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Ausgabe:

1970

Spalte:

52-53

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Faulenbach, Heiner

Titel/Untertitel:

Die Struktur der Theologie des Amandus Polanus von Polansdorf 1970

Rezensent:

Guggisberg, Kurt

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Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 1

KIRCHENGESCHICHTE:
REFORMATIONSZEIT

Goertz, H.- J.: Innere und äußere Ordnung in der Theologie
Thomas Müntzers. Leiden: Brill 1967. VIII, 157 S. gr. 8° =

Studie» in tlie History of Christian Thought, ed. by H. A.Ober-
man, IL Lw. hfl. 32,-.

Die Arbeit ist ein beachtenswerter Versuch, „der Eigenbewe-
gung der Theologie Müntzers" nachzugehen, und kommt in eingehender
Untersuchung zu dem Ergebnis, „daß die Rezeption
und selbständige Verarbeitung der mittelalterlichen Mystik die
gesamte Theologie Müntzers beherrscht". Ein knapper einleitender
Einblick in die Forschungsgeschichte, der von der Erörterung
der Diskussion über Reformation und Nebenrefor-
mation zu dem Problem der theologischen Begründung der Revolution
vordringt, lenkt zielbewußt auf das Thema „innere und
äußere Ordnung in der Theologie Thomas Müntzers" hin. Er
stellt dabei als eine noch unerledigte Frage besonders heraus,
„ob das revolutionäre Programm Müntzers nicht doch eine
sachliche Begründung in der Theologie hat", die „in erster
Linie an der Gedankenwelt der Mystik orientiert" ist. Das heißt,
„die communis opinio von dem theologischen Ansatz Müntzers
in der lutherischen Reformation muß neu bedacht werden". Im
Blick auf die historischen Voraussetzungen ist somit zu fragen,
ob sich in der „antikatholischen Frontstellung ... nicht fast
schon die Übernahme der lutherischen .Theologie' erschöpft"
und in Müntzers „Sendungsbewußtsein" sich bereits der verborgene
mystische Ansatz zu erkennen gibt, der sich im Zeichen
der theologischen Selbstgestaltung über die polemische Auseinandersetzung
mit Egran zur wachsenden Abkehr von und
scharfen Wendung gegen Luthers Theologie entwickelt, wie G.
in dem frühen Übergangsstadium (Zwickau) an Müntzers Geistbegriff
, Eschatologie, Schriftprinzip und Glaubensbegriff andeutend
skizziert.

In eingehenderer Untersuchung zeichnet der Vf. sodann „die
Theologie Müntzers im Traditionsgefälle der mittelalterlichen
Mystik". Er sieht deren formale Struktur bestimmt durch die
„mystische Denkform", für die der Begriff der „Ordnung Gottes
" ein konstitutives Element ausmacht, derzufolge die Einheit
von Gott und Kreaturen im Scelengrund von Gott gesetzt ist, die
als „eine der mystischen Erfahrung erschlossene Erkenntnis nur
dem zuteil wird, der sich als in diese göttliche Ordnung eingespannt
erfährt". Müntzers Theologie sperrt sich zwar gegen
eine zu scharfe Systematisierung, und das von ihm geübte eklektische
Verfahren in der Rezeption der mystischen Tradition hat
unvermeidlich eine Modifikation des vorgegebenen Vorstellungsgutes
zur Folge; aber innerhalb der so markierten Grenzen wird
der Versuch unternommen, das „Proprium der müntzerischen
Theologie" herauszustellen, wobei G. sinngemäß von der Explikation
des Verständnisses der „inneren Ordnung" ausgeht, „nach
der Gott seinen Unmittelbaren Verkehr mit den Menschen ein
für allemal eingerichtet hat". („Innere Ordnung nennen wir sie,
weil in ihr der Mensch nur in seiner Beziehung zu Gott erfaßt ist,
also allein coram deo steht ohne die Gebundenheit an irgendwelche
menschlichen und weltlichen Ordnungen"). Unter den
die entscheidenden Problemkreise zusammenfassenden Kapitelüberschriften
„Das Wort Gottes und die Schrift", „Der Geist
Gottes und der Heilsprozeß", „Kreuzesmystik und Nachfolge
Christi" wird auf der Basis eines ausgewählten Quellen Vergleiches
die strukturelle Verwandtschaft der wesentlichen Elemente
des müntzerischen Gedankengutes vornehmlich mit dem der
dominikanischen Mystik sowohl in ihrem seelsorgerlichen wie im
theologischen Ansatz dargelegt, nicht ohne auf Differenzen hinzuweisen
und Unscharfen zu konstatieren.

