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Ausgabe:

1970

Spalte:

781-784

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Autor/Hrsg.:

Maas-Ewerd, Theodor

Titel/Untertitel:

Liturgie und Pfarrei 1970

Rezensent:

Bieritz, Karl-Heinrich

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 10

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Quitslund, Sonya A.: Les idees fondamentales de l'eccle-
sologie de dorn Lambert Beauduin d'apres ses ecrits et
sa correspondance (NRTh 91, 1969 S. 1073—1096).

Rahner, Karl, S. J.: Disput um das kirchliche Lehramt. Zum
Problem nichtunfehlbarer kirchlicher Lehrentscheidungen
(StZ 95, 1970 S. 73-81).

Rideau, Emile: Essai sur le langage de la foi (NRTh 91,

1969 S. 1045-1072).

Slenczka, Reinhard: Taufe und Zugehörigkeit zur Kirche
(Stimme der Orthodoxie 1970 Heft 2 S. 51—54).

Sudbrack, Josef: Atheismus als Modell christlicher Gottesbegegnung
(Geist und Leben 43, 1970 S. 24—38).

Vannorsdall, John W.: To a God, I cannot Speak (dialog 9,

1970 S. 10-14).

LITURGIEWISSENSCHAFT

Maas-Ewerd, Theodor: Liturgie und Pfarrei. Einflufj der
Liturgischen Erneuerung auf Leben und Verständnis der
Pfarrei im deutschen Sprachgebiet. Paderborn: Verlag
der Bonifacius-Druckerei [1969]. 414 S. gr. 8°. Kart. DM
24.-.

In dieser ausgedehnten Dissertation des Lengeling-
Schülers Maas-Ewerd geht es um zwei Grundfragen, die
auch für die innerevangelische Diskussion von Belang sind:

1. Ist die territorial umgrenzte Pfarrei, die alle in ihrem
Bereich wohnenden Christen ohne Rücksicht auf deren
Beruf, Bildung, soziale Stellung, Geschlecht und Alter umfaßt
, nach wie vor die primäre kirchliche Organisationsform
auf unterer Ebene, oder mu5 hier das bisher fast ausschließlich
gültige Territorialprinzip durch das Personalprinzip
ersetzt werden? Gibt es einen erkennbaren Sinn,
einen ausreichenden theologischen Grund, der die Aufrechterhaltung
territorialer Ortsgemeinden auch in der mobilen
Gesellschaft von heute rechtfertigt, oder sind diese überkommenen
Organisationsformen durch berufs-, bildungs-
und interessenspezifische „Paragemeinden" zu ersetzen?

2. Welche Beziehung besteht zwischen Gemeindebildung
und Gottesdienst? In welchem Maße und auf welche
Weise ist die gemeinsame Feier der Eucharistie für die
Bildung und den Bestand einer christlichen Gemeinde konstitutiv
? Wie wird der Zusammenhang von Gesamtkirche
und Einzelgemeinde in der Feier der Eucharistie evident?
Kommt dem Gottesdienst der in einer Pfarrei zusammengefaßten
Territorialgemeinde eine besondere Bedeutung
gegenüber den gottesdienstlichen Feiern von Teilgruppen
oder Paragemeinden zu?

Um die überkonfessionelle Bedeutung der von Maas-
Ewerd behandelten Themen zu begreifen, muß man freilich
erst einige Übersetzungsarbeit leisten: Wir würden in
den meisten Fällen, wo der Vf. den rechtlich-kanonischen
Begriff der „Pfarrei" verwendet, schlicht von „Ortsgemeinde
" reden; umgekehrt ist Ortsgemeinde bzw. Ortskirche
im Sprachgebrauch des katholischen Autors natürlich nicht
die Gemeinde „vor Ort", sondern die vom Bischof geleitete
Diözese. Weiter muß beachtet werden, daß sich im deutschsprachigen
Katholizismus seit dem 1. Weltkrieg ein Wandel
in der Wertung der territorialen Pfarrei vollzogen hat,
den die evangelischen Kirchen in dieser Form nicht kennen
; so ist auch der Ausgangspunkt für die Beantwortung
der Grundfrage 1 beim katholischen Autor völlig anders
als bei den landläufigen Strukturreformern auf unserer
Seite. Man kann nämlich — und das ist der Angelpunkt
der Maas-Ewerdschen Dissertation — in Analogie zur Liturgischen
Bewegung auch von einer ausgesprochenen „Renaissance
des Pfarrgedankens" in der katholischen Kirche
nach dem 1. Weltkrieg reden; der „Vereinskatholizismus"
wird zusehends vom „Pfarrkatholizismus" verdrängt; die
Hochschätzung der „Vercinsscelsorge" an personengebundenen
, ständisch orientierten, berufs-. alters- und geschlechtsbestimmten
Gruppierungen (damals hatte man den
Begriff der „Paragemeinde" für diese religiösen Vereine
noch nicht entdeckt) weicht einer zunehmenden Aufwertung
der territorialen (und damit — in ihrem Bereich! —
universalen) „Pfarrgemeinschaft". Dabei ist von vorneherein
deutlich, daß es in dieser Bewegung nicht um eine
Aufwertung der rechtlichen Struktur der Pfarrei, sondern
um die Wiederentdeckung der „Pfarrei als Gemeinde" geht.

