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Ausgabe:

1970

Spalte:

764-765

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Huschke-Rhein, Rolf

Titel/Untertitel:

Melanchthons Lehre vom ordo politicus 1970

Rezensent:

Greschat, Martin

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 10

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der Obrigkeit suchte (S. 109). Das Wesen der Gemeinde
wird sichtbar in der Kirchenzucht, der Befolgung der .Regel
Christi", die wichtiger wird als die Glaubenstaufe.

Dadurch, daß Zwingli die Gemeinde preisgab, sich in
Fragen, in denen er eines Sinnes mit den späteren Täufern
gewesen war, wie Zins, Eid, Kriegsdienst, Kirchenzucht,
Kindertaufe, der Obrigkeit fügte, hat der Reformator sein
eigenes Werk verleugnet. Seit dem Herbst 1523 gibt der
Staat auch in kirchlichen Belangen den Ausschlag; damit
ist die Wende eingetreten, die Täufer werden zu einer
der Obrigkeit ungehorsamen verfolgten Sekte (S. 117 ff.).
Die Auswirkung dieser reformatorischen Haltung sieht der
Vf. in der „Intoleranz als Glaubenssache" (S. 140 f.). Auch
die Kirchenzucht sollte die Obrigkeit ausüben. Das mittelalterliche
corpus christianum wurde endgültig säkularisiert
(S. 147—149). Den Bereich der Obrigkeit und alles, was damit
zusammenhängt, nannten die Täufer .Welt" (S. 161).
Für sie sind Gemeinde-Welt unüberbrückbare Gegensätze.

Von der Gemeinde und ihrem Wesen handeln die letzten
Abschnitte des Buches (S. 178 ff.). Die wahre Gemeinde
empfand sich als gesandte missionierende Gemeinde, die
in die Nachfolge Christi tritt (S. 187 ff.); sie wird leidende
Gemeinde, das Leiden wird die nota ecclesiae (S. 195), und
auf der vorletzten Seite wird der Schlußstrich gezogen:
.Sucht man den Bruchpunkt, an dem die Täufer sich von
der Reformation trennten, so geht es zuerst um die Gemeinde
, ihre Sichtbarkeit und Handlungsfähigkeit" (S. 204);
jene Gemeinde, die Fritz Blake in seinem Büchlein „Brüder
in Christo" schlicht und einfach „Freikirche" nennt.

Dadurch, daß dieser Gemeinde, die gleichsam ins vor-
konstantinische Zeitalter zurücktritt, der alleinige Anspruch,
Kirche Christi zu sein, zugebilligt wird, wird der gesamte
Fragenkomplex Freikirche-Staatskirche aufgerollt, sind wir,
die wir Glieder, wenn nicht von Staatskirchen, so doch von
Volkskirchen sind (die zu völligen Freikirchen werden
könnten) zu Rede und Antwort aufgefordert. Was Zwingli
im Jahre 1525 (Lösung der Abendmahlsfrage durch „mine
herren" von Zürich) mag als Notlösung gesehen haben, ist
zur Dauerlösung geworden. Auch Luther, der über den
„großen Haufen" wohl am nüchternsten dachte, hat die Leute
, die „mit Ernst Christen zu sein begehrten", nicht gefunden
und mußte sich mit „Notbischöfen" zufrieden geben.

In dem Werk der Reformatoren sieht der Vf. letzten
Endes eine Fehlleistung, weil die „Welt" immer unchristlich
(heute als „mündig" oder „säkular" bezeichnet [S. 160])
bleiben muß und weil die abendländische Welt durch das
Bündnis mit der Gemeinde gerade nicht christlich erhalten
und christlicher gemacht worden ist (S. 160). Yoder muß
sich aber auch sagen, daß die Aufgabe der kultischen Einheit
des Staates für Menschen des 16. Jahrhunderts nicht
denkbar war, und wir setzen hinzu, daß in jener Zeit die
gegnerischen katholischen Kräfte so sehr von weltlichen
Machthabern gelenkt wurden, daß die von der Gefahr der
Vernichtung bedrohten jungen evangelischen Kirchen gezwungen
waren, sich dem Schutz des Staates, ihrer „christlichen
" Obrigkeit, anzuvertrauen.

Hierzu wäre noch manches zu sagen, doch würde dies
den Rahmen dieser Besprechung sprengen. Eines sei noch
erwähnt: Yoder spricht der zwinglischen Kirche die Fähigkeit
zu leiden ab (S. 199); das mag für die Zürcher gelten.
Im Bereich der katholischen Kantone sah die Sache schon
anders aus, und was lutherische und calvinische Gemeinden
als „Freikirchen", auch Freiwild für die Obrigkeit in Böhmen
, Frankreich, Österreich und Ungarn gelitten haben,
meldet die Kirchengeschichte. Auch baut Yoder auf einer
sehr schmalen Basis auf und es müßte an weiteren Beispielen
hundertjähriger täuferischer Gemeindegeschichte gezeigt
werden, was jeweils die bedeutsamen Merkmale dieser Gemeinden
gewesen sind. Jedenfalls aber vermittelt uns das
inhaltsreiche Buch nicht nur eine Fülle an Wissensstoff, der
zum Teil in den Fußnoten untergebracht ist, sondern auch

wertvolle Anregungen, mit denen sich die Forschung weiter
zu beschäftigen haben wird.

