.
Regensburg: E.Pustet 1969. 520 S. m. 1 Kte 8°. Lw. DM
38,-.

Die drei ersten Auflagen von Blinzlers Standardwerk
sind in dieser Zeitschrift 76, 1951 Sp.682f., 82, 1957
Sp.l90f., 87, 1962 Sp.602f. besprochen und warm empfohlen
worden. Dank der unermüdlichen Weiterarbeit des
Vf.s ist das Buch inzwischen von anfänglich 178 Seiten
(x1951) auf 520 Seiten (41969) angewachsen. Fünf Übersetzungen
liegen vor: ins Englische, Spanische, Schwedische
, Französische, Italienische.

Das erhebliche Wachstum des Umfangs gegenüber der
dritten Auflage (1960, 375 S.) erklärt sich überwiegend
aus der Einarbeitung der seither erschienenen Forschungsbeiträge
(„Nur wenige Seiten sind ganz unverändert geblieben
" S. 8), im übrigen aus dem Hinzukommen von drei
Exkursen, über die kurz zu berichten ist.

Exkurs II: Die Dauer des Prozesses Jesu (109-126)
prüft (gelegentlich etwas zu sehr in die Breite gehend) die
These von A. Jaubert nach, daß Abendmahl und Verhaftung
bereits am Dienstagabend der Passionswoche erfolgt
seien - bei allem Respekt vor der Leistung der gelehrten
Forscherin mit negativem Resultat.

Exkurs V: Zur Verspottungsszene Mk 14,65 Par.
(162-166) hält einleuchtend Mk 14,65 für ein ursprünglich
selbständiges Traditionsstück, das zwei verschiedene Akte
kombiniert: das (übrigens Lk 22,63 fehlende) Anspucken
bringt Abscheu und Verachtung zum Ausdruck, das
Blindekuhspiel will Jesus verhöhnen. Hier Wirde ich noch
einen Schritt weiter gehen: Da die Verhöhnung die Anklage
travestiert (vgl. Mk 15,17-19; Lk 23,11), würde ich
aus Mk 14,65 schließen, daß Jesus vor dem Synhedrium
als falscher Prophet angeklagt worden ist; dafür spricht
auch das an sich nicht zum „Spiel" gehörende, von allen
drei Synoptikern bezeugte nQoifritevaoi'. Die ganz beiläufig
und völlig tendenzlos erzählte kleine Szene hat
m. E. grundlegende Bedeutung für das Verständnis des
Prozesses Jesu.

Exkurs XIX: Der Kreuzestod in medizinischer Sicht
(381-381) berichtet über die verschiedenen Theorien
hinsichtlich der medizinischen Seite des Todes Jesu. Als
die „bisher umfassendste und alle neueren Forschungsbeiträge
berücksichtigende Studie" (181 Publikationen
im Literaturverzeichnis) wird Karl-Jürgen Schulte, Der
Tod Jesu in der Sicht der modernen Medizin, in: Berliner
Medizin 14, 1963 S. 177-186. 210-220 genannt („Kollapsgeschehen
... so gut wie sicher").

Blinzlers Werk ist eines der wenigen theologischen
Bücher, das, für den Laien geschrieben, dennoch zugleich
für den Fachmann als immer zuverlässige, umfassende
Informationsquelle unentbehrlich ist.

Göttingen Joachim Jeremias

Derrett, J. Duncan M., Prof.: An Orienlal Lawyer Looks at ihe
Trial of Jesus and the Doctrine of the Redeinption. An

Inaugural Lecture delivered on 21 October 1965. London:
School of Oriental and African Studies, University of London
1966. 65 S. 8°.

Der Beitrag eines Nichttheologen zu einer zentralen
neutestamentlichen Frage wird die besondere Aufmerksamkeit
der Zunft erregen. Ist es doch in diesem Fach
öfter als anderswo der Fall gewesen, daß entscheidende
Anregungen von außen kamen. Hier nun nimmt der Vf.,
der schon zuvor mit zahlreichen Abhandlungen über
Gleichnisse und rechtlich bedeutsame Stücke des N.T.
hervorgetreten war, den Prozeß Jesu zum Vorwurf für
seine Antrittsvorlesung als Professor der orientalischen
Rechte - eine für sich sprechende Tatsache.