Ein letzter Abschnitt „Die Fusion von innerer und äußerer
Ordnung" („Äußere Ordnung" ausgeweitet „auf die Wirklichkeit
der Betätigung und Kommunikation, die Lebenswirklichkeit
überhaupt, sofern sich Spuren der ,inneren Ordnung' in sie eingraben
") geht schließlich auf die eingangs bereits angerührte
Frage ein, ob und wie sich die mystischen und revolutionären
Elemente in der Theologie Müntzers zu einer sinnvollen Einheit
verbinden lassen. Die Beantwortung geht aus von der Erkenntnis
, „daß die Analyse der gesellschaftlichen Situation, wie Müntzer
sie vorträgt, entweder am gedichteten oder am erfahrenen
Glauben orientiert ist, im Ganzen also aus der Perspektive der
inneren Ordnung gegeben wird". Ja, „Müntzer entwirft geradezu
den Begriff, den er von der ,Welt' hat, aus seinem Glaubens-
begriff". „Bestand für ihn eine Nötigung zur Reform eines
christlich-welthaften Glaubens, mithin der Theologie überhaupt,
dann auch zur Reform einer Gesellschaft, die nach einem christlich
-weltlichen Gesetz angetreten war". „Der Begriff nun, an
dem die von der theologica mystica eingeleitete Fusion augenfällig
wird, ist die cooperatio des Menschen mit Gott. In der
inneren Ordnung, wo das Heil gewirkt und Heilsgcwißheit erlangt
wird, ist die cooperatio auf das Erleiden des göttlichen
Wortes beschränkt, äußerlich erscheint sie aber in der Aktivität
des Menschen, die die Umgestaltung der vorhandenen weltlichen
Verhältnisse erstreben muß. Die nach außen gewandte Seite der
cooperatio trägt revolutionäre Züge". In der Kreuzesmystik
konzentriert sich diese Doppelseitigkeit der cooperatio, vollzieht
sich die Fusion von innerer und äußerer Ordnung. Das
apokalyptisch-chiliastische Gedankengut begleitet nur verstärkend
das revolutionäre movens, ohne die mystische Grundkonzeption
wesentlich zu verändern.

Unifassender und gründlicher als es bisher in den zumeist recht
allgemein gehaltenen Hinweisen auf Müntzers Beeinflussung
durch die Mystik geschehen ist, geht der Vf. deren Einwirkungen
auf die müntzerische Theologie nach. Er sieht Müntzers
Denken prinzipiell durch die Struktur der mystischen Denkform
bestimmt und bemüht sich von daher, eine weitgehende Übereinstimmung
auch in den wesentlichen Merkmalen des Gedan-
kengefüges hier und dort nachzuweisen. Der reformatorische
Prädikant soll gewiß nicht einfach zu einem späten Nachfahren
der mittelalterlichen Mystik gemacht werden: Müntzer bewahrt
seine Eigenheit in der Übernahme des mystischen Gedankengutes
, übernimmt nur das ihm Gemäße und das wiederum z.T.
nur in modifizierter Gestalt. Trotzdem wird man zu der Studie
von G. kritisch anzumerken haben, daß das Bild Müntzers darin
allzu einseitig nach dem Modell der dominikanischen Mystik geformt
worden ist. Die Bedeutung der Begegnung mit Luther und
dem Wittenberger Kreis ist fraglos unterschätzt und erschöpft
sich nicht in der antikatholischen Frontstellung, auch wenn
Müntzer Luther wohl nie recht verstanden hat und sich zunehmend
von ihm löste. Weiterhin kommt die voluntaristische
Komponente in Müntzers Grundhaltung nach ihrer Intensität
nicht wirklich zur Geltung und damit zusammenhängend ist der
Wille Gottes als aktivierendes Moment in seiner Konkretheit
nicht zureichend erfaßt, obschon es als die nach außen gewandte
Seite der cooperatio zur Sprache gebracht wird. Dementsprechend
haben die apokalyptisch-chiliastischen Züge einen
anderen Stellenwert als G. ihnen zuzugestehen bereit ist; es erscheint
höchst fragwürdig, daß die Mystik „seiner revolutionären
Theologie die stärkeren Impulse" zugeschickt haben soll.
Darüber hinaus wird man auch sonst die Ergebnisse dieser
Untersuchung nicht ohne starke Vorbehalte und manche Einschränkungen
bzw. Korrekturen zur Kenntnis nehmen können.
Der Verfasser hätte die von ihm selbst geäußerte Einsicht, daß
sich Müntzers Theologie gegen eine zu scharfe Systematisierung
sperre, ernsthafter berücksichtigen sollen. Damit soll das Verdienst
der Arbeit nicht geschmälert werden, die Frage nach
Müntzers Verhältnis zur Mystik durch die vorgetragene Antwort
unüberhörbar, ja herausfordernd neu gestellt zu haben. Die
Müntzerforschung wird dieser Antwort besondere Beachtung
schenken müssen und sich von ihr befruchten lassen.

Bochum Walter Elliger

Faulenbach, Heiner: Die Struktur der Theologie des Amandus
Polanus von Polansdorf. Zürich: EVZ-Verlag [1967]. XXVI,
335 S. 8° = Basler Studien zur historischen und systematischen
Theologie, hrsg. v. M. Geiger, 9. Lw. DM 28,-.

Person und Werk des Amandus Polanus von Polansdorf
(1561-1610) sind uns durch die 1955 erschienene Biographie
Ernst Staehelins wieder in Erinnerung gebracht worden. Auf ihr
fußt die vorliegende Gesamtschau und Würdigung der Theologie