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Ausgabe:

1970

Spalte:

770-771

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Werner,Martin

Titel/Untertitel:

Weg und Werk Martin Werners 1970

Rezensent:

Pöhlmann, Wolfgang

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769

Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 10

770

Ranchetti, Michele: The Catholic Modernists. A Study of
the Religious Reform Movement 1864-1907, transl. by
I. Quigly. London-New York-Toronto: Oxford University
Press 1969. X, 230 S. 8°. Lw. 45 s.

Das Buch von M. R., dessen italienischer Buchtitel nicht
angegeben wird, hat eine französische und englische Übersetzung
erfahren. Die Veranlassung zur Abfassung des Buches
gab nach dem Vorwort die Beobachtung, da§ auf dem
2. Vatikanischen Konzil Probleme des Modernismus in Erscheinung
traten. Nach einem Überblick über den Verlauf
des Modernismus folgen kurze biographische Hinweise der
führenden Modernisten, deren Bedeutung an Hand ihrer
Veröffentlichungen, ihrer Memoiren und ihrem Briefwechsel
für das Werden des Modernismus sichtbar gemacht wird.
Es handelt sich um folgende Persönlichkeiten: Loisy, Blon-
del, Tyrrell, v. Hügel, Minocchi, Buonaiuti, Murri und Fo-
gazzaro. Die Begrenzung auf den Zeitraum 1864—1907 hat
wohl zur Ausklammerung der deutschen Modernisten:
Schnitzer, Koch und Engert geführt.

Der Hauptvertreter des Modernismus A. Loisy (f 1940)
wird besonders gewürdigt. Seine „Memoires" sind eine
wichtige Quelle für diese Reformbewegung. Um so erstaunlicher
ist die Tatsache, daß sie in dem Artikel „Loisy" (RGG:!
IV, 445 f.) überhaupt nicht erwähnt werden. Bemerkenswert
ist, daß Loisys Schriften zugleich mit A. v. Harnacks „Wesen
des Christentums" von der katholischen Kirche abgelehnt
wurden. Die Ablehnung Harnacks hatte Loisy verteidigt
, obwohl seine Kritik der Evangelien-Quellen teilweise
radikaler als die Harnacks war. Vielleicht unter dem Einfluß
Blondeis widerrief damals Loisy.

Es überrascht nicht, da5 zwischen den französischen
Modernisten, insbesondere Loisy, und den Italienern eine
Ideengemeinschaft vorhanden war. Der Vf. hat die „Memo-
rie di un modernista Minocchis", deren Veröffentlichung in
Vorbereitung ist, benutzen können. Bei ihm befindet sich
die für den Modernismus charakteristische Bemerkung, daß
in dem Jahr der dunkelsten Stunde päpstlicher Reaktion
gegen Wissenschaft und moderne Kritik, als Pius IX. seinen
Syllabus (1864) vorbereitete, de Rossi in seinem 1. Band
der Roma sotterana cristiana die Geschichte der römischen
Gemeinde zu erhellen begann. Im Gegensatz zu Pius IX.
idealisierte Minocchi die Gestalt Leos XIII. Der Freiburger
(Schweiz) Modernisten-Kongrefi (1897), auf dem Gelehrte
wie Wiepert, Batifoll, Kirsch, Lagrange u. a. anwesend waren
, erweckte bei Minocchi große Hoffnungen und veranlagte
ihn zur Gründung der Studi religiosi (1901—1907).
In ihnen machte er die italienischen Kleriker mit der modernistischen
Literatur anderer Länder bekannt.

Eine weitere Form des Modernismus ergab sich seitens
einiger Modernisten aus dem Verständnis der sozialen Bestrebungen
Leos XIII. im Sinn eines politisch-sozialen Modernismus
im Gegensatz zum kritisch-exegetischen und literarischen
. Buonaiuti, der anfänglich dem politisch-sozialen
Modernismus zugetan war, wandte sich in einem offenen
Brief (1901) gegen Murri, der in seiner Cultura sociale den
Gedanken der Wiedergewinnung weltlicher Macht seitens
der Kirche vertrat. Buonaiuti war einer der wenigen, der
eine Verbindung zwischen Modernismus und „Democrazia
cristiana" zurückwies. Beide Männer waren aber einig in
der Abweisung kirchlicher Autoritäten in der Form orthodoxer
Lehre und kirchlicher Disziplin.

Führende Reformkatholiken waren Laien: der Dichter
Fogazzaro und der englische Religionsphilosoph von Hügel.
Fogazzaro verkündete öffentlich die Freiheit der Laien, für
ihren Glauben zu streiten. Mit seinem Landsmann Tyrrell
stand von Hügel in brieflicher Verbindung.

