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Ausgabe:

1970

Spalte:

55-56

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Titel/Untertitel:

450 Jahre Reformation 1970

Rezensent:

Koch, Ernst

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Seite 1

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SS

Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 1

M

gen. Entscheidende; Punkte kommen dem Leser zum Bewußtsein
und er lernt aus Luthers Entwicklung die Stellen kennen, die
für die Wissenschaft als Zeugnis für den inneren Fortschritt des
Reformators von Bedeutung sind. Das meiste wird hier erstmals
in einer Auswahlausgabe dargeboten und A. betritt damit vielfach
Neuland, ein weiterer Grund für das späte Erscheinen dieses
Bandes.

Daß Band 1 stärker ist als andere dieser Reihe, verwundert bei
dieser Materie nicht. Bedauerlich ist dabei nur, daß zugunsten
des Textes die Anmerkungen gekürzt wurden. Hier hätte man
manchmal gern etwas mehr gefunden. Auch sollte erwogen werden
, für eine spätere Auflage eine Zeilenzählung am Rande einzuführen
. Beim Blättern im nachgeführten Apparat ist es nicht
immer einfach, die richtige Anmerkung zu finden, zumal wenn
mehrere dicht aufeinander folgen. Die im Anmerkungsteil gegebenen
historischen und sachlichen Einleitungen sind dem Herausgeber
hervorragend gelungen. Das Wesentliche wird hei vorgehoben
und sogar die chronologische Ansetzung der WA wird
mit schwerwiegenden Argumenten zurechtgerückt (S.464f.).
Entgangen ist dem Herausgeber, daß der Dresdener Psalter,
das Manuskript zu Luthers Scholien derDictata superPsalterium,
der seit dem 2. Weltkrieg verschollen war, 1966 wieder aufgefunden
wurde (S.428). Er war in Dresden lediglich falsch abgeheftet
worden.

Alles in allem ist dem Herausgeber mit diesem schwierigen
ersten Band seiner Auswahlausgabe über die Anfänge Luthers ein
guter Wurf gelungen.

Berlin Hans-Ulrich Deltus

Stern, Leo, u. Max Steinmetz [Hrsg.]: 450 Jahre Reformation.

Redaktion: Erhard Voigt, u. Gerhard Biendler. Berlin: VEB
Deutscher Verlag d. Wissenschaften 1967. 497 S. m. 114 Abb.
a. Taf. gr. 8°.

Der Band, entstanden aus der Arbeit des Komitees der Deutschen
Demokratischen Republik für die zentralen Veranstaltungen
anläßlich des 450. Jahrestages der Reformation, gehört
ohne Zweifel zu den repräsentativsten Publikationen des Jubiläumsjahres
1967 und vereint 25 einzelne Beiträge. Der Theologe
wird in diesem Falle sein größtes Interesse nicht dem einzigen
Beitrag aus fachtheologischer Feder zuwenden (Erdmann
Schott: Die theologische Bedeutung der 95 Thesen), sondern
wird daraufgespannt sein, was Nichttheologen - und hier wiederum
zum großen Teil marxistische Forscher - zum Thema 450 Jahre
Reformation beizutragen haben. Die Spannweite der einzelnen
Beiträge reicht nun freilich von der aktuellen Betrachtung
(Gerald Gotting: 450 Jahre Reformation) über germanistisch
-literaturwissenschaftliche (Erwin Arndt: Um die rechte
deutsche Bibel; Helmut Liebsch: Die Reformationsdichtung
Martin Rinckarts) bis zu musik- und kunstgeschichtlichen Beiträgen
(Ernst Hermann Meyer und Johanna Rudolph: Zur
Musik der Reformationszeit; Hans-Joachim Mrusek: Das Stadtbild
Wittenbergs zur Zeit der Reformation und der Universität;
Sibylle Harksen: Schloß und Schloßkirche in Wittenberg), ohne
daß damit schon alle in dem Band vertretenen Wissenschaftszweige
genannt sind. Reizvoll für den Theologen ist die Tatsache
, daß sich hier wie in einem Brennspiegel die verschiedenen
Linien der marxistischen Reformationsforschung treffen, die seit
1960 einen neuen Aufschwung genommen hat (vgl. dazu E. Koch:
Wandlungen im marxistischen Bild von der Reformation, Amtsblatt
der Ev.-Luth. Kirche in Thüringen 21 (1968) S. 92-102). Sie
wird repräsentiert etwa durch die Beiträge von Leo Stern (Probleme
der Reformation im Spiegel ihrer Jubiläen), M. Steinmetz
(Die nationale Bedeutung der Reformation), G.Brendler (Reformation
und Fortschritt), G. Fesser (Luthers Stellung zur
Obrigkeit, vornehmlich im Zeitraum von 1525 bis 1532) und
F. Hofmann (Die Reformation als bildungsgeschichtliches Phänomen
). Da der vorliegende Band einen weitgehenden Konsensus
in der marxistischen Reformationsgeschichtsschreibung aufweist
, kann dieser im Querschnitt durch die Einzelbeiträge dargestellt
werden.