Der Vf. setzt nun in seiner Arbeit diese „Pfarrbewegung
" in ausdrückliche Beziehung zur Liturgischen Bewegung
der gleichen Jahre; sein erklärtes Ziel ist es, „dem
Einfluß der Liturgischen Erneuerung auf Leben und Verständnis
der Pfarrei" und damit den „Wechselbeziehungen
zwischen der liturgischen und pastoralen Neubesinnung
der vergangenen Jahrzehnte" nachzugehen (S. 16).

Maas-Ewerd gibt im 1. Teil seiner zunächst historisch
angelegten Arbeit — unter der Überschrift „Die Liturgische
Erneuerung auf ihrem Weg in die Pfarrei" (S. 27—131) —
eine Geschichte der Liturgischen Bewegung in nuce, wobei
das Schwergewicht auf den eigentlich pastoralliturgischen
3emühungen im deutschsprachigen Raum liegt: Maria Laach
und die Akademiker, Guardini und die Jugendbewegung,
Pius Parsch und Klosterneuburg, das Oratorium in Leipzig.
Wirklich interessant sind in diesem Zusammenhang vier
Berichte über die praktische liturgische Erneuerung in einigen
konkreten Pfarreien in der Zeit zwischen den beiden
Kriegen, die vom Vf. erstmals in dieser Form zusammengestellt
wurden (Heilig-Geist in Frankfurt-Riederwald, St.
Paul in München, St. Marien in Mühlheim-Ruhr, St. Leopold
in Wien-Gersthof).

Bereits im Zusammenhang dieses ersten, der Liturgischen
Bewegung gewidmeten Teils seiner Arbeit kommt
der Vf. auf die Zusammenhänge zwischen liturgischer Erneuerung
und Pfarrenaissance zu sprechen („Die Konzentration
der Seelsorge auf die Pfarreien unter dem Einfluß
der Liturgischen Erneuerung", S. 115—131); er macht deutlich
, wie sehr gerade in den Jahren nach dem 1. Weltkrieg
eine fast ausschließlich auf „Vereinsseelsorge" ausgerichtete
kirchliche Praxis mit dem neuerwachten Kirchen- und Gemeindebewußtsein
der liturgisch Bewegten zusammenstoßen
mußte. Es klingt sehr modern, was die Vertreter des
Vereinskatholizismus zu ihrer Verteidigung anführen:
Kirchliche Gemeinschaft muß sich den soziologischen Gegebenheiten
anpassen; „natürliche Gemeinschaften", die
durch Beruf, Bildung, soziale Stellung vorgegeben sind,
bilden die Grundlage für jegliche religiöse Gemeinschaftsbildung
; das „Gemeinschaftsgefühl" quillt aus dem „Berufsgefühl
" (S. 122 f.). Aber auch das Unbehagen der anderen
Seite rührt uns heute noch an: Warnung vor Zersplitterung,
Oberflächlichkeit, Überbelastung, Veräußerlichung; Hinweis
auf den universalen, alle sozialen Schranken sprengenden
Charakter der christlichen Gemeinde und ihres Gottesdienstes
.

Der 2. Teil der Arbeit („Das neue Verständnis der
Pfarrei unter dem Einfluß der Liturgischen Erneuerung",
S. 135—249) stellt dann — wieder in historischer Abfolge —
die einzelnen Etappen der Pfarrenaissance und der durch
sie ausgelösten Kontroverse dar. Vorausgeschickt ist ein
Kapitel über das Verständnis der Pfarrei im Tridentinum
und in der nachtridentinischen Epoche (bis etwa 1925). Ein
zweites Kapitel behandelt die Jahre zwischen 1925 und 1939
(„Pfarrei und Mysterium" bei A. Wintersig; Pius Parsch
und seine „lebendige Pfarrgemeinde"; die Pfarrei als „geistiger
Bau" bei Konrad Jakobs und als „religiöse Wirklichkeit
" bei Johannes Pinsk; eine erste Zusammenschau bei
Constantin Noppel). Das dritte Kapitel beschreibt die Stärkung
und Klärung des Pfarrgedankens während der Zeit
der nationalsozialistischen Bedrückung (als sich das Problem
„Vereinsseelsorge" oder „Pfarrseelsorge" durch äußeren
Zwang von selbst erledigte) und im Verlaufe des
„Kampfes um die Liturgische Erneuerung", wie er im Me-