Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1970

Spalte:

793-795

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Maier, Gerhard

Titel/Untertitel:

Mensch und freier Wille 1970

Rezensent:

Maier, Gerhard

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

793

Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 10

794

gen des liberalen deutschen Protestantismus. Die Bedeutung
der Großstädte im 19. Jahrhundert wird an Entwicklung
und Eigenart des Kirchenbaus in Berlin und Dresden
aufgezeigt. Die Abschnitte über Karl Friedrich Schinkel
(1781—1841) und Gotthilf Ludwig Möckel (1838—1915) verdeutlichen
die besondere, durch die zeitliche Stellung und
den Aufgabenbereich mitbedingte Leistung des einzelnen
Baumeisters.

Der III. Teil „Der Kirchenbau des 19. Jahrhunderts —
umstrittenes Erbe" beschließt die Studien. Das 1. Kapitel
(»Die Auseinandersetzung in der Praxis") beschäftigt sich
mit denkmalpflegerischen Problemen, das 2. bringt die
„Zusammenfassende Einschätzung". Unter der Voraussetzung
, daß Denkmalpflege geschieht, gibt es nach Ansicht
des Verfassers keinen zureichenden Grund, den Kirchenbau
•des 19. Jahrhunderts, besonders den des späten, davon auszuschließen
, da die Prinzipien der Denkmalpflege sich
mit gleichem Recht auf jede kunstgeschichtliche Epoche
anwenden lassen. In jedem Falle stellt der Kirchenbau des
19. Jahrhunderts ein interessantes Phänomen unverwechselbarer
und unwiederholbarer Prägung dar. Man kann
ihn verstehen als zeitgebundenes Bemühen um überzeugendes
christliches Bekenntnis in nachaufklärerischer Zeit.

Maier, Gerhard: Mensch und freier Wille nach den spätjüdischen
Religionsparteien. Diss. 1969.

Die Arbeit setzt ein bei den Berichten, die Josephus in
B. J. II, 119—166, Ant. XIII, 171-173 und Ant. XVIII, 11-25
über die drei hauptsächlichen Religionsparteien des palästinischen
Judentums seiner Tage (Pharisäer, Sadduzäer,
Essener) gibt, und stellt sich von da aus die Aufgabe, die
sachliche Berechtigung der Josephusberichte, insofern es
sich um die mit dem Begriff der Heimarmene gegebene
Problematik handelt, an Hand der zeitgenössischen verfügbaren
Quellen nachzuprüfen.

Der Vf. versucht zunächst zu zeigen, daß es nicht angeht
, die Verantwortung für den Begriff „Heimarmene"
einfach einer fremden Quelle (G. F. Moore: Nikolaus
von Damaskus) anzulasten; auch ist nicht einzusehen,
warum man mit Hölscher zwar einem jüdischen Autor,
aber nicht Josephus, solchen Sprachgebrauch zutrauen
soll. Natürlich sind die Berichte gerade hier im Blick aul
den hellenistischen Leser stilisiert. Jedoch liegt es — nicht
nur wegen der Verwandtschaft und der Parallelen in den
Berichten — nahe, in Josephus selbst den verantwortlichen
Autor zu sehen, der freilich sich gewiß auf Nikolaus und
auch auf Philo stützt. Der eine Gott der Juden bleibt der
Heimarmene, die nur eine instrumentale Rolle spielt, stets
vorgeordnet; die jüdische Fragestellung nach dem Gerechtoder
Sündersein stets spürbar; an eine Reihe kleinerer
Beobachtungen wird weiter klar, daß die Stilisierung den
Unterschied zur hellenistischen Philosophie nicht verwischen
kann (cap. 1).

Für die Nachprüfung der sachlichen Berechtigung der
Josephus-Berichte ist zunächst die Frage nach den zeitgenössischen
Quellen entscheidend. Der Vf. möchte sich so
streng als möglich an den Grundsatz halten, nur die mit
größter Wahrscheinlichkeit vor den Opera Josephi abgefaßten
Schriften heranzuziehen. In bezug auf die Essener
bieten sich die die Qumranschriften an, die doch wohl sicher
in den Rahmen des Essenismus gehören; dann wird
der pharisäische Charakter der PsSal aufgezeigt und von
da her die pharisäische Position vor Josephus gezeichnet,
wobei ja in den Psalmen Weisheitslehrer (H. L. Jansen) zu
Wort kommen. Für eine Darstellung der Sadduzäer ist der
Ausgangspunkt bei deren Ahnherrn Ben Sira genommen,
um dann die Entwicklung zu einer ausgeprägt sadduzä-
ischen Lehre im Vergleich verschiedener Quellen (Josephus
, NT, Rabbinica) zu verdeutlichen, da ja von der ausgeformten
sadduzäischen Partei ein literarisches Opus nicht
vorhanden ist.

