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Ausgabe:

1970

Spalte:

750-751

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Titel/Untertitel:

Philo Alexandrinus, Les oeuvres de Philon d'Alexandrie 1970

Rezensent:

Wiefel, Wolfgang

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 10

750

den und wurde 1864 durch einen Artikel der Times über
den Schöpfungsbericht (Gen 1) ausgelöst. Eine Erklärung
von 716 Wissenschaftlern und Studenten des Chemie-Colleges
in London bedauerte, daß wissenschaftliche Untersuchungen
in entscheidende Zweifel gegen den christlichen
Glauben und gegen die Echtheit der Bibel verkehrt worden
waren. Es begann eine heftige Diskussion, deren Einzelheiten
geschildert werden. Trotz der Angriffe gegen Darwin
wurde sein Leichnam im Jahre 1882 in der Westmin-
ster Abtei beigesetzt.

Das Buch schildert dann die Beteiligung englischer Gelehrter
an der Veröffentlichung eines kritischen Textes des
NT. Eine Verbesserung der „King James Version" von 1611
wurde in zehnjähriger Arbeit bewältigt. An ihr waren Gelehrte
wie Westcott und Lightfoot beteiligt. Ch. berichtet
dann von den verschiedenen Leben-Jesu-Büchern und theologischen
Schriften jener Jahre. Schließlich öffneten sich in
den Jahren 1887—1895 die englischen Kirchen der Bibelkritik
.

Das interessante Kap. III behandelt das Problem des
Unglaubens. Während es im frühen Viktorianischen Zeitalter
wie im 18. Jh. vor allem unter der arbeitenden Bevölkerung
Atheisten und Agnostizisten gab, — John Stuart
Mill als Intellektueller war eine Ausnahme —, ist das
Kennzeichen der letzten 40 Jahre des 19. Jh.s der Unglaube.
Er wird an verschiedenen Vorgängen und bei einzelnen Persönlichkeiten
deutlich. Charakteristisch für die Wandlung
war der 6jährige Kampf des Atheisten Charles Bradlaugh
um seinen Sitz im Unterhaus, der im Jahr 1886 für ihn siegreich
endete. Er brauchte nicht seinen christlichen Glauben
eidlich zu bekräftigen. Diese Entwicklung hatte ihre Folgen
für das kirchliche Leben. So war unter anglikanischen Laien
und Klerikern die Meinung verbreitet, dafj ein Kleriker
alle Wunder straflos verleugnen könne.

Es ist dankenswert, dafj in dem Buch auch die Geschichte
der Dorf- und Stadtgemeinden und der zuständigen
Pfarrer dargestellt wird. So kam nach dem Jahr 1865
das Amt des Laien-Lektors auf. Es wurde von den Landpfarrern
geschätzt. Andererseits wurden in der Anglikanischen
Kirche die Laien-Lektoren für illegal angesehen. Sie
durften nicht in Kirchen predigen, wohl aber im Freien
oder auf Friedhöfen.

Erhebliche Bedeutung gewannen die Dorfschulen, die
seit dem Jahr 1876 durch Sonntagsschulen ergänzt wurden.
Zur Struktur der Dorfgemeinden gehörten am Ende des
Viktorianischen Zeitalters die Keime einer Ratsversammlung
der Gemeinde.

Die Kirchhöfe waren bis zum Jahr 1880 wesentlich
ein ländliches Problem, das oft zu Konflikten zwischen An-
glikanern und Dissentern führte.

Über die Stadtkirchen werden bemerkenswerte statistische
Angaben gemacht. Interessant sind die Ausführungen
über die Haltung des Arbeiters gegenüber Marxismus und
Christentum, und in den 90er Jahren der Vorwurf der Lethargie
in den sozialen Fragen, der durch hervorragende
Kirchenmänner erhoben wurde. Hinderlich für die kirchliche
Beschäftigung mit sozialen Fragen war die weitverbreitete
Meinung, dafj soziale Reformen durch das Parlament
geschehen müßten, und die Kirchen sich nicht mit
den Fragen der Politik und der Wirtschaft zu beschäftigen
hätten. Immerhin konnte gegen den Protest des zuständigen
Bischofs in einer Vorlesung die biblische Botschaft vom
Reich Gottes als Reich Gottes auf Erden interpretiert werden
. In der Folgezeit ergab sich das Problem Christentum
und Sozialismus. Es wurde diskutiert durch Angehörige
des Mittelstandes, die sich christliche Sozialisten nannten.
Unter ihnen waren auch wenige Kleriker, vor allem solche,
die in Slums pastorierten. Sie alle waren in den Anfangszeiten
über die Religion unterschiedlicher Meinung. Von
der Öffentlichkeit wurden sie als Atheisten angesehen. Soweit
Arbeiter ihr Christentum praktizierten, gehörten sie zu

den unkomplizierten Methodisten oder zu den Indepen-
denten. Im Jahr 1899 wurde die Christlich Soziale Union
unter Vorsitz des Bischofs Westcott gegründet. Es kam jetzt
der Terminus Social Gospel auf. Auch Predigten geschahen
nunmehr in dieser Richtung .