Wien Grete Mecenseffy

Huschke, Rolf Bernhard: Melanchthons Lehre vom Ordo
politicus. Ein Beitrag zum Verhältnis von Glauben und
politischem Handeln bei Melanchthon. Gütersloh: Gütersloher
Verlagshaus Gerd Mohn [1968]. 159 S. gr. 8" =
Studien zur evang. Ethik, hrsg. v. H. Ed. Tödt, H. D.
Wendland, 4. Lw. DM 24.—.

Dem Ausgangspunkt dieser Arbeit — sie wurde in erweiterter
Gestalt als theologische Dissertation im Sommersemester
1967 in Heidelberg angenommen — kann man nur
voll und ganz zustimmen: der Vf. fragt nach der Begründung
, die in der Theologie Melanchthons dem Handeln des
Menschen im gesellschaftlichen Bereich zukommt; und es
geht ihm darum, dieses systematisch-theologische Problem
auf dem Hintergrund der traditionellen historischen Voraussetzungen
zu klären. Dieser Ansatz, auf den Begriff des
ordo politicus als auf den nach Huschke entscheidenden
Begriff konzentriert, führt somit im ersten Teil der Untri
suchung (S. 18-60) zu einer Befragung der „traditionsgeschichtlichen
Voraussetzungen": neben Plato, Aristoteles
und Cicero werden Paulus, Augustin, Thomas von Aquin
und Duns Scotus abgehandelt, endlich die soziologisch-kirchenrechtlichen
und die lutherschen Vorstellungen hierzu.
Die Erläuterungen sind von unterschiedlichem Gewicht:
so ausführlich und vorzüglich der Ordo-Begriff bei Cicero
dargestellt wird (S. 23-37), so übermäßig knapp ist die
Behandlung der paulinischen Tradition (S. 38-40). Fragwürdig
erscheint die faktische Gleichsetzung von Duns Scotus
mit Ockham und sogar mit Gabriel Biel (S. 48)! Vor allem
aber: die eingangs genannte Verbindung von reformatori-
schen und humanistischen Elementen im Denken Melanchthons
(S. 14f) ist hier mit keinem Wort mehr erwähnt. Will
man nicht annehmen, daß der Vf. einer schlichten Identität
von antikem Denken und humanistischen Vorstellungen
das Wort redet, so ist zumindest eine auffällige Vernachlässigung
der humanistischen Gedankenwelt zu diesem
Thema zu konstatieren.

Eine Analyse der Begriffe ordo und vor allem ordo
politicus in den Schriften Melanchthons schließt sich an
(S. 61—105). Sie ist rein wortstatistisch erarbeitet. Huschke
kann dabei zeigen, daß der Begriff des ordo politicus nicht
vor 1535 vorkommt, dann jedoch vor allem mit der „Physik"
(von 1549), Raum und Bedeutung gewinnt: nicht die bestehende
politische Ordnung wird damit gezeichnet, sondern
der „Grundriß von durch Gott gestifteten Institutionen
" (S. 81), die im göttlichen Gesetz gründen und darauf
bezogen bleiben. Eine ebensolche wortstatistische Untersuchung
über die lateinischen und deutschen Begriffe „Obrigkeit
" und „Untertan" in diesem Zusammenhang erweitert
jenes Ergebnis (S. 106-124). Der Schlußteil bietet neben der
Zusammenfassung den Versuch, diese Gedanken in einen
größeren theologischen Zusammenhang zu rücken (S. 125-
152): aus der Tradition übernimmt Melanchthon die Vorstellung
von einer Veranlagung des Menschen zur „Ordnung
". Aber ihre inhaltliche Füllung, die Melanchthon durch
den als Naturgesetz interpretierten Dekalog gewinnt, ist
seine eigene Leistung. Huschke zeigt eindrücklich, wie
dieser ordo dadurch teleologisch bestimmt ist, daß er onto-
logisch gedacht ist und wie er von solchen Voraussetzungen
aus beide Tafeln des Dekalogs der Obrigkeit unterstellt.
Weniger überzeugend erscheint die systematische Ausweitung
dieses Ergebnisses auf das Ganze der melanchthoni-
schen Theologie: hier wird postuliert (S. 143-152), daß rechtfertigender
Glaube, Wort Gottes und politisches Handeln
des Menschen eine systematische Einheit bilden, die es
Melanchthon „im Grunde" (S. 145 f.) ermöglicht, die „kos-