Das Buch behandelt dann die bekannten Maßnahmen
Pius X. gegenüber dem Modernismus und zeigt die Reaktion
der Betroffenen, besonders die Loisys.

R. sieht in der Geschichte des Modernismus zwei Phasen
, die sich im Jahr 1905 deutlich abzeichnen. Zur ersten
rechnet er Loisy, v. Hügel und ihre italienischen Freunde,
welche die Zeitschrift Rinnovamento (Mailand 1907) herausgaben
. Zur zweiten Phase zählt er Minocchi, Tyrrell, Buonaiuti
und die Zeitschrift Nova et vetera (Rom 1908), deren
Inhalt philosophisch, pragmatisch war. Außerdem wurde
das Jahr 1905 das Jahr des „politischen Modernismus".

Besonders wertvoll ist am Schluß des Buches die Chronologie
des Modernismus von 1864—1911.

Man vermißt den Versuch, eine Verbindung zwischen
den Reformgedanken und den Beschlüssen des 2. Vaticanum
herbeizuführen. Als Werk eines Italieners ist das Buch eine
wertvolle Ergänzung von E. Buonaiuti, II modernismo cat-
tolico, Modena 1943.

Berlin Walter Delius

[Werner, Martin:] Weg und Werk Martin Werners. Studien
und Erinnerungen, hrsg. v. F. Sciuto. Bern-Stuttgart:
Haupt in Komm. 1968. 181 S., 6 Taf. gr. 8°. Kart. sfr./DM
12.-.

Dieses Gedächtnisbuch für Martin Werner (1887-1964)
enthält acht Beiträge von Freunden, Schülern und dem
Werk Werners nahestehenden Theologen, in denen Erinnerung
und persönliches Zeugnis dominieren. Beigegeben
ist die 1957 erstmals veröffentlichte kurze Biographie von
P. Marti (in: .Glaube und Aberglaube'), die nun um den
Bericht der letzten sieben Lebensjahre Werners erweitert
wurde, sowie eine ebenfalls ergänzte Bibliographie. K.
Guggisberg befaßt sich in zwei Aufsätzen mit Werners
Briefwechsel. In Briefen aus seiner Tübinger Studentenzeit
(Sommersemester 1913) entwirft Werner ein distanziert-
kritisches Bild der Wirksamkeit A. Schlatters, mit dem ihn
die gemeinsame Herkunft aus dem Schweizer Pietismus
verband. Er fühlte sich dagegen zu dem Ritschlianer Th.
Haering hingezogen, bei dem er sich über das entscheidende
Ereignis dieses Tübinger Semesters, die Lektüre von A.
Schweitzers ,Von Reimarus zu Wrede', aussprechen konnte.
Schon den Studenten bewegte die Frage, die später zu seiner
Lebensfrage werden sollte, welche Folgerungen die
Theologie aus Schweitzers eschatologischem Jesusbild ziehen
müsse. Die Namen der Gesprächspartner in den Briefen
, von denen neben A. Schweitzer L. Ragaz, C. G. Jung,
K. Jaspers, F. Heer, R. Bultmann und K. Barth hervorzuheben
sind, bezeichnen Wendepunkte, Begegnungen und
Kampfsituationen im Leben Werners. So schreibt ihm etwa
K. Barth Ende 1932: „Sie benehmen sich genau so, wie
man sich benehmen muss, wenn man einmal wirklich entschlossen
ist, die Kirche, koste es was es wolle, mit seinen
eigenen Überzeugungen anfangen zu lassen . . . Sie sind
ein runder, voller und ganzer Haeretiker, so ausgesprochen
, dass man sich schon fast wieder daran freuen kann.
Mich friert bei dem Gedanken, dass ich dort stehen müsste,
wo Sie sich hingestellt haben . . ." (S. 34). Gleichwohl versagt
er Werner seine Achtung nicht: „Sie sind ein einsamer
Mann . . . ich kann mich nicht ohne eine geheime Sympathie
, nicht ohne das Gefühl einer gewissen, allerdings
sehr paradoxen Schicksalsgemeinschaft in Ihre Lage versetzen
" (S. 35).

Am bedeutsamsten aber sind die Briefe, die zwischen
Werner und A. Schweitzer gewechselt wurden. Wiederholt
bezeichnet Schweitzer den Freund als Erben seiner Idee:
„Dass die eschatologische Erkenntnis des historischen Jesus
nicht veralten könne, habe ich gewusst. Du aber legst es
dar" (20. Sept. 1961; S. 52). Nach Werners Tod bekennt er
sich zu ihm als seinem engsten Schüler: „Er lehrte in meinem
Sinne und in der schlichten Frömmigkeit" (an Lydia
Werner-Howald am 24. März 1964; S. 79). Daß Schweitzer
in dieser Freundschaft nicht nur der Gebende war, wird