Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1970

Spalte:

796-798

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Steffen, Reinhard

Titel/Untertitel:

Die Lehre von der Kirche in der Theologie Albrecht Ritschls 1970

Rezensent:

Steffen, Reinhard

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

795

Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 10

796

zwischen Ben Sira und Josephus bildete, an dem sich die jüdischen
Schulen und Parteien schieden. Josephus erweist sich
als ein vertrauenswürdiger und genauer Gewährsmann, sofern
wir beachten, dafj er vereinfacht und eben an hellenistische
Leser berichtet. Jede in ihrer Weise stehen die drei gro-
fjen jüdischen Religionsparteien seiner Tage im Strom der
Chokma, wie sie noch zur Zeit des Siraciden ganz von
Priestern gestaltet wurde (cap. 6). Man kann weiter die
Linie zu Rom 9—11 ziehen, wo Paulus in Anlehnung an Sir
33, mehr noch an den qumranischen Essenismus, die Prädestination
lehrmäßig entfaltet; offenbar führte sein Christusglaube
zu einer Aufsprengung der pharisäischen Bindung
und zu einer Aufnahme weisheitlich-prädestinatia-
nischer Reflexion (cap. 7).

Rickers, Folkert: Das Petrusbild Luthers. Ein Beitrag zu
seiner Auseinandersetzung mit dem Papsttum. Diss. Heidelberg
1967.

Mit seiner Schrift, Resolutio... de potestate papae" griff
Luther im Jahre 1519 ein Thema auf, das in der Auseinandersetzung
um den Ablaß bereits latent vorhanden
war. Johann Eck hatte im Hinblick auf die Leipziger Disputation
(1519) die mehr beiläufigen kritischen Äußerungen
Luthers über die Gewalt des Papstes geschickt aufgenommen
und zum wichtigsten Diskussionspunkt hochgespielt
. Luther führte in der oben genannten Schrift und in
der Leipziger Disputation den Streit sogleich auf das entscheidende
Problem hin, nämlich auf das ius divinum des
Papsttums. Göttliches Recht aber war für ihn — anders als
bei den römischen Theologen — nirgendwo sonst zu finden
als in der Schrift. Recht und Grenze des Papsttums mußten
sich für Luther an jenen biblischen Aussagen erweisen lassen
können, die von jeher seiner Begründung dienten, und
auch an solchen, die bislang zu wenig beachtet worden waren
. Von besonderem Interesse war dabei naturgemäß die
Gestalt des Petrus, des Kronapostels der römischen Kirche.
Luther hat nahezu alle Petrusstellen auf ihre Tragfähigkeit
für ein ius divinum des Papsttums überprüft. Wenn er
dabei zu einem vollständigen anderen Petrusbild kam, als
es die vielhundertjährige Tradition der Kirche erstellt hatte
, so lag das nicht daran, daß er nicht zu sehen vermochte,
welche Sonderstellung dem Petrus im Apostelkreis zukam.
Bei aller Betonung der prinzipiellen Gleichheit der Apostel
(Gal 2, 11 ff.) erkannte er doch an, daß Petrus den primus
locus innehatte. Aber zu mehr als zu einer praerogativa
honoris war für Luther seine Position nicht auszuweiten.
Die von Rom behauptete Felsenstellung des Apostels zerschlug
er durch den Hinweis auf 1 Kor 10,4 (petra autem
erat Christus) und auf die menschliche Schwachheit des
Apostels (Verleugnung). Schon gar nicht konnte er ihm aus
Mt 16,19 und Joh 21,15 ff. kirchenleitende Funktionen zuerkennen
. Aber wenn diese auch aus den neutestament-
lichen Texten zu erweisen gewesen wären, so deutet doch
nach Luther nichts daraufhin, daß auch die .Nachfolger"
des Apostels mit solcher Machtfülle ausgestattet sein müßten
. In diesem Zusammenhang spielt auch das Problem des
Petrusaufenthaltes in Rom eine Rolle. Luther steht dabei
in der Tradition einer interessanten Diskussion des Mittelalters
. Schon die Waldenser hatten die zur Legitimation
des römischen Papsttums notwendige historische Prämisse,
daß Petrus in Rom gewesen sei, vom Neuen Testament her
stark bezweifelt. Luther griff den Zweifel auf, kam jedoch
nicht zu einer klaren Stellungnahme.

Luthers Petrusbild war nur zum geringsten Teil Zweckprodukt
der Polemik. Denn es läßt sich aus verstreuten
Äußerungen, besonders aus der Zeit vor dem Thesenanschlag
zeigen, daß Luthers Anschauung bereits in den
Grundlinien feststand, als er sie im Streit mit Rom an
die Öffentlichkeit brachte (L Teil).

