Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1970

Spalte:

771-773

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Veenhof, Jan

Titel/Untertitel:

Revelatie en inspiratie 1970

Rezensent:

Bijlsma, Roelof

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

771

Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 10

772

deutlich, wenn er sich etwa von Werner ein besseres Verständnis
Ritschis vermitteln läßt (S. 72). Schon die kurzen
Auszüge bei Guggisberg lassen erkennen, wie wertvoll gerade
dieser Briefwechsel für das Verständnis beider Partner
ist und man möchte wünschen, dafj er in vollem Umfang
zugänglich gemacht werden möge.

J. Kaiser und W. Kasser heben in ihren Erinnerungen
Werners aufrechte und klare Haltung in kirchlichen Parteifragen
und sein Wirken als Verbreiter von Schweitzers kon-
sequent-eschatologischer Deutung der Evangelien hervor.
Nicht ohne überflüssige Wiederholungen zeichnet E. Luder
Werners Weg aus dem pietistischen Elternhaus zur liberalen
Theologie und zum freisinnigen Christentum. Bedenklich
ist, daß hier die Begegnung mit Schweitzers .Geschichte
der Leben-Jesu-Forschung' zu einem religiösen Erlebnis umstilisiert
wird. Werner hat zwar sehr bald die grundsätzliche
Bedeutung des eschatologischen Ansatzes Schweitzers
erkannt und sah sich dadurch auf festen wissenschaftlichen
Boden gestellt. Doch es ist irreführend, daraus „eine Wendung
innerer, religiöser Art" (S. 97) zu konstruieren, denn
Werner war, wie die Briefe aus jener Zeit bezeugen, damals
bereits fest auf dem Weg einer dogmenfreien, am liberalen
Jesusbild orientierten persönlichen Frömmigkeit.

P. Marti berichtet, z. T. anhand an ihn gerichteter Briefe
, über Werners Schaffhauser Disputation mit E. Brunner
im Herbst 1925 und über die Kämpfe um die Nachfolge von
H. Lüdemann, die nach K. Barths vergeblichem Versuch,
den Einflufj der liberalen Theologie in Bern auszuschalten,
schließlich mit der Berufung Werners endeten.

U. Neuenschwander zeigt Werner als den unbeirrten,
aber fast ganz isolierten Kritiker Barths, der bereits in den
Blütejahren der Wort-Gottes-Theologie vor ihrer fatalen Abkapselung
und Isolierung von den anderen Wissenschaften,
vor allem der Geschichtswissenschaft, warnte.

Aus italienischer Sicht unterstreicht F. Sciuto Werners
Bedeutung durch eine — allerdings sehr undifferenzierte —
Kritik an O. Cullmanns heilsgeschichtlicher Theologie. Doch
man wird ihm beipflichten, wenn er seine Hoffnung ausdrückt
, „dass die Wirkungskraft der geschichtswissenschaftlichen
und theologischen Werke Martin Werners durchaus
noch nicht erschöpft ist, sondern erst am Anfang steht"
(S. 136).

Insgesamt ist dieses Erinnerungsbuch trotz einiger störender
Wiederholungen und Überschneidungen ein sprechendes
, oft bewegendes Zeugnis für die menschliche und
wissenschaftliche Wirkung Martin Werners, für das man
dankbar sein mufj. Es läßt das Bild des Forschers erstehen,
der noch immer unverdient geringe Beachtung findet, obwohl
gerade er zu jenen Gestalten des neuprotestantischen
Liberalismus gehört, die — mit F. Buri gesprochen — nie
Nachhut, sondern immer Avantgarde der theologischen Entwicklung
waren.

Erlangen Wolfgang Pöhlmann

Veenhof, J., Dr.: Revelatie en Inspiratie. De Openbarings-
en Schriftbeschouwing van Herman Bavinck in vergelij-
king met die der ethische theologie. Amsterdam: Buijten
& Schipperheijn 1968. 710 S. gr. 8°. Lw. hfl. 57.50.
Dieses umfangreiche Buch wurde in niederländischer
Sprache geschrieben. Als theologische Dissertation hat es
dem Autor magna cum laude die Doktorwürde gebracht,
und zwar an der Universität Göttingen.

Die ausführliche Studie beleuchtet die theologischen
Hintergründe, die im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts
die kirchlichen Streitigkeiten in den Niederlanden beherrscht
haben und zur Bildung der reformierten Freikirche führten,
womit besonders die Namen der Theologen Abraham Kuy-
per und Herman Bavinck verbunden sind.