Im weiteren Verlauf des Buches werden die Erweckungen
, besonders die Heilsarmee, das Problem der religiösen
Erziehung in den Schulen, die Gottesdienstordnung, der
Bischof und seine Diözese, das Patronat der Krone, die
Kathedrale und die Autonomie der Anglikanischen Kirche
behandelt. In diesem Zusammenhang wird der ritualisti-
sche Streit im Jahr 1874 geschildert. Dabei ging es wesentlich
um eine Auseinandersetzung mit der Oxford Bewegung
. Das Ergebnis war, dafj diese Bev/egung sich anderen
kirchlichen Gebieten zuwandte und in stärkerem Maße
das geistige Führertum der Kirche von England erfaßte.

Ein besonderes Kapitel ist der römisch-katholischen
Kirche gewidmet. Ihr Leben wurde weithin durch Kardinal
Newman geprägt. Ein abschließendes Kapitel unter dem
Titel „Secularization" behandelt die Presse, die Entstaatlichung
der Kirche besonders in Irland, die Universitäten
und die Autonomie der Literatur.

Die umfassende Bibliographie gibt die Möglichkeit,
sich eingehend über diesen Zeitraum der Kirchengeschichte
zu informieren. Es braucht hier nicht wiederholt zu werden,
was anerkennend über den 1. Band gesagt wurde, weil es
auch auf den 2. Band zutrifft. Unsere Kirchengeschichtsschreibung
sollte sich angeregt fühlen, ein gleiches Werk
für die Kirchengcschichte Deutschlands im 19. Jh. zu
schaffen.

Berlin Walter Delius

KIRCHENGESCHICHTE: ALTE KIRCHE

[Philon d'Alexandrie:] Les Oeuvres de Fhilon d'Alexandrie.

Publiees sous le patronage de l'Universite de Lyon par
R. Arnaldez, J. Pouilloux, C. Mondesert. 30: De Aeterni-
tate Mundi. Introduction et notes par R. Arnaldez. Tra-
duetion par J. Pouilloux. Paris: Editions du Cerf 1969.
177 S. 8". ffr. 22.-.

Als 30. Band der auf 35 Abteilungen angelegten französischen
Philo-Ausgabe (vgl. zuletzt ThLZ 94, 1969 Sp.
357 f.) erscheint der Traktat de aeternitate mundi, der damit
seinen Platz zwischen den Schriften mit philosophischer
Thematik und den historisch-apologetischen erhält, denen
noch die quaestiones und die Fragmente folgen sollen. Diese
Einordnung läßt die Entscheidung des Herausgebers in
der umstrittenen Frage der Verfasserschaft erkennen: das
Werk wird nicht als deutero- oder pseudophilonisch ans
Ende gesetzt, sondern als fester Bestandteil des Corpus der
Philo-Schriften gewertet. Solches Urteil ist angesichts der
lockeren Beziehung zum alttestamentlich-jüdischen Bereich1
und der innigen Verflechtung mit griechischem philosophischem
Denken keineswegs selbstverständlich. Die Erforschung
dieses Traktates ist weithin durch die Diskussion
der Einleitungsfragen bestimmt, die auch in dieser Ausgabe
aufgenommen und weitergeführt wird.

Zuerst hat Jacob Bernays die Authentizität der Schrift
bestritten und sie als Werk eines unbekannten peripatetisch
beeinflußten Neupythagoreers dem beginnenden 2. nachchristlichen
Jahrhundert zugewiesen2. Ihm gegenüber hatte
Franz Cumont die Echtheit durch Aufzeigung terminologi-

1 Es begegnet nur ein Schriftzitat Gen 1,1—2 in cap. 19,1.

- Ober die unter Philos Werken stehende Schrift über die Unzerstörbarkeit
des Weltalls, Philos. u. histor. Abhandl. d. Königl. Akademie
d. Wissenschaften zu Berlin aus dem Jahre 1882, Abh. III, 1—82,
1883.

;l Philon de Aeternitate mundi Prolegomena, Berlin 1891 S. XVI

bis XXII.