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Ausgabe:

1970

Spalte:

777-778

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Weber, Otto

Titel/Untertitel:

Gesammelte Aufsätze 1970

Rezensent:

Dembowski, Hermann

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 10

778

nur kurz auf das schon 1926 veröffentlichte Buch von J. K.
Mozley: „The Impassibility of God". Das Hauptanliegen
Aulens in seinem neuen Buch ist aber wohl, eine zu starke
und einseitige Betonung dieses Gedankens abzuwehren.
„Ein Gott, der nur leidend war, wäre kein Gott. Es ist richtig
, daß diese Voraussetzung klar ausgeführt wird", heißt
es. Auch hier kann ich nur beipflichten, vor allem weil ich
weifj. welche Schwierigkeiten hier liegen.

Mag nun dies genügen. Mit allen Reservationen steht
man mit Bewunderung und Dankbarkeit vor dieser hervorragenden
Leistung des „grand old man" in der nordischen
systematischen Forschung.

Gentofte/Dänemark N. H. Sae

Weber, Otto i Gesammelte Aufsätze. I: Die Treue Gottes und
die Kontinuität der menschlichen Existenz. II: Die Treue
Gottes in der Geschichte der Kirche. Mit einer Bibliographie
v. O. Weber. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag
des Erziehungsvereins 1967/68. 219 S. u. VIII, 168 S.
gr. 8° = Beiträge zur Geschichte und Lehre der Reformierten
Kirche, hrsg. v. H. Erhart, P. Jacobs, W. Kreck,
G. W. Locher u. J. Moltmann, 29. Kart. DM 19.80 und
DM 16.80; Lw. DM 19.80.

Die beiden Bände vereinigen eine charakteristische
Auswahl von Otto Webers Aufsätzen. In ihrer Zusammenstellung
präsentieren sie durch sein Werk noch einmal Otto
Weber selbst in seinem unverwechselbaren Profil.

Treue zur Herkunft, die sich in kritischer Rezeption der
Überlieferung bewährt, ist hier zunächst zu nennen. Vor
allem Webers Bemühen um das Werk Calvins wird im zweiten
Band dokumentiert. In seiner Mitte stehen die Warfield
Lectures am Princeton Theological Seminary von 1966 über
Calvins Lehre von der Kirche (II, 19—104). In der Verbindung
theologischer, sozialer (Genfer Verhältnisse) und biographischer
Gesichtspunkte wird herausgearbeitet: Theologisches
Erkennen ist für Calvin auf Gestaltung der Kirche
bezogen (I, 1—18), er versucht, theologische Einsichten im
Rahmen des Möglichen, nicht ohne Kompromisse, zu realisieren
. Für die Frage der kirchlichen Einheit (I, 105—118)
und die Konkurrenz von kirchlicher und staatlicher Kompetenz
in Genf (I, 119—130: Konkurrenz zweier Theokratie-
konzeptionen) wird das in zwei Aufsätzen weiter ausgeführt
. Die Perspektive weitet sich zum Überblick über die
Reformationsgeschichte im Aufsatz über analytische Theologie
(I, 131-146). Auf dem Hintergrund der mittelalterlichen
Katechismustradition wird die analytische Methode
des Heidelberger Katechismus auf Melanchthon rückbezogen
und über Keckermann zur lutherischen Orthodoxie verfolgt.
Ist mit den genannten Arbeiten die Mitte von Webers historischem
Interesse angesprochen, so wird dessen universalgeschichtliche
Weite durch die Göttinger Rektoratsrede
von 1958 (I, 209—219) wenigstens angedeutet. Sie führt Albrecht
von Haller, die Zierde der jungen Göttinger Universität
im Rahmen seiner Zeit als Gelehrten, reformierten
Christen und Berner Bürger scharf profiliert vor Augen.

Daß Treue zur Vergangenheit, gerade seiner reformierten
Kirche, für Otto Weber niemals blinden Traditionalismus
oder gar unkritischen Konfessionalismus meinte, zeigt
sein Vortrag zum 400-jährigen Jubiläum der reformierten
Gemeinde in Frankfurt (1955, II, 147—161): Die Bindung
an Vergangenheit ist stets umgriffen von der Bindung an
Gottes Wort, das Erbe und Gegenwart .reformierend' kritisiert
. Damit ist das zweite — und entscheidende — Kennzeichen
von Otto Webers Werk genannt: sein Wort verstand
sich als Antwort auf Gottes Wort. Gott ist nicht der
deus nudus, der deus apud se, sondern der deus erga nos.
Er ist der deus absconditus-revelatus, er erschließt sich in
Jesus Christus (I, 31). Als solchen bezeugt ihn die Schrift,
als solcher wird er verkündigt und ist er zu verkündigen.