Im Blick auf das Inhaltsverzeichnis fällt auf, daß ein monographischer
Beitrag über Thomas Müntzer fehlt - eine erstaunliche
Tatsache, wenn man bedenkt, daß Müntzer und der Bauernkrieg
die Orientierungspunkte marxistischer Reformations-
gescliichtsschreibung sind. Sollte sich darin die im letzten Jahrzehnt
von der marxistischen Geschichtsforschung herausgestellte
Behauptung von der historischen Begrenztheit Müntzers
ausdrücken? Das heißt nicht, daß Müntzer in diesem Sammelband
nicht vorkäme. Er steht vielmehr - auch wenn sein
Name nicht fällt - hinter jedem einzelnen Beitrag. Gelegentlich
wird er auch, fast immer im Vergleich mit Luther, erwähnt. Er
ist der, Luther gegenüber, konsequentere Verfechter der revolutionären
Elemente der Reformation, der „unzweifelhaft bedeutendste
Gegenspieler Luthers" (L.Stern, 22), der „messia-
nische Prophet einer zukünftigen Klasse und der demokratische
Kämpfer für reale Zielsetzungen" (M. Steinmetz, 49). Zweimal
ist von der dialektischen Zusammengehörigkeit von Luther und
Müntzer die Rede (G.Brendler, 66/67; M.Steinmetz, 48).

Der Vorwurf L. Sterns gegenüber der protestantischen theologischen
Reformationsforschung der Gegenwart, sie lasse eine
Einordnung Luthers in den historischen Gesamtzusammenhang
nahezu völlig vermissen (22), wird wirkungsvoll dadurch untermauert
, daß bei G. Brendler die Gestalt Luthers als Theologe, dem
es um das Evangelium ging, deutlich und nachdrücklich herausgestellt
wird (65/66). Daß der Marxist die Theologie als Ausdruck
der ökonomisch-gesellschaftlichen Bewegungen der Zeit ansieht
und sie damit „erklärt", bleibt dabei unbestritten. Eine gewisse
Spannung findet sich in den Aussagen über eine Wandlung in
Luthers politischer Haltung um 1521. Hier steht G. Fesser

(.....es gab auch in der Frühzeit Luthers keine grundsätzliche

Veränderung seiner politischen Position", 154) gegen G. Gotting
(12). Damit hängt zusammen, daß Gotting „die revolutionäre
Theologie des jungen Luther" als zukunftsträchtiger ansieht
als sein Alterswerk (15), aber auch, daß der Erfolg der
Reformation als frühbürgerlicher Revolution eben nur als Teilerfolg
gewertet wird (48, 65/66, 69). In eigenartiger Ambivalenz
bleibt die Zwei-Reiche-Lehre, von der G. Fesser einerseits behauptet
, durch sie habe der Staat eine religiöse Überhöhung erfahren
, andererseits aber auch, sie habe die fällige Emanzipation
des weltlichen Bereichs gefördert (147, vgl. F. Hofmann, 271).

An dieser.Stelle träte der Theologe gar zu gern in ein Sachgespräch
mit der marxistischen Geschichtsforschung ein, wie
man auch sonst über Einzelheiten sprechen müßte - abgesehen
vom Gesamtentwurf -, so über die Aussage Fessers über die von
Luther gewollte „demokratische Gemeindekirche" (150) oder
über die einseitig negative Sicht des Pietismus bei Stern (27), die
sich bis in die Formulierung hinein auf Engels berufen kann, zu
der wohl aber noch einiges mehr zu sagen wäre. Es ist jedenfalls
ein positives Zeichen, wenn man sagen kann, daß die marxistische
Reformationsgeschichtsforschung der Gegenwart zum Gespräch
einlädt, ja, wie die zahlreichen Bezugnahmen auf nichtmarxistische
Literatur beweisen, das Gespräch schon begonnen
hat. Der vorliegende Band, der übrigens typographisch hervorragend
gestaltet und dem ein ausgezeichneter Abbildungsanhang
beigegeben ist, wird seinen Platz in diesem Gespräch behaupten.

Körner/Thür. Ernst Koch

Barth, Hans-Martin: Luthers Predigt von der Predigt (Pastoraltheologie
56, 1967 S. 482-489).

Bruch, Richard: Gesetz und Evangelium in der katholischen Kontroverstheologie
des 16. Jahrhunderts (Cath 23, 1969 S. 16-37).

Hohmeier, Friedebert: Luthers Frage nach dem gnäd'gen Gott und
die Gegenwart (Der evangelische Erzieher 19, 1967 S. 377-381).

Krolzig, Günter: Dörfer im Blick reformatorischer Visitation (Kirche
im Dorf 18, 1967 S. 234-241).

Ozment, Steven E.: Reflections on the Possibility of an American
Encounter with the Theology of Martin Luther (Dialog 7, 1918
S. 138-141).

Plümacher, Eckard: Reformationsgeschichte - allgemeinverständlich
(Der Evangelische Erzieher 21, 1969 S. 283-290).

Sasse, Hermann: Luthers Vermächtnis an die Christenheit (Igreja Lu-
terana 28, 1967 S. 162-166).

Siirala, Aarne: Freedom and Authority in Erasmus and Luther (Dialog
7, 1968 S. 108-113).