Der Vf. folgt im großen und ganzen der von J. Blinzler
gezogenen Linie und lehnt die Kritik P. Winters1 mit
einer Handbewegung ab (S.22). Er hält, wie man schon
von seinen Gleichnisforschungen her weiß, wenig von
quellenkritischen Operationen (s.S.25), versucht vielmehr
, die Texte so zu nehmen, wie sie stehen, denselben
eine juristische und exegetische Erklärung zu geben.

An Einzelbeobachtungen sei erwähnt: Mk 14,12ff.
braucht nicht zu bedeuten, daß Jesus das Passamahl aß
(S.23), die .Nachtsitzung' hatte keinen offiziellen Charakter
(S. 19.32.37), die Beschwörung ist eine Weise der
Wahrheitsfindung, die bei Zauberei und geheimen Vergehen
üblich war (S.30), av t'inaf ist als Eingeständnis zu
verstehen (S.31), Mk 14,65 ist als Teil der Petrusgeschichte
, in der sich die vom Messias erwartete Prophezeikunst
erweist, anzusehen2 (S.20).

Was den Vf. jedoch eigentlich bewegt, sind nicht Einzelheiten
, sondern ist die Frage, ob die paulinische Vorstellung
vom Sühneopfer nur ein theologisches Interpreta-
ment sei - auf Träume oder Einbildungen zurückgehend
(S. 16) - oder aber auf einer geschichtlichen Wirklichkeit
fuße. D. sieht die Tatsache, daß alle sieben Motive, die die
Vorstellung des Paulus von der Versöhnung bestimmen,
sich auch in der zeitgenössischen Erklärung von Jes 53
finden, als ein Anzeichen dafür an, daß die Frage nicht
falsch gestellt ist.

Er findet eine Reihe von Einzelzügen in der Leidensgeschichte
, die diesem Denkschema entsprechen. So erscheint
das Blutgeld als eine Summe, mit der Jesus von
der Tempelbank als Opfer angekauft worden war und das,
wollte man das Opfer nicht ungültig machen, nicht zurückgezahlt
werden konnte (S.21). Mt 27,25 aber versteht
sich so: das Volk will Jesu Opfer als das eines Unschuldigen
, damit das Erlösungswerk in Gang kommen kann
(S.34f.). Von entscheidender Bedeutung für D.s Beweisführung
wird aber Joh 11, 50, ein Wort, das zeigt, daß eine
Machination, in der Jesus als sündloses Opfer dargebracht
wird, gerechtfertigt werden konnte (S.26ff.).
Der Vf. ist durchaus nicht der Meinung, daß alle Juden
Jesus so ansahen, ist sich aber sicher, daß, wie verschieden
auch immer die Ausgangspunkte gewesen sein mochten,
sie zu diesem Vorhaben führen konnten, einem Ratschluß,
der anderseits, sollte er nicht die Beteiligten selbst in
Sünde verstricken (S.29f.), von einem anderen, Pilatus
ausgeführt werden mußte.

Vor allem sieht der Vf. Jesu eigene Handlungsweise
beim Abendmahl in diesem Zusammenhang; die Szene
ist ganz bestimmt von einem midraschischen Verständnis
von Jes 53, ist Darstellung dieses Kapitels (S.43ff.). So
stellt sich in der Auffassung von D. die neutestamentliche
Christologie als eine Einheit dar: Paulus, seine Zeitgenossen
wie Jesus selber sind auf das stärkste von den Gottes-
knechtliedern beeinflußt (S. 17ff.) und etwas ähnliches
gilt mutatis mutandis auch für ihr jüdisches Gegenüber
.

Es ist ein überaus fein geknüpfter Teppich, den der Vf.