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Ausgabe:

1970

Spalte:

57

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Titel/Untertitel:

Evangelische Theologie in den Fraglichkeiten der modernen Welt 1970

Rezensent:

Trillhaas, Wolfgang

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr.l

58

PHILOSOPHIE, RELIGIONSPHILOSOPHIE

[Tillich, Paul:] Evangelische Theologie in den Fraglichkeiten der
modernen Welt. Hrsg. in Verbindung mit dem Paul-Tillich-
Arcbiv und dem Kreise der Freunde Paul Tillichs. Stuttgart:
Evang. Verlagswerk [1968]. 51 S. 8°. DM 3,50.

Die Beiträge zu diesem Heft stammen von der Tagung des
Kreises der Freunde Paul Tillichs in Hofgeismar vom 3.-5. Mai
1968. Carl-Heinz Ratschow weist in seiner Einleitung darauf
hin, daß es nicht darum geht, P. Tillichs Werk als autoritative
Antwort auf alle Fragen unserer Zeit vorzustellen, sondern das
von ihm entfaltete Konzept in lebendigem Weiterdenken immer
neu fruchtbar zu machen. So nimmt auch der erste Vortrag von
Eberhard Amelung über die Grundstruktur der durch Wissenschaft
und Technik bestimmten Gesellschaft und ihre Forderungen
an die Menschen nur beiläufig auf Tillicb selbst Bezug und
beschäftigt sich mit den Begriffen der Pluralität, der Differenzierung
gesellschaftlicher Strukturen und der Möglichkeit der
Integration. Es ist so etwas wie eine Quintessenz heutiger westlicher
Gesellschaftslehre; die theologischen Bezüge finden sich in
den Anmerkungen. Ulrich Neuenschwander geht in seinem Vortrag
: Die Fragen der heutigen Welt und ihre Bearbeitung in der
Theologie Tillichs, eben auf dessen Werk selbst ein. Es ist eine
umsichtige, ihren Gegenstand behutsam überschreitende Interpretation
Tillichs, die ebenso als eine gute Einführung in Tillichs
Werk wie auch als ein Nachweis der fortdauernden Fruchtbarkeit
seiner Ansätze etwa in dem Gespräch mit dem Atheismus
verstanden werden kann. In diesem Zusamcnhang scheinen mir
die Hinweise auf die Bedeutung des III. Bandes der System.
Theologie für das Verständnis unserer modernen Welt und für die
Begründung des „Mutes zum Sein" ebenso wichtig zu sein wie die
naheliegende, wenn auch heute sonst kaum gewagte Entgegensetzung
Tillichs zu Bonhoeffer. Während dieser im Kontext der
„Weltlichkeit des Glaubens" und im Gefolge Barths den Religionsbegriff
an die volle Profanität preisgibt, versteht Tillich die
Profanität selbst religiös. Die verschiedenen immer fruchtbaren
Implikationen des Religionsbegriffes bei Tillich kommen in dieser
Darstellung Neuenschwanders ebenso kompromißlos wie
unpolemisch zur Darstellung.

Als dritter Beitrag zu dem Tagungsbericht erscheint eine Predigt
von Dietrich Kügler, die als Meditation zu Matth. 20,25 bis
28 daran erinnert, welche Anregungen zur Scbriftauslegung für
die Praxis der Kirche Paul Tillich verdankt werden könnten.

Höningen Wolfgang TrlUhaaa

Bochenski, Joseph M.: Logik der Religion, übers, v. A.Menne.
Köln: Bachem [1968J. 159 S. 8°. Kart. DM 13,80.

Der Autor ist der bekannte katholische Professor in Freiburg
in der Schweiz. Das vorliegende Buch ist eine Übersetzung des
Werkes „The Logic of Religion", das 1965 in New York erschien
; es ist übersetzt von dem Professor der Philosophie und
Logik in Hamburg, Albert Menne. Der Übersetzer gibt dem
Wunsch Ausdruck, daß die Methode, die Bochenski auf die
Religion anwendet, auch auf anderen Gebieten, z. B. der Rechtsund
Sozialwissenschaft, Anwendung finden möge. Bochenski
selber sagt im Vorwort zu seinem Buch, daß er nicht die Absicht
habe, einen Beweis oder eine Apologie für die Religion zu liefern,
und daß es auch nicht seine Ansicht sei, daß in der Religion der
logische Aspekt der wichtigste sei. Schließlich betont er, daß er
auch nicht eine Formalisierung der Sprache der Religion geben
wolle - auf den Gedanken kann nur derjenige kommen, der nicht
weiß, was ein formalisiertes System ist. Das Buch soll nur einen
Begriff davon bieten, was die Religionslogik ist, nicht ein vollständiges
System. Der eigentliche Zweck des Buches kommt am
Schluß des Vorworts heraus, wo Bochenski berichtet, daß zu
seiner Überraschung ein gelehrter Theologe ihm erzählt habe,
daß ein Satz, der eine Bedeutung habe, notwendigerweise auch
wahr sein müsse! Dies bestreitet der Vf. unseres Buches, und hier
stößt er vielleicht auf einen zweifachen Widerstand, teils von
mehr oder weniger orthodoxen Theologen und teils von Philosophen
, die dem logischen Empirismus nahestehen - aber in diesem
Falle wird er mit Recht behaupten, daß eine Aussage wirklich
einen klaren Sinn haben kann, selbst wenn sie nicht verifiziert
werden oder eventuell auch ganz falsch sein kann. So etwa
ist der Rez. der Meinung, daß die Aussage: „Engel haben Flügel
" ebenso klar ist und einen Sinn gibt wie die: , Die Erde ist
rund", aber letztere kann verifiziert werden und ist wahr, während
erstere nur einen klaren Sinn hat.