Damit ist der Gang der Untersuchung schon angedeutet
. Nach dem Eingangskapitel über Josephus mußte die
Lehre des Siraciden dargestellt werden. Die konkrete
Stellungnahme Ben Siras ist ausgelöst und geformt durch
die Leugnung der Willensfreiheit von Seiten epikuräisch-
philosophisch argumentierender jüdischer Gegner in Jerusalem
. Ihnen gegenüber bejaht Ben Sira die Willensfreiheit
entschieden, wobei das Konjunktum von Willensfreiheit
und individueller irdischer Vergeltung charakteristisch
ist. (Sir 15, 11—20 etc.). Gott hat den Menschen so geschaffen
, daß sein Wille (Trieb, "j:"' ) frei über Gehorsam
oder Sünde bestimmt. Jedoch erweist sich, daß das
Sirachbuch auch eine prädestinatianische Linie enthält (bes.
33, 7 ff.), die im Denken der jüdischen Weisheit älter ist.
Das weisheitliche Denken mußte nämlich von seinem System
her, das seinen Ausgangspunkt bei Gen 2, 7 nahm und
den Gegensatz von Himmlisch-Ewig und Irdisch-Vergänglich
zum Grundschema hatte, also in statischen und substanzhaften
Kategorien dachte, dahin gelangen, auch die
Existenz der Sünder auf göttlichen Willen zurückzuführen.
Unter dem Aspekt der Theodizee wurde die Lösung gefunden
, in die syzygienhaft-dualistische Weltordnung auch den
Gegensatz von Sündern und Gerechten aufzunehmen (cap. 2).

Die sadokidische Priesterschaft, wie sie Ben Sira repräsentiert
, wurde durch die syrische Religionspolitik bzw.
den Verlauf der makkabäischen Erhebung in zwei feindliche
Gruppen auseinandergesprengt: Sadduzäer und Essener
Qumrans. Während die Sadduzäer offenbar bewußt und
konsequent die Lehre ihres siracidischen Lehrmeisters über
den freien Willen und die damit verknüpfte (diesseitige)
Vergeltung festhielten, bildete die Gemeinde von Qumran
die prädestinatianische Tradition, wie sie auch Sir 33, 7 ff.
zugrundeliegt, zu einem konsequenten Prädestinatianis-
mus in der Anthropologie und Soteriologie weiter; der
Gegensatz von Sir 15 zu den Hellenisten verlor in der
inner jüdischen Entwicklung seine Bedeutung. Vermutlich
spiegeln die prädestinatianisch-dualistischen Glossen in Sir
15 und 16 den Versuch wider, den geschätzten priesterlichen
Lehrmeister an ihre Lehre anzupassen (cap. 3).

Vor allem die grundlegende Katechese 1QS III, 13—IV,
26, die das spezifische Glaubensgut der qumran-essenischen
Gemeinschaft darlegt, und die der Lösung des Problems,
weshalb der Einzelne gerecht oder Sünder ist, gewidmet
ist, läßt erkennen, daß hier eine allumfassende göttliche
Vorbestimmung gelehrt wird. Hier wurde der Gedanke von
Gott als dem überlegenen Schöpfer und Gestalter alles
Seins und Werdens zur Vollendung geführt; die Erkenntnis
von der dualistischen Struktur der Schöpfung bestätigt
ihn (cap. 4).

Die PsSal bezeugen, daß das grundsätzliche Bekenntnis
zum freien Willen als eine wichtige Eigentümlichkeit
der pharisäischen Lehre galt (besonders 9,4 f.). Jedoch
findet sich in ihnen ein anderer Aussagenkreis, demzufolge
in geradezu qumranisch-essenischer Weise die göttliche
Vorbestimmung betont wird (etwa 5,4). Demnach erscheinen
die Pharisäer als Sammler und Bewahrer der
Lehrtraditionen Israels, die einer allzu eindeutigen Lösung
darum abgeneigt sind. Man kann beobachten, wie
unter geschichtlichem Aspekt die Willensfreiheit hervorgehoben
wird, wobei Erwählung und Willensfreiheit zusammengebunden
werden; im Anschluß an den Traditionsstrom
weisheitlicher Reflexion wird aber prädestinatia-
nisch formuliert. Eine Abhängigkeit von Ben Sira, auch
literarisch, ist stark zu vermuten. Treue zur alttestament-
lichen Überlieferung und die zeitgeschichtliche Entscheidungssituation
mögen den Anschluß an die Position des
Siraciden motiviert haben (cap. 5).

Schließlich ergibt sich, daß die Frage der Willensfreiheit
oder Prädestination einen wichtigen Diskussionspunkt