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Ausgabe:

1970

Spalte:

774

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Nowikowa, Irene

Titel/Untertitel:

Eine anonyme russische Handschrift des 17. Jahrhunderts 1970

Rezensent:

Onasch, Konrad

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773

Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 10

774

ser Lehre; zweitens die Idee der Offenbarungsgeschichte
als ein fortschreitender Prozeß unter Einfluß evolutionisti-
scher Gedanken, die eine Unklarheit im Verhältnis von Geschichte
und Offenbarung zur Folge haben; drittens einen
Mangel an Unterschied zwischen dem biblischen und dem
griechischen Denken über die Wahrheit, wodurch der Glaube
bei Bavinck primär ein Bewußtseinsakt sei.

Der Schriftanschauung Bavincks wird von Veenhof vorgeworfen
: erstens, daß der Begriff der „organischen" Inspiration
unklar bleibt und auf verschiedene Weise interpretiert
werden kann; zweitens, dafj die infallibilitas scrip-
turae in bezug auf die historiografischen Differenzen in
der Bibel nicht ausgearbeitet wird; drittens, dafj geologische
Resultate gewaltsam harmonisch in die Exegese hineingetragen
werden; viertens, dafj die Herausforderung der
historisch-kritischen Theologie keine sachgemäße Antwort
bekommt; fünftens, dafj durch den Nachdruck auf die Wiedergeburt
das Verhältnis von Wort und Geist im Verstehen
der Schrift sich einem gewissen Spiritualismus annähert.

Die Bedeutung des Buches aber liegt nicht nur in der
Skizzierung der theologischen Diskussion am Ende des vorigen
Jahrhunderts. Sie reicht darüber hinaus, wenn die
Aktualität der damaligen Probleme für die heutige theologische
Situation angedeutet wird. Veenhof sieht fünf solche
Aktualitätsmomente :

1. Die Schriftlehre ringt heute gerade mit den Fragen,
die um das kreisen, was mit dem Begriff der organischen
Inspiration damals diskutiert wurde.

2. Das Verhältnis von Offenbarung und Schöpfung ist in
einer Weise, die von Bavinck schon angebahnt worden ist,
über eine Subjekt-Objekt-Spaltung hinaus in existentiellen
Denkkategorien zu einem klaren Verstehen der Wahrheit
fortgeschritten.

3. Die Einheit von Lehre und Leben wurde vielleicht
in einer besseren Gegenseitigheit beibehalten, als das
in der neuesten Existenztheologie mit ihrer subjektivisti-
schen Einseitigkeit oft geschieht. Weder die Fides qua noch
die Fides quae darf vorherrschend sein.

4. Die Theologie Herman Bavincks zeigt deutlich, dafj
man Wahrheit und Faktum, Geschichte und Historie, Keryg-
ma und Bericht, Fiducia und Notitia, wie unterschiedlich sie
auch sind, nicht voneinander trennen darf.

5. Der Versuch, wie er damals unternommen wurde,
den Gegensatz zwischen Glaube und Naturwissenschaft aufzuheben
, verdient in der heutigen theologischen Lage neue
Beachtung.

Für interessierte Theologen, die das bedeutende Buch
Veenhofs in der niederländischen Sprache nicht lesen können
, wurde eine ausführliche Zusammenfassung in deutscher
Sprache und ein englisches Summary hinzugefügt.

Zeist/Niederlande R. Bijlsma

Kaltenborn, Carl-Jürgen: Adolf von Harnack und Dietrich
Bonhoeffer (ZdZ 24, 1970 S. 89-95).

Kantzenbach, Friedrich Wilhelm: Friedrich Rittelmeyers
Zusammenstoß mit dem bayerischen Kirchenregiment
und sein Weggang nach Berlin (1916). Materialien zur
Rittelmeyer-Biographie (ZRGG 21, 1969 S. 152-165).

Maierhof er, Franzi: Wider die Waffe der Blindheit. Über
Elias Canetti (StZ 95, 1970 S. 113-126).

Pauli, Sabine (Hrsg.): Wilhelm Walther, Lebenserinnerungen
Teil II (in Auswahl) (WZ Rostock, XVII 68 G, H. 4,
S. 383-396).

Reinhardt, Rudolf: Quellen zur Geschichte der Katholisch-
Theologischen Fakultät Tübingen (ThQ 149, 1969 S. 369—
388).