Auf dieser Grundlage wird Bochenskis Buch in weitem Umfang
eine sprachanalytische Studie. Die Aussagen und deren
Sinn, und nicht ihre eventuelle Wahrheit, sind es, die ihn in
erster Linie interessieren. Er hält es nicht für möglich, ein unmittelbares
Transzendieren vom Sprach-Iogischen zum Ontologi-
schen vorzunehmen, und weil er Philosoph ist - trotzdem er
Katholik ist -, unterläßt er es ganz, auf den aristotelisch-thomi-
stischen Gedanken von der Identität von Wahrheit und Wirklichkeit
einzugehen, der seinen Ausdruck in der Behauptung
findet, die Wahrheit sei eine adaequatio und nicht wie bei
Kant eine connexio. Das Buch ist dem Thema und der Methodik
nach logisch und religionsphilosophisch. Es ist nicht theologisch,
und darin dürfte seine Stärke liegen.

Als Vertreter der modernen Logik bedient er sich in ausgedehntem
Maße der logischen Formelsprache, und zur Erleichterung
befindet sich für den Leser am Schluß des Buches eine
Übersicht über diese Zeichen außer einer Liste über Abkürzungen
. GD bedeutet Grunddogma, OR Religionsobjekt, FL die
formale Logik, PR die Profansprache und RS die religiöse
Sprache usw. Alle diese Zeichen und Abkürzungen nehmen dem
Buch seinen schöngeistigen Charakter und bringen es - unter
kategorialem Gesichtspunkt gesehen - von der ästhetischen auf
die logische Ebene. Der Genuß bei der Lektüre wird ein rein
intellektueller - aber dieser Genuß soll ja auch nach der Meinung
etlicher Leute der höchste von allen sein. Insoweit das Buch theologisch
genannt werden kann, ist diese Theologie eine angewandte
Logik, die angewandt ist auf das Gebiet der Theologie
entsprechend ihrer Anwendung auf den Gegenstand der Phvsik
oder der Biologie. Bochenski fragt auf S.17, unter welchen Umständen
es eine angewandte Logik für ein bestimmtes Gebiet
geben kann, und die Antwort lautet: „Wenn g ein Gebiet
menschlicher Tätigkeit ist, dann gibt es eine angewandte Logik
für g genau dann, wenn g eine Sprache umschließt, die einige objektive
Strukturen verkörpert oder zum Ausdruck bringt". Als
Objektsgebie.t nimmt Bochenski nur die Weltreligionen der
Gegenwart, die in indikativischen Aussagen behandelt werden,
aber er macht auf S. 18 darauf aufmerksam, daß die Logik im
20. Jahrhundert mit neuen Bereichen imperativischer oder per-
formativischer Art erweitert worden ist. Die Performative sind
von dem Engländer J.L.Austin entdeckt und benannt worden.
Eine performative Aussage ist z.B.: „Ich verspreche, heute
abend zu kommen". Das ist weder eine wahre noch eine falsche
Aussage wie die: „Er kam nicht". Natürlich sind es nicht die
Religionen selbst, sondern die sprachlichen Aussagen, die sich in
ihnen finden, die das Material derreligiösen Logik sein sollen, weil
es nur sprachliche Aussagen sind, die Gegenstand einer logischen
Analyse werden können. Das Material ist „die empirisch gegebene
RS (Religionssprache)" oder „das faktisch vollzogene
Sprechen" (ft.22).

Dies bedeutet indes mit etwas anderen Worten, daß es die
Theologie der betreffenden Religionen ist, die zum Gegenstand
der religiösen Logik wird, und Bochenski definiert die Theologie
„als eine Lehre, in der ... zumindest ein Satz als wahr angenommen
wird, der zu einem gegebenen G gehört und der lediglich
von solchen Personen anerkannt wird, die Gläubige dieser
gegebenen Religion sind" (S.23). Derjenige, der sich mit RL
(Religionslogik) abgibt, muß anerkennen, daß die Gläubigen
irgendeiner Religion behaupten, daß „Gott unser Vater sei",
aber er braucht nicht anzuerkennen, daß „Gott unser Vater
ist". Es ist also der Sinn, auf den es ankommt, und nicht seine
mögliche ontologische Basis. Vielleicht ist RL für die Theologie
wichtiger als für irgendeine andere Disziplin, weil es für den
Theologen wichtig ist zu wissen, ob seine RS objektive Strukturen
aufweist und ob einige von diesen auch wirkliche Aussagen
oder nur „Pronositionen" sind (S.24f.). Vielleicht zeigt es sich,
daß gewisse Wortznsammenstellnngen in der religiösen Sprache
keine wirklichen Aussagen sind, die etwas behaupten, was in