Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1970

Spalte:

49-50

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Steinmetz, David Curtis

Titel/Untertitel:

Misericordia dei 1970

Rezensent:

Kohls, Ernst-Wilhelm

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

Theologische Literaturzeitung 95. Jahrgang 1970 Nr. 1

50

met wird. Leider hat der Hrsg. des hier besprochenen Traktates
darauf verzichtet, auch für die von Johannes Quidort aufgenommenen
Argumente Quellennachweise zu bieten, deren
Autoren Johannes nicht mit Namen genannt hat.

Der Ausgabe ist eine kurze Einführung in die Entstehung des
Traktates, seine problemgeschichtliche Einordnung und seine
Hauptthesen vorausgeschickt. Außerdem ist sie mit einem kurzen
lateinischen Sach-, Autoren- und Bibelstellenregister ausgestattet
.

Das Werk selbst gehört in die Auseinandersetzung zwischen
Bonifaz VIII. und Pnilipp dem Schönen von Frankreich, ohne
freilich ihre Namen zu erwähnen oder den konkreten Anlaß ausdrücklich
zu nennen. Nichtsdestoweniger spürt man duich-
gehend den Vertreter der Partei des Königs, dem vor allem daran
liegt nachzuweisen, daß die Jurisdiktion über die zeitlichen
Güter nicht in die Macht des Papstes, sondern in die des Königs
gehört, und alle dem entgegenstehenden Argumente zu entkräften
. Viele seiner Argumente kehren bei Wilhelm Ockham
wieder, wo auch manche seiner Ansätze stark herausgebildet
ihre Fortentwicklung finden. Über Ockham mögen schließlich
manche seiner Gedanken auf Luthers Ausbildung seiner Zwei-
Reiche-Lehre eingewirkt haben.

Doch der Traktat ist nicht nur aus diesem Grund interessant.
Es gab eine Zeit, deren Anschauungen noch nicht aus allen entsprechenden
Darstellungen verschwunden ist, die die antikuria-
listischen Anschauungen Ockhams und seiner Schüler auf seinen
sog. Nominalismus zurückführte. Johannes Quidort war aber ein
ausgesprochener Schüler des Thomas von Aquin, mitnichten Nominalist
, sondern vielmehr führender Thomist seiner Zeit in
Paris. Bleienstein schreibt dazu, Thomas von Aquin habe erst
durch sein Schema von Welt und Überwelt der Anerkennung
einer relativen Selbständigkeit des Staates als vollkommene
natürliche Gesellschaftsordnung zum Durchbruch verholfen (16).
Bei der starken Stellung des Übernatürlichen in der Lehre des
Aquinaten konnte seine Anschauung freilich auch so ausgedeutet
werden, daß der Ton sehr auf „relativ" gelegt werden muß. Es
ist damit aber die Frage angeschnitten, ob Luther in Bezug auf
seine Zwei-Reiche-Lehre mehr Thomas oder mehr Ockham verdankt
!

Aber hat es überhaupt viel Sinn, die mittelalterliche Ausprägung
der Lehre über die Gewaltenteilung zwischen Staat und
Kirche bis hin zur Zwei-Reiche-Lehre Luthers auf Realismus
oder Nominalismus, Thomas oder Ockham zurückzuführen? Ich
fürchte, nicht. Meist waren wohl die konkreten Anlässe und Zeitumstände
viel stärkere Faktoren als die philosophischen bzw.
theologischen Grundentscheidungen. So spürt man bei Johannes
Quidort den Franzosen, der den Herrschaftsanspruch einer
außerfranzösischen Macht zurückweist, den Bettelmönch, er war
Dominikaner, der das Streben der Päpste nach weltlicher Gewalt
und Reichtum als ungeistlich empfinden muß, und sogar
den „Bürger", der schon im Sinne der sog. Volkssouveränität
von der Übertragung der Macht auf den König durch das Volk
und entsprechend von der Stellung des allgemeinen Konzils über
den Papst spricht.

Leipzig Helmar Junghans

Steinmetz, David Curtis: Misericordia Dei. The Theology of
Johannes von Staupitz in its late medieval Setting. Leiden:
Brill 1968. X, 198 S. gr. 8° = Studies in Medieval and Reformation
Thought, ed. by H. A.Oberman with E. J.D.Douglass,
L.Grane, G.H.M.Meyjes, A.G.Weiler, IV. Lw. hfl. 35,-.

Seit der Untersuchung von Ernst Wolf über „Staupitz und
Luther" (Leipzig 1927) ist das Thema der theologischen Bedeutung
des Johannes von Staupitz für Luthers theologischen
Werdegang vielleicht zu vorschnell an den Rand der Reformationsforschung
gedrängt worden. Die vorliegende Untersuchung
bezieht dieses Thema nicht in den Bereich ihrer Erörterungen
ein, sondern beschäftigt sich mit dem mittelalterlichen Zusammenhang
, in dem Staupitz theologisch zu betrachten und
zu verstehen ist. An dieser Stelle erblickt der Vf. die entscheidende
Lücke in der bisherigen Staupitz-Forschung, und er formuliert
als Aufgabe seiner Untersuchung, ,,to place the theology

of Staupitz once again in the context of the theological dis-
cussions of his own age" (34).