Es hat bislang wenig Beachtung gefunden, daß Luthers
Angriff auf die biblischen Fundamente des Papsttums
eine ganze Reihe von Theologen auf den Plan gerufen
hat, die sich zur Verteidigung Roms aufwarfen. Gegen
die „Resolutio de potestate papae" gibt es nicht weniger
als elf, z. T. recht umfangreiche Gegenschriften. Was sie
auszeichnet, ist das Bemühen, sich mit Luther auf der gemeinsamen
Grundlage der Heiligen Schrift zu treffen.
Dabei ist besonders Cajetan hervorzuheben. Freilich vermochten
sie sich letztlich doch nicht von der normierten
Tradition zu lösen, und das lag auch gar nicht in ihrer
Absicht; ihnen war es vielmehr um die Übereinstimmung
ihrer Exegese mit den Aussagen der Kirchenväter und dem
kanonischen Recht zu tun. Aber innerhalb dieses Rahmens
haben sich die vortridentischen Kontroverstheologen eine
oft erstaunliche Freiheit des exegetischen Urteils bewahrt
(II. Teil; die literarischen Gegner werden in Gegenüberstellung
zu Luther ausführlich referiert).

Luthers Petrusbild kommt freilich erst in seinen Predigten
voll zur Entfaltung. War der Reformator in der kontroverstheologischen
Debatte darum bemüht gewesen, die
Bedeutung des Apostels als Repräsentant des Apostelkreises
und als Amtsperson soweit wie möglich zu relativieren
, so erhält diese Schau ihren heimlichen theologischen
Hintergrund in der Anschauung von Petrus als
dem Sünder und Heiligen einerseits und als geschätztem
theologischen Schriftsteller des Neuen Testaments (1. Petrusbrief
) andererseits. Luther konnte unbefangen die
Sünde des Petrus groß machen und ihn exemplarisch in
die Reihe der großen Sünder vom Rang eines David stellen
. Um so größer mußte es ihm dann erscheinen, daß
Gott gerade ihn sich zu seinem Werkzeug erwählt und
ihn mit apostolischer Autorität begabt hatte. Bei den römischen
Kontroverstheologen war viel von der apostolischen
Autorität des Petrus die Rede, kaum aber einmal von seinen
Fehltritten; und wenn es geschah, dann konnten sie
allenfalls als peccatum veniale deklariert werden (III. Teil).

Steffen, Reinhard: Die Lehre von der Kirche in der Theologie
Albrecht Ritschis. Diss. Erlangen 1969. 312 S.

In den letzten zehn Jahren hat sich die historisch-sy-
stematischeTheologie in zunehmendem Maß Albrecht Ritsehl
zugewandt. Die vorliegende Arbeit will zum Verständnis
Ritschis von dem Fragenkreis der Ekklesiologie her zu dieser
Diskussion einen Beitrag leisten. — Im wesentlichen
wird von Ritschis eigenen Schriften ausgegangen; ferner
werden ein Vorlesungsmanuskript Ritschis und eine Nachschrift
seines Sohnes herangezogen. — In einem einleitenden
Paragraphen werden Einflüsse und Vorentscheidungen
von Ritschis theologischem Denken herausgestellt, die zugleich
für die spätere Kritik von Bedeutung sind: Ritschis
Interesse am AT und NT; der Einfluß der Reformation;
seine biographische Herkunft aus der Union; sein Gemeinschaftsgedanke
. Diese Punkte gelten als Kriterien, an denen
gemessen wird, wieweit die theologischen Ergebnisse
den Intentionen entsprechen und durchgehalten werden.

Im 1. Hauptteil wird der Rahmen abgesteckt, in dem
Ritsehl auf den Kirchenbegriff eingeht: die Gemeinschaftlichkeit
der Religion; der Gottesbegriff; das Reich Gottes.

Der 2. Hauptteil entfaltet die Ekklesiologie selbst.
Ritsehl sieht die Gemeinde in engster Beziehung zur Chri-
stologie; das gesamte Heilswerk Christi ist auf die Gemeinde
bezogen. Christus selbst hat die Gemeinde gegründet
, darin liegt sein „Beruf". Mit der Gründung der Gemeinde
ist zugleich eine positive Verbindung zu Gott hergestellt:
die Sündenvergebung. Gewißheit der Sündenvergebung
(und damit der Rechtfertigung) und die Zugehörigkeit zur
Gemeinde der an Christus Glaubenden fallen zusammen.