In der niederländischen reformierten Volkskirche gab
es damals einen starken Gegenstrom gegen den theologischen
Liberalismus, der in der Mitte des Jahrhunderts hochgekommen
war. Man suchte nach einer Erneuerung des alt-
reformatorischen Schriftglaubens im kirchlichen Leben. Die
Vertreter dieser Erneuerung aber waren nicht ganz einig in
ihren theologischen Anschauungen. Entscheidend war die
Divergenz über das Verhältnis von Offenbarung und Schrift
(Revelation und Inspiration, wie der Titel des Buches sagt).
Die „Ethischen" und die „Konfessionellen" bildeten die
Hauptrichtungen, die einander gegenüber standen. Die„Ethi-
schen" wurde der Sammelbegriff derjenigen, die in dem
Gehorsam zur heiligen Schrift den Nachdruck legten auf
die ethischen Konsequenzen des Schriftverständnisses. In
der Kirchenpolitik nahm diese Gruppe eine ironische Haltung
ein. Der größte Teil hiervon hat die Volkskirche nicht
verlassen. Die „Konfessionellen" wollten die Autorität der
Bibel nicht in dieser ethischen Zuspitzung, sondern im totalen
Sinne verstehen. Viele (obwohl nicht alle) dieser Kon-
fessionell-reformiertcn wählten in kirchenpolitischer Hinsicht
den exklusiven Weg und schlössen sich der freikirchlichen
Bewegung an.

Neben der theologischen Hochschule in Kampen wurde
die im Jahre 1880 gestiftete Freie Universität in Amsterdam
das bedeutungsvolle wissenschaftliche Zentrum der Theologen
, die zur Abspaltung von der Volkskirche geneigt waren.
Dr. Herman Bavinck war zuerst fast zwanzig Jahre Dozent
an der oben genannten Hochschule. Im Jahre 1902 wurde
er Theologieprofessor an der Freien Universität in Amsterdam
.

In der Theologie Herman Bavincks hat das damalige
Ringen um eine richtige Verbindung zwischen Offenbarung
und Bibel einen lebhaften und tiefgreifenden Ausdruck bekommen
. Und um diese Theologie geht es in Veenhofs Buch.
Bavinck begab sich in die konfessionell-reformierte Tradition
. Mehr als Kuyper aber tat er es mit kritischem Sinn
und mit Vermeidung einer Schwarz-Weiß-Verzeichnung der
Gegner. In seiner Persönlichkeit zeigt er auffallend ireni-
sche Züge, wodurch er geeignet war, in der Auseinandersetzung
mit der ethischen Schriftauffassung das Anliegen
der ethischen Theologie zu würdigen.

In diesem breiten historischen Rahmen hat Veenhofs
Buch zutreffende theologische Linien gezogen und Verbände
aufgezeigt. Die Kongenialität zwischen Bavinck und der
ethischen Richtung wird deutlich gemacht. Bavinck konnte
sich nicht zurechtfinden in einer mechanischen, konfessionellgeprägten
Inspirationstheologie. Bavinck wollte in seiner
Auslegung der heiligen Schrift dem christlichen Leben
dienen. Bavinck schätzte die Offenbarung als ein Geschehen
Gottes, das auch in der geschriebenen Form der Bibel dem
Menschen nicht restlos zur Verfügung steht. So stand er in
mancher Hinsicht den „Ethischen" nahe.

Es gab jedoch Mißverständnisse: von Seiten Bavincks,
weil er die ethische Auffassung moralisch und nicht existentiell
interpretierte und daneben die Meinung vertrat, daß
bei den ethischen Theologen die necessitas scripturae wegfallen
sollte; von Seiten der „Ethischen", weil sie Bavinck
einen wissenschaftlichen Apriorismus vorwarfen (obwohl
er allein ein Glaubensapriori der Wortoffenbarung meinte)
und weil sie bei Bavinck nur eine Reproduktion des alten
scholastischen Systems der Schriftbeweise konstatierten.

In großen, bisweilen zu weitläufigen Gedankenausführungen
werden die Diastase und die Synthese zwischen Bavinck
und den „Ethischen" detailliert und mit genauen wissenschaftlichen
Belegen beschrieben. Auch die Beschwerde,
die Veenhof gegen einige Grundzüge derDogmatik Bavincks
einbringt, werden gut argumentiert und dokumentiert. Sie
betreffen die Lehre der Offenbarung und die Schriftauffassung
.

In der Offenbarungslehre kritisiert Veenhof: erstens
die starke Gebundenheit an den Intellektualismus der historischen
Theologie in den Voraussetzungen der Gotteslehre
, besonders beim erkenntnistheoretischen Ansatz die-