Das geschieht in der Gemeinde. Aufgabe der Theologie ist
es, um der Verkündigung willen zu fragen, zu antworten,
zu interpretieren und zu kritisieren. Der Vorgang kritischer
Neuinterpretation beginnt ja schon in der Bibel selber (I,
51—67; 68—81). „Wir sprechen von der Deutung. Alle Deutungsversuche
, von denen wir aus der Geschichte wissen,
haben einen unverrückbaren Gegenstand': Person und Werk
Jesu Christi. Wir sind berechtigt und verpflichtet zu .interpretieren
'. Aber wir sind weder berechtigt noch gar verpflichtet
, Jesus Christus in Frage stellen zu lassen oder selbst
in Frage zu stellen. Wir können und müssen das biblische
Zeugnis von ihm interpretieren. Aber wir können nicht ihn
selbst gleichsam hinaus interpretieren. Mit ihm steht und
fällt die aktuelle Geltung des neutestamentlichen Zeugnisses.
Mit ihm steht und fällt die Verkündigung der Gemeinde"
(I, 59).

Dieses Interpretieren als Vollzug theologischen Arbeitens
wird am Beispiel der Versöhnungslehre gezeigt (I, 82
bis 98). Anselm und Abälard, die Reformatoren, Ritsehl und
Barth werden zu Gesprächspartnern im Blick auf die Frage
, wie man die Versöhnung nicht als göttliche Vorgegebenheit
, sondern als ,Für-Gegebenheit' (I, 96) denken kann.
Die Lösung liegt im rechten Verständnis der unio cum
Christo. Neben der Treue zur Geschichte und der sie umgreifenden
Treue Gottes muß als drittes Kennzeichen von
Otto Webers Werk genannt werden: Diese Doppelbindung
blendet die Gegenwart nicht ab, sondern macht für die
Wirklichkeit unserer Welt und ihrer Fragen hellsichtig. Der
geschichtliche Weg von der Autonomie zur Verdinglichung
des Menschen (I, 113 ff.), die Frage nach dessen Aufjensteuerung
(I, 132) und Diskontinuität (I, 99 ff.) werden artikuliert
als die Frage, wie der Mensch in seiner Zeit (I, 114 ff.)
Würde und Freiheit gewinnen kann (I, 113—128; 129—143).
Die Antwort versucht Weber, indem er Gottes Treue, die
sich in Jesus Christus erschließt, als den Grund zur Sprache
bringt, der dem Menschen auch unter den .Mächten' Spielraum
zum eigenen Leben in der Welt erschließt. Von hier
gewinnt der Mensch Kontinuität, Würde, Freiheit in seiner
Zeit für sich und andere.

Diese Grundlegung verbindet sich für Weber mit der
Aufforderung an die Kirche, dem damit gegebenen Auftrag
gerecht zu werden (I, 158-170; 171—184). Das wird konkretisiert
. Wenn die Kirche nur als missionierende Gemeinde
Kirche ist, dann hat das Konsequenzen für ihr Verhältnis
zum Staat (Problem der Staats vertrage I, 200—208), für
ihre Organisation (Überschaubarkeit I, 175 ff.), für die Verschiedenheit
ihrer Dienste (I, 175 ff.), von Verwaltungsfragen
über die Wortverkündigung bis zum seelsorgerlichen
Einzel- und Gruppengespräch (Reserve gegen Privatbeichte,
des priesterlichen Elementes wegen I, 185 ff.). Was man an
Webers persönlichem Wirken so achtete: wahrgenommene
Verantwortung im Blick auf Einzelne (Studenten), Universität
, Kirche, Gesellschaft, wird von ihm zumindest in Ansätzen
auch hier ausgesprochen.

Eine Bibliographie Otto Weber, zusammengestellt von
Hinnerk Schröder, die auf Rezensionen, Lexikonartikel und
Zeitungsartikel verzichtet, schließt den zweiten Band ab (II,
162-168).

Gottes Treue, die unsere Zeiten umgreift, die sich in
Jesus Christus erschließt und unsere Treue gegenüber Herkunft
und Zukunft in der Gegenwart im Blick auf Kirche
und Gesellschaft entbindet, erschließt sich von diesen Aufsätzen
her als das Thema von Otto Webers Werk. Ernst
Wolf hat das in seiner akademischen Gedenkrede, die den
ersten Band einleitet (I, 11—26) nicht nur im Blick auf Otto
Webers literarische Arbeit, sondern dessen ganzes Leben
und Wirken zusammengefaßt und ansatzweise entfaltet.

Aachen Hermann Dembowski