Thyssen, A. Pontoppidan: Kirchliche Erweckung und nationale
Erhebung in Schleswig-Holstein 1817—50 (WZ Rostock
, XVII 68, G, H. 4, S. 397-404).

LITERATURGESCHICHTE
UND CHRISTLICHE DICHTUNG

Nowikowa, Irene: Eine anonyme russische Handschrift des
17. Jahrhunderts. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
1968. 56 S., 8 Farbtaf., 35 Faks. S. 8°= Veröffentlichung
der Joachim Jungius-Gesellschaft d. Wissenschaften
Hamburg. Kart. DM. 25.—.

Die Handschrift, mit der sich Frau Nowikowa beschäftigt
, ist mit 35 Miniaturen ausgestattet. Es handelt sich um
einen Moraltraktat, „in welchem schlichte, aber lebhaft ausgeführte
Zeichnungen der Geschehnisse nach dem Tode den
Leser durch ihre Anschaulichkeit erschüttern sollten. . . Im
Westen nannte man dieses Spitzenthema in der darstellenden
Kunst schlicht 'Ars moriendi" (S. 11). Die Verfasserin
geht in ihrer umsichtig geführten Untersuchung vorwiegend
den literatur-, aber auch den kunstgeschichtlichen Fragen
nach. Die bekannte Tatsache, daß sich im zeitgenössischen
„Sinodik" und im „Großen Spiegel" sowohl traditionelles,
wie auch neueres westliches Lehr- und Bildgut (neben
den Gesta Romanorum, der Legenda Aurea und den verschiedenen
Totentanzliteraturen) geltend gemacht haben,
wird hier an einem scheinbar zunächst anspruchslosen,
bei näherem Zusehen aber nicht wenige Probleme aufwerfenden
Schriftdenkmal demonstriert. Bei der Durchsicht der
von Frau N. benutzten zeitgenössischen Literatur fällt auf,
daß sie Simeon Polockij, der mehrfach auf das Thema des
Todes eingegangen ist, nicht herangezogen hat. Interessant
wäre auch ein möglicher literarischer und künstlerischer Zusammenhang
zwischen solchen Moraltraktaten und dem
Genre der moralisch-didaktischen Ikonen des 17./18.Jahr-
hunderts. Noch zwei kleine Korrekturen. Bei dem auf Blatt
2 der Hs. anzutreffenden „T" über dem Omega handelt es
sich nicht um ein „T", sondern um mißverstandene Laut-
und Akzentzeichen über dem griechischen Buchstaben. Eine
„christliche Kürzung" „OT" für russisch „otec" (Vater) gibt
es nicht. Bei dem Christusbild auf Blatt 3 handelt es sich
zwar um eine Entsprechung zum westlichen Schweißtuch,
genauer aber um den östlichen Typus des „Ohne Hand gemalten
Christus".

Es wäre vielleicht gut gewesen, wenn wir von der Verfasserin
die Signatur und die Bibliothek erfahren hätten, bei
der sich die Hs. befindet. Ebenso fehlen nähere Begründungen
für die Datierung. Der folkloristische Grundzug in der
künstlerischen Ausführung, aber auch die handfeste mehr
rationale als mystische Moral der Bilder erinnern stark an
etwas spätere ruthenische bzw. nordrumänische Hinterglasikonen
.

Halle/Saale Konrad Onasch

Jörns, Peter: Vom unwirksamen Gott. Religiöse Motive
in der Lyrik Bertold Brechts (Pastoraltheologie 58, 1969
S. 370-384).

Melzer, Friso: Demut. Eine Studie zur Frage des Verste-
hens (PB1 110, 1970 S. 173-178).

Scherer, Bruno: Reinhold Schneider — ein christlicher Dichter
(Erbe und Auftrag 45, 1969 S. 467—481).

Schlappner, Martin: Zur Genese der Religionskritik im
modernen Film (StZ 95, 1970 S. 231-247).

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Aulen, Gustaf: Das Drama und die Symbole. Die Problematik
des heutigen Gottesbildes, übers, v. G. Klose. Göttingen
: Vandenhoeck & Ruprecht (1968). 302 S. 8°.
Kart. DM 22.—.

Das Buch ist eine bewundernswerte Leistung des großen
schwedischen Dogmatikers, der 1879 geboren wurde.