Nach einem einleitenden Überblick über Leben und Schriften
Staupitz's (S.l-15) und einem Referat des Forschungsstandes
(S.l-34) folgt die Untersuchung den Topoi der theologischen
Aussagen Staupitz's und ordnet sie nach systematischen Hauptgesichtspunkten
: The Doctrine of God (Kap. I), Creation and
Fall (Kap. II), Predistination and Prescience (Kap. III), Justifi-
cation (Kap. IV), Christologv and Mariology (Kap. V), Life in the
Spirit (Kap. VI).

Das Besondere innerhalb der verschiedenen Ergebnisse der
Untersuchung dürfte im Auf weis der Eigenständigkeit des
Johannes von Staupitz gegenüber scotistisch-nomalistischen
Traditionen - bei melirfacher Konstatierung von Anlehnungen -
bestehen, so etwa im Falle der Auffassung der potentia dei ordi-
nata (S.ölff.) des facere, quod in se est und hinsichtlich des
Problems der dispositio (S.93ff.).

Wenn Ernst Wolf einst die thomistische Tradition bei Staupitz
besonders betont hat, so liegt in der vorliegenden Untersuchung
der überwiegende Schwerpunkt auf der scotistisch-
nominalistischen Einordnung der theologischen Gedanken des
Johannes von Staupitz. Freilich zeigt der Vf. durchgängig, wie
von der Eigenart der praktisch und vor allem auf die Predigt
ausgerichteten Theologie des Staupitz die Schemen einer via
antiqua und via moderna ständig durchbrochen (und damit auch
für die Forschung weitgehend hinfällig) werden.

Im Schlußkapitel über „Life in the Spirit" (S.152ff.) hätte
sicherlich die Einbeziehung der thomistischen Auffassung der
lex und speziell der lex evangelii bzw. lex caritatis auf Grund der
neueren Thomas-Arbeiten von Marie-Dominique Chenu und
Ulrich Kühn den theologiegeschichtlichen Hintergrund der einschlägigen
Auffassungen des Johannes von Staupitz unschwer
noch deutlicher werden lassen.

Bjäondere Hervorhebung verdient abschließend der vom Vf.
angestellte Vergleich zwischen Staupitz und Karlstadt zur
Frage des „inneren und äußeren Wortes" (S. 171 ff.).

Marburg Ernst-Wilhelm Kohls

Wisbey, R. A.: A Complete Word-Index to the Speculum Eccle-
siae (Early middle high German und Latin). With a Reverse
Index to the Graphic Forms. Leeds: Maney 1968. XI, 319 S.
8° = Compendia. Computer-Generated Aids to Literary and
Linguistic Research, 2.

Der Germanist Roy A. Wisbey, seit 1964 Direktor eines interfakultativen
„Literary and Linguistic Computing Centre" der
University of Cambridge, hat auf mathematisch exakte Weise
ein weiteres geistesgeschichtlich wichtiges Werk - nach einer
Konkordanz der „Wiener Genesis" und des Vorauer und Straßburger
„Alexander" - in seinem vollständigen Wortbestand erschlossen
. Dem Wortindex liegt die deutsche Speculum-Eccle-
siae-Fassung aus dem 12. Jahrhundert (München Cgm.39) zugrunde
, die zuletzt von dem Schweden Gert Mellbourn (Lund/
Kopenhagen 1944 = Lunder Germ. Forsch. 12) kritisch herausgegeben
wurde. Unter der großen Anzahl von volkssprachlichen
„Spiegeln", die im Mittelalter, namentlich im 14. und 15. Jahrhundert
, erschienen, kommt dieser frühmittelhochdeutschen,
abschnittweise noch lateinischen Predigtsammlung - darauf verweist
auch Wisbey in seinem äußerst knappen Vorwort - eine
besondere Bedeutung für den Prozeß des Umsetzens der Lingua
sacra in eine Volkssprache zu. Für den Theologen sind die linguistischen
Einzeifragen, für deren Erörterung Ws. Buch außerordentlich
wichtig ist, kaum interessant. Dagegen dürfte die
geistesgeschichtlich-literarische Seite des frühen deutschen Spiegels
- wie jüngst in der Germanistik (vgl. etwa DVfLG 41, 1967
S. 1 ff.) - auch theologisch Beachtung finden. Dafür kann das
vorliegende Wortverzeichnis ein nützliches Instrumentarium
sein.

Pinneberg b. Hamburg Olaf Schwencke

Worbek, J6zef: El amor de Dios en la actividad moral cristiana segün
Gregorio de Rimini, O. S.A. (t 1358), y aus vicisitudes en epccas
posteriores (III) (Revista agustiniana de espiritualidad 10, 1969
